QUADRAL Titan 1 - eine Analyse
Wir haben uns dieses Jahr auf den Westdeutschen HiFi-Tagen im Maritim Hotel in Bonn einen Wunsch erfüllt, den Wunsch endlich mal wieder einen "Männerlautsprecher" vorzuführen. Einen Lautsprecher mit Wucht und Dynamik, der die Größe eines Orchesters, aber auch die Wucht fetter Stromgitarren wiederzugeben vermag.
Dieser Wunsch schwirrte schon lange in unseren Köpfen, aber ein Ereignis dieses Jahr hat uns den nötigen Kick gegeben das auch wirklich zu tun.
Als wir bei einem Kunden eine der legendären Konstruktionen aus den 80er Jahren hörten, waren wir zunächst sehr enttäuscht. Wir mussten uns eingestehen das uns die Erinnerung an vergangenen Zeiten etwas vorgemacht hatte. Die berühmte Quadral Titan, einst der Meilenstein am Lautsprecher-Himmel, hörte sich mit heutigen Erfahrungen und Erkenntnissen nicht mehr so gut an wie uns das in Gedächtnis war.
Nach einer Überarbeitung mit der Raumkorrektursoftware Dirac-RCS sah das dann schon anders aus. Große, dynamische Wiedergabe, absolut souverän und auch bei mehr Instrumenten als für jeden kleinen Zwei-Weger gut sind, nicht aus der Ruhe zu bringen.
Der Besitzer des mannshohen Lautsprechers erlaubte uns einige tiefere Einblicke in die Konstruktion, davon handelt diese Bericht.
Letztens hatten wir die Chance mal eine gut gepflegte, weitgehend originale QUADRAL Titan 1 zu hören. Wir hatten sie bisher immer nur in Ladenlokalen und auf Messen gehört - und das ist auch schon eine "ganze Weile" (ca. 30 Jahre) her.
Damals war das Teil ja der absolute Knaller - da wackelten die Messewände !!! Zu dem Zeitpunkt sind wir noch nicht mit einer speziell zusammengestellten Test-CD rumgelaufen - denn da wurde meist noch mit Schallplatte vorgeführt ;-)
Der Besitzer der Titan wollte mal wissen ob die soweit in Ordnung war und ob man ggf. an der Aufstellung noch was drehen könnte. Außerdem wollte er mal wissen was denn so "digitales Teufelszeug" wie die Dirac Room Correction Suite mit seiner schönen analogen Titan mit Röhrenvorstufe und (nachgerüstetem) Bi-Amping anstellen würde.
Die Ergebnisse des Hörtests und der Messungen war "überraschend". Wir haben uns dann mal die Mühe gemacht unsere Messungen mit alten Testberichten zu vergleichen. Da alle Chassis der Titan 1 im HIFISOUND Lautsprecherjahrbuch von 1986/87 gemessen wurden haben wir auch mal ein Boxsim-Modell erstellt und mit den Testberichten und unseren Messungen verglichen.
Istzustand:
Um es kurz zu machen: der Hörtest und die nachfolgenden Messungen fielen vernichtend aus - "Bumm-Zisch" ist noch geschmeichelt. Es gab im Grunde drei Chassis: die drei, die man sehen kann, hörte man auch als einzelne Chassis heraus (was ja gerade NICHT passieren sollte):
- der Bass spielte eine wunderbare, aufgedunsene One-Note-Samba bei 40 Hz
- übertönt von einem nervigen, quäkenden Mitteltöner und
- gefolgt von irgendetwas, das Zisch drüber macht
Die Messungen bestätigten das Bild, viel Bumm, Quäck und Zisch. Dazwischen eine breite Grundtonsenke und ein tiefer Einbruch im Übernahmebereich zwischen MT und HT. Hier mal die "gewedelten" Messungen am Hörplatz:
Das hatten wir so nicht erwartet. Daher haben wir der linken Box mal kurz auf den Zahn gefühlt bzw. das Mikro ganz nah (ca. 2-5 cm) vor die einzelnen Membranen gehalten. Dadurch misst das Mikro vorwiegend das, was aus dem jeweiligen Chassis herauskommt und blendet die Anteile der weiter entfernten Chassis weitgehend aus. Wenn man das entsprechend skaliert und mit dem Gesamtfrequenzgang am Hörplatz vergleicht, kann man recht schnell feststellen, welches Chassis für welche Überhöhung bzw. für welchen Einbruch des Frequenzgangs der Gesamtbox verantwortlich ist und wo die Trennfrequenzen ungefähr liegen.
- die Überhöhung bei 40 Hz von 17 dB (das entspricht subjektiv in etwa der 4-fachen Lautstärke) kommt vom Raum. Obwohl das Mikro direkt über der Öffnung der Transmissionline war dürfte der Peak der magentafarbenen Kurve schon von der Raumrückwirkung beeinflusst worden sein
- von 90 bis 200 Hz fällt der Schalldruckpegel des Tieftöners um 7 dB ab -> die Grundtonsenke kommt nicht vom Raum sondern vom Chassis bzw. der Frequenzweiche
- von 400 bis 4000 Hz korreliert die Nahfeldmessung vor dem Mitteltöner perfekt mit der Messung am Hörplatz -> der Anstieg von 8 dB zwischen 300 und 350 Hz kommt also nicht vom Raum sondern vom Chassis bzw. der Frequenzweiche
- ab 5 kHz ist der Hochtöner für den Frequenzgang verantwortlich: im Nahfeld direkt auf Achse gibt es mehr oberste Höhen, am Hörplatz wird ja die Abstrahlung über alle Raumwinkel aufsummiert, dort sind die obersten Höhen leiser
- die 4dB-Stufe im Gesamtfrequenzgang bei ca. 4 kHz kommt vorwiegend vom Mitteltöner, der dort eine Membranresonanz hat. Der Hochtöner führt diese Stufe aber ab 5 kHz nahtlos weiter
Was sagt die Fachpresse zur Titan1?
So, Messungen und Höreindruck passen zusammen, die Ursachen sind geklärt. Aber - hat die QUADRAL Titan 1 damals auch schon so schlecht geklungen und die Zuhörer wurden nur durch geschickte Wahl der Vorführmusik darüber hinweggetäuscht? Klärung bringt der Test der STEREOPLAY vom Dezember 1981, den man (in lausiger Qualität) auf der "Mythos Titan"-Seite finden kann. Dort wird folgender Frequenzgang gezeigt (die vertikalen Linien bei 20, 200, 2000 und 20000 Hz sowie die Frequenzen der Peaks bei 55, 550 und 5500 Hz wurden von uns hinzugefügt):
Quelle: Stereoplay auf Mythos Titan...Titanstory.de
-> der Peak des Mitteltöners und Hochtöners um jeweils ca. 5 dB ist dort auch bereits zu erkennen
Damals (vor über 30 Jahren) ist das offenbar keinem aufgefallen, und das war ja wohl auch Sinn der Sache. Schwer zu glauben aber wahr - die Titan die wir hier vor uns haben zeigt sehr ähnliche "Charaktereigenschaften" (= Fehler) wie die in der STEREOPLAY 12/1981 so hochgelobte Titan 1. Was steht noch gleich im Fazit:
"Mit ihrem offenen und verfärbungsarmen Klangbild im gesamten Frequenzbereich setzt die Titan neue Maßstäbe für eine Passivbox"
Da sieht man mal wieder - der Leser von HiFi-Zeitschriften WILL beschissen werden. Wohl dem der 2 gesunde Ohren und Hörerfahrung hat . . .
Titan1 + Dirac
Um dem Besitzer mal vorzuführen wie eine QUADRAL Titan1 klingen KÖNNTE haben wir das Gesamtsystem (Lautsprecher + Verstärker + Raum) kurzerhand mal mit der Dirac Room Correction Suite eingemessen (Infos zur Funktionsweise der Software mag der geneigter Leser hier nachlesen).
So sieht der an 9 Positionen gemessene und gemittelte Frequenzgang am Hörplatz aus:
Die Messungen mit dem Dirac Live Calibration Tool bestätigen natürlich die vorherigen "gewedelten" Ergebnisse mit JustOct. Die rote Kurve ist die gewünschte Zielfunktion am Hörplatz. Und so sieht das dann nach der Optimierung durch Dirac aus:
Die schwarze Kurve zeigt die Wirkung des Filters - in weiten Bereichen muss im Bassbereich um 10 dB angehoben werden, das ist Schwerstarbeit für den Verstärker!
Hinweis: die Korrektur passiert bei Dirac übrigens nicht nur im Frequenzbereich sondern auch im Zeitbereich.
Das sieht ja alles ganz nett aus, aber: wie klingt es denn?
Wow, ein vollständig anderer Lautsprecher, neutral, angenehm, erwachsen . . . einfach nur wow! Der Unterschied war frappierend:
- Männerstimmen fehlte zuvor vollkommen der "Körper"
- Schlagzeug klang wie Kinderspielzeug
- Bass war nur 1 Ton, der nichts mit der Musik zu tun haben schien
- daneben gab es noch Gequäke im Mittelton und Gezischel im Hochton
Nachher war alles so wie es sein sollte und das Teil machte höllisch Spaß . . .
Um den Effekt von Dirac zu hören kann man die Wirkung einfach ausschalten. Schon nach 3 oder 4x Zurückschalten auf die ungefilterte Originalversion bat uns der Besitzer das doch lieber sein zu lassen - zu schlimm war die Erkenntnis wie ungenießbar sich die Originalversion anhörte. Auch hier zeigte sich wieder: je "schlechter" die Ausgangssituation, desto unglaublicher ist der Effekt von Dirac.
Simulation der Titan1
Alle Chassis der Titan1 wurden im HIFISOUND Lautsprecherjahrbuch von 1986/87 gemessen, da liegt es nahe mal zu schauen was da eigentlich "verbrochen" wurde. Hier mal die Auszüge aus dem o.g. Jahrbuch (mit freundlicher Genehmigung von M. Gaedtke und Dank an R. Saerbeck):
Quelle: Hifisound Jahrbuch von M. Gaedtke und R. Saerbeck
Quelle: Hifisound Jahrbuch von M. Gaedtke und R. Saerbeck
Quelle: Hifisound Jahrbuch von M. Gaedtke und R. Saerbeck
Glücklicherweise hatten wir vom Besitzer der Titan1 auch einen originalen Weichenschaltplan zur Verfügung bekommen. Den hatte er mal angefordert um die Weiche überarbeiten zu lassen (Austausch der Kondensatoren und Umrüstung auf Bi-Amping-Betrieb nach 25 Jahren). Somit waren wir in der Lage ein Boxsim-Modell der Titan1 zu erstellen - das hatte auch noch keiner gemacht . . .
Natürlich behaupten die Hersteller immer wieder, dass sie "Spezialversionen" von Serienlautsprechern verwenden;-). Zum einen sollen dadurch Nachbauer entmutigt werden die denken, sie könnten das auch selber viel billiger machen. Auf der anderen Seite vermittelt man dadurch dem Besitzer des Originals Exklusivität und Wertstabilität. Die Spezialversionen sind oft jedoch nur kleine Modifikationen, die klanglich keine gravierenden Auswirkungen haben. Von daher gehen wir davon aus, dass unsere Simulation recht nahe an das Original herankommt.
Zum Warmmachen haben wir uns erst mal den Übergang Tieftöner zu Mitteltöner vorgenommen. In diesem Frequenzbereich kann man davon ausgehen, dass sich die Chassis gemäß ihrer TS-Parameter verhalten und muss noch keine Messdaten haben. Wenn man also die TSPs des HIFISOUND-Jahrbuchs in ein Boxsim-Modell einträgt und mit der Originalweiche beschaltet ergibt sich folgendes Bild (im Bassbereich wurde ein 300 Liter großes Bassreflexgehäuse angenommen, der Mitteltöner steckt in einem 3 l großen geschlossenen Gehäuse):
Wenn man das mit dem Impedanzverlauf der Messung der STEREOPLAY vergleicht sind die Ähnlichkeiten unübersehbar. Hier noch mal der Ausschnitt aus dem Testbericht:
Quelle: Stereoplay auf Mythos Titan...Titanstory.de
- das Impedanzmaximum bei 30 Hz passt ungefähr (Messung 17.9 Ohm, Simulation 19.8 Ohm)
- das Impedanzmaximum bei 200 Hz passt ungefähr (Messung ca. 13.3 Ohm, Simulation 14.7 Ohm)
- das Impedanzminimum bei 600 Hz passt ungefähr (Messung ca. 3.5 Ohm, Simulation 3.5 Ohm)
Wenn man die gesamte Box simulieren will muss man die Messwerte aus dem HIFISOUND Lautsprecherjahrbuch irgendwie in Boxsim einlesen. Dazu gibt es mehrere Tools, ich kam ab besten mit dem Tool SplTrace zurecht, das vom FRD-Consortium erstellt worden ist. Auf der Homepage des FRD-Consortiums gibt es noch zahlreiche andere hilfreiche Tools - das Stöbern lohnt sich.
Das Einlesen der Messwerte ist eigentlich ganz einfach:
- eine Grafik mit dem Frequenz- und/oder Impedanzverlauf laden bzw. einscannen
- per Strg+C in die Zwischenablage kopieren
- SplTracer starten
- Dort "File / Import Graph / From Clipboard" wählen - voilà, da ist die Grafik (bildschirmfüllend verzerrt). EXTREM wichtig dabei ist, dass die Grafik VORHER schön gerade ausgerichtet und rechtwinklig ist - Abfotografieren mit dem Handy klappt daher meist nicht
- Dann muss man natürlich festlegen wo wie viel dB Schalldruckpegel ist. Das geht über "Alignment / Register Low Amplitude" (kleiner/minimaler Schalldruckpegel) bzw. "Alignment / Register High Amplitude" (großer/maximaler Schalldruckpegel). Wir empfehlen den minimalen und maximalen Schalldruckpegelwert anzuvisieren, dann ist der Fehler durch die endliche Auflösung des Bildschirms (bzw. die Zielungenauigkeit des Nutzers) geringer
- Beim "Registrieren" muss man zunächst den Wert in eine Eingabemaske eingeben und dann eine Marke mit der Maus zu angegebenen Wert verschieben und (wenn man mit der Zielgenauigkeit zufrieden ist) die linke Maustaste drücken um die Registrieren abzuschließen -> dann kann das Programm einer Mausposition einen Wert zuordnen
- Dasselbe muss man für die Frequenzen ("Alignment / Register Low/High Frequency") und die Impedanzen machen ("Alignment / Register Low/High Impedance"). BEVOR man das für die Impedanzen macht muss man festlegen, ob die Impedanzskala linear ist (z.B. 10 Ohm pro cm) oder logarithmisch (z.B. 1 cm für eine Verdoppelung der Impedanz). Bei linearer Impedanzachse muss man "Alignment / Use Base-1 Ohm Scale" wählen, ansonsten Base-2 oder Base-10.
- Für das "Abscannen" empfiehlt sich eine konstante Frequenzauflösung von 40 Punkten pro Dekade, die Standardeinstellung unter "Trace / Options..." wäre also:
Sobald man "Trace / Start SPL Trace" wählt gibt das Programm die Frequenz (= X-Achsenwert) vor (alles links davon wird ausgeblendet) und man muss "nur noch" die Y-Position wählen indem man die Maus entsprechend positioniert (das kann man an der weißen Linie auf grauem Grund erkennen) und entweder die linke Maustaste oder die Return-Taste drückt. Die X-Position der Maus ist dabei egal, die wird ja durch das Programm vorgegeben (grauer "Vorhang"). Der Vorgang wird durch Anklicken von "Trace / Stop Trace" beendet, dann wird man gefragt, ob man das Ergebnis abspeichern will.
- Die Ergebnisse werden im FRD-Format (Schalldruck) bzw. ZMA-Format (Impedanz) abgespeichert. Zum Anschauen kann man ggf. das mitgelieferte Tool SplView verwenden ("File/Open"). Mit "Tools/Normalize" kann man die Frequenzauflösung ggf. den Anforderungen des Zielprogramms anpassen (bei Boxsim unnötig) und mit "Tools/Adjust Magnitude" kann man den Schalldruckpegel um X dB verschieben (das kann Boxsim beim Import auch). Boxsim kann das FRD- bzw. ZMA-Format aber auch direkt einlesen und ggf. darstellen. Man sollte auf jeden Fall kontrollieren, ob die Darstellung auch gut genug mit dem Original übereinstimmt. Ansonsten ist der Vorgang mit Brille, weniger Zielwasser und/oder höherer Frequenzauflösung zu wiederholen . . .
ACHTUNG: bei Bildschirmen mit mehr als 1376 Pixeln kommt es ggf. zu Fehlern bei der Darstellung. Dann bitte das Programmfenster verkleinern und erst dann die anzuzeigende Datei laden!
Meist wird man nur den Amplitudenverlauf einlesen können, der Phasenverlauf wird nur selten abgedruckt und Tools wie SplTrace sind dafür auch eigentlich nicht ausgelegt. Beim Import in Boxsim sollte man ein "frisches" Projekt nehmen ohne alte Phasendaten. Der erste Bildschirm sollte dann so aussehen:
Beim Ausfüllen der Chassisdaten gibt es ein Problem: im HIFISOUND LS-Jahrbuch 1986/87 wurde die Membranfläche nicht angegeben. Kein Problem, da nehmen wir einfach Standardwerte. Dieser Eintrag wird eh nur benutzt wenn man keinen gemessenen Frequenzgang hat. Wir setzen das Feld "Die Messung des Frequenzgangs erfolgte" zunächst auf "5. zu simulierende Box" (damit der Frequenzgang so aussieht wie gemessen) und machen einen Haken an den Eintrag "F-gang Amplitude benutzen" (vor den Eintrag "F-gang Phase akust. benutzen" kommt kein Haken):
Die Einträge für Le, Re2, Le2, Re3 und Le3 werden berechnet, wenn man auf das Feld "Re.. und Le.. aus Impedanzverlauf errechnen" anklickt. Manchmal muss man das 2x machen damit sich der Wert nicht mehr ändert.
Auf dem Reiter "Schallwand und Position" muss man schließlich noch angeben, ob man eine Konus- oder Kalottenmembran hat und welchen effektiven Durchmesser sie hat (das kann man aus Sd berechnen). Beim Magnetostaten mit seiner rechteckigen Membran sind diese Einträge allerdings unpassend, hier nimmt man am besten "Kalotte" als Membranform und rechnet den Membrandurchmesser auch aus der Membranfläche aus (was soll man sonst machen).
Wenn wir aber an die Simulation gehen müssen wir wissen, wie die Frequenzgänge aufgenommen wurden - denn in einer Titan1 werden sie wohl kaum gemessen worden sein. Boxsim kennt folgende Einbausituationen und kann deren Effekte kompensieren:
Im Lautsprecher-Jahrbuch 1986/87 ist zum Thema Messbedingungen nichts Genaues zu finden, daher haben wir Michael Gaedtke kontaktiert, der die Messungen damals selbst durchgeführt hat.
- "Gemessen wurde mit einem Neutrik-Pegelschreiber, ausgerüstet mit den Modulen 3302, 3322 und 3312." Die Anregung erfolgte mit einem Terz-gewobbelten Sinussignal. "Als Messmikrofon hatten wir eine 1/2 Zoll Kapsel von Brüel & Kjaer zur Verfügung."
- "Hochtöner haben wir zu der Zeit alle auf einer IEC-Schallwand (2,0 m mal 2,5 m), zunächst in einem ca. 50 bis 60 qm großen Raum gemessen, Messabstand 1 m". "Alle Hochtöner wurden in die Schallwand eingelassen um Diffraktionserscheinungen zu vermeiden."
- "Mitteltöner (und Tieftöner bis 200 mm Membrandurchmesser) wurden in einem 500 Liter großen Gehäuse mit 0,23 Meter breiter Schallwand gemessen."
- "Für die Jahrgänge ab 1989 erfolgten alle Messungen im schalltoten Raum bei Visaton in Haan. Ob uns dieser Raum zumindest partiell auch schon für das Jahrbuch 1987 zur Verfügung stand, ist mir leider nicht mehr erinnerlich."
Zunächst mal vielen Dank an Michael Gaedtke für die detaillierte Beschreibung der Messbedingungen - immerhin ist das nun schon 28 Jahre her . . .
Schön, dass wir jetzt wissen wie die Chassis gemessen wurden. Schade, dass Boxsim diese Einbausituation nicht kennt. Mit welchem Einfluss ist denn durch die schmale Schallwand beim Mitteltöner zu rechnen? Da erzeugen wir uns doch ein ideales Chassis nur über die TSPs (ohne Messwerte):
Durch die geringe Induktivität ergibt sich auf einer unendlichen Schallwand ein perfekt linearer Schalldruck. In einem 2 m hohen (geraten) und 23 cm breiten Gehäuse ergibt sich bei seitlich mittigem Einbau (geraten) in 110 cm Höhe (geraten) folgender Frequenzgang:
-> max. 2 dB Überhöhung zwischen 500 und 2100 Hz (Maximum zwischen 900 und 1500 Hz)
Wenn wir Boxsim gegenüber behaupten der Frequenzgang sei auf einer unendlichen Schallwand gemessen, dann hätte sich bei einem idealen Chassis dort keine Überhöhung zwischen 500 und 2100 Hz ergeben. Tatsächlich ist der Mitteltöner aber in einem 23 cm breiten Testgehäuse gemessene worden, was den Frequenzgang zwischen 500 und 2100 Hz um bis zu 2 dB angehoben hat -> diese Überhöhung müssen wir uns "wegdenken". Wenn wir annehmen, der Frequenzgang sei in einer DIN-Schallwand oder dem VISATON-Testgehäuse gemessen worden, so würden dadurch komplexe Korrekturen angewendet - und es würde auch nicht passen. Da ist die Annahme "unendliche Schallwand" schon die harmloseste Variante mit dem am einfachsten "wegzudenkenden" Fehler.
Wenn man den Hochtöner auf einer DIN-Schallwand simuliert ergeben sich unter 1 kHz keine Veränderungen -> hier muss man sich also nix "wegdenken".
So sieht die Simulation der Titan 1 dann aus (den Bereich zwischen 900 und 1500 Hz muss man in Gedanken um ca. 2 dB absenken):
Im Vergleich dazu nochmal den gemessene Frequenzgang laut STEREOPLAY:
Quelle: Stereoplay auf Mythos Titan...Titanstory.de
-> der Impedanzverlauf (Maxima bei 30, 200, 2500 Hz, Minima bei 600 und 6000 Hz) passt ungefähr
-> die Schalldruckmaxima bei 550 und 5500 Hz passen ungefähr
Hinweis: die Messung fällt oben rum stärker ab weil der Hochtöner nicht auf Achse liegt (in der Simulation aber schon).
Bei der Simulation des Schalldruckverlaufes gibt es noch einige "Unsicherheiten" (z.B. akustische Phasenlage, Verhalten unter Winkel von MT und HT etc.). Der Spannungsverlauf an den Chassis ist aber unabhängig davon, wie der Frequenzgang gemessen wurde, denn der Impedanzverlauf wird immer im Freifeld ermittelt. Und so sieht der Spannungsverlauf aus:
Kein Wunder, dass die Titan hohe Anforderungen an die Leistungsfähigkeit des Verstärkers gestellt hat, schließlich werden ja oberhalb von 250 Hz kontinuierlich mindestens 7 dB "weggeschmissen", es kommen in dem Bereich also nur 10(-7/10) = 20% der Verstärkerleistung an den Chassis an.
So sieht übrigens das Weichenschema der Titan 1 aus:
Und so sieht sie laut Werbebroschüre aus:
Quelle: Stereoplay auf Mythos Titan...Titanstory.de
-> man beachte die vor Werbebotschaften strotzende Beschreibung der - objektiv betrachtet - bescheidenen Weichenschaltung
Eine Entzerrung mit Dirac bringt die Titan 1 zwar akustisch auf Vordermann, energiepolitisch macht es aber wenig Sinn zwischen 100 und 300 Hz zunächst im Mittel 6 dB in der Weiche zu verbraten nur um sie nachher elektrisch wieder um 10 dB anzuheben. Wenn man nicht gerade SEHR potente Verstärker hat sollte man die Frequenzweiche der Titan also zunächst "energiebewusster" auslegen bevor man Dirac die Feinarbeit machen lässt. Wie kann so etwas aussehen? Na zum Beispiel so:
-> der Wirkungsgrad liegt nun im Mittel bei 86 dB/2.83V/m, und damit um ca. 4-5 dB über dem Wert der Originalweiche
-> der Impedanzverlauf ist zudem gleichmäßiger (Minimum jetzt 5.0 Ohm)
-> 1 Spule und 1 Kondensator mehr, aber deutlich weniger Widerstände
-> besserer Schutz des Hochtöners (18 dB)
Fazit:
Manche alte Schätzchen sind offenbar lange nicht so gut wie ihr Ruf - zumindest die Titan1 hat uns "original" gar nicht gefallen. Eine Über-Alles-Korrektur mit Dirac hat aus der Bumm-Quäck-Zisch-Kiste zwar einen gut klingenden, erwachsenen Lautsprecher gemacht - man braucht aber schon potente Verstärker um mit dem Teil Lautstärken zu erzielen.
Dies ist zum Großteil auf die wattfressende Auslegung der Frequenzweiche zurückzuführen: hier werden oberhalb von 250 Hz im Mittel 7 dB "verbraten", es kommen also nur noch 20% der Verstärkerleistung an den Chassis an. Mit einer etwas anderen Auslegung der Frequenzweiche kann man einen deutlich lineareren Frequenzgang erreichen UND im Mittel 4-5 dB Wirkungsgrad gewinnen. Das reduziert die Ansprüche an die Verstärker oder erlaubt - bei gegebenem Verstärker - 4 bis 5 dB höhere Spitzenschalldrücke ;-)
Noch besser ist dann nur eine Aktivierung mit unserer Schaltzentrale A3 . . .
kann man so nicht sagen. Je nach Wohnraum kann es günstiger seine die MT und HT nach innen zu setzen. Das muss man im Einzelfall herausfinden. Wir haben hier natürlich den Fall angenommen für den der User sich entschieden hatte.
Theo