Nach der Raumakustik (Teil 1), den Chassismessungen (Teil 2) und der Dokumentation des Istzustandes (Teil 3) wird im 4. Teil die Überarbeitung der Weiche beschrieben.

Bei der modifizierten Weiche soll vor allem der Mitteltonbereich besser gefiltert und die Überlappungsbereiche reduziert, also die Flankensteilheit erhöht werden. Dadurch soll auch die Abhängigkeit des Frequenzgangs von der Ohrhöhe reduziert werden. Parallel dazu soll möglichst die Anzahl der Weichenbauteile reduziert werden, nach dem Motto: weniger ist mehr!

Hoch- und Superhochtöner haben einen recht breitbandigen und gutmütigen Verlauf (unter 15°), von dieser Seite gibt es kaum Limitationen für die Gesamtauslegung. Im Bassbereich setzen ab 500 Hz aufwärts Resonanzen ein, der Mitteltöner sollte wegen der Klirrkomponente K3 aber nicht unter 500 Hz betrieben werden. Hier ist nur ein recht schmaler Korridor für die Trennfrequenz, so dass diese "Engstelle" zuerst ausgelegt werden soll.


Auslegung der Weiche für den Mitteltöner

Wenn man auf eine Entzerrung des Impedanzmaximums verzichten will (Motto: weniger ist mehr) muss man einen gewissen Frequenzabstand wahren, damit die Weiche wie vorgesehen funktioniert. Als Faustformel gilt dabei "Trennfrequenz = doppelte Resonanzfrequenz". Das wären hier 2 · 300 = 600 Hz - ein bisschen hoch. Da der Mitteltöner aber ohnehin ca. 3 dB zu laut ist kann man auch einen anderen "Trick" einsetzen: durch einen Spannungsteiler (10 Ohm parallel, 2.2 Ohm in Reihe, graue Referenzkurve) kann man den Impedanzverlauf besser linearisieren als nur mit einem Vorwiderstand (3.3 Ohm, schwarze Kurve):

Wenn man die Trennfrequenzen 500 und 2000 Hz für eine Nennimpedanz von 6 Ohm berechnet (Menüpunkt "Extras / Auslegung Standardweichen"), dann spuckt Boxsim 0.68 mH und 9.4 uF für den Tiefpass aus und 38 uF und 2.7 mH für den Hochpass. Wenn man das standardmäßig aufbaut

dann ergibt sich Folgendes:


-> Überhöhung um 1250 Hz von 1.5 dB verbunden mit Impedanzminimum von 4 Ohm
-> der Hochpass setzt zu früh ein (F3 bei 650 Hz) und bei 350 Hz bäumt sich der Mitteltöner noch mal auf
-> bei 3 kHz bäumt sich der Mitteltöner noch mal auf

Gemäß unseres Artikels Weichentricks (Teil 5) kann die Überhöhung in der Mitte durch eine verschachtelte Anordnung von Hoch- und Tiefpass reduziert werden. Den Buckel bei 350 Hz kann man durch eine kleinere Spule unterdrücken (2.7 mH -> 1.5 mH), analog geht man beim 3 kHz-Buckel vor und erhöht den Parallelkondensator von 9.4 uF auf 15 uF. Die endgültige Weichenschaltung sieht dann mit einigen kleineren Modifikationen so aus:

Dieselben Bauteile in "Standardanordnung" ergeben übrigens ein Desaster mit 4 dB Pegelüberhöhung und 2.5 Ohm Impedanzminimum . . .


Auslegung der Weiche für den Bass

Die Weiche für den Mitteltöner lassen wir erst mal so stehen und kümmern uns nun darum, ob bzw. wie wir den Bass da "drannageln" können. Ein Wunsch des Auftraggebers war, die teure 2.2 mH-Spule in "Null-Ohm"-Ausführung wieder zu verwerten. Was sagt denn der Weichenrechner von Boxsim (Menüpunkt "Extras / Auslegung Standardweichen")? Für einen Tiefpass mit 12 dB Flankensteilheit bei 500 Hz bei einer Impedanz von 3.5 Ohm ergeben sich 1.6 mH und 64 uF. Und was sagt dann der Frequenzgang?


-> langsamer Abfall ab 100 Hz ohne deutlich steileres Verhalten ab 500 Hz

Das zum Thema Theorie und Praxis. Durch Vergrößerung des Kondensators kann man den - bisher kaum vorhandenen - Knick steiler machen. Wie wäre es denn mit 150 uF?


-> jetzt ist der "Knick" bei 500 Hz zu eckig . . .

Na, dann erhöhen wir doch die Spule auf die gewünschten 2.2 mH, ändern den Kondensator auf 141 uF (= 3 x 47 uF) und fügen noch ein wenig "Knickbedämpfung" in Form eines kleinen Widerstands in Reihe zum Kondensator ein, et voilà!


-> minimalistischer geht es kaum . . .

Diese Schaltung ist ein "Zwischending" aus Impedanzentzerrung (das wären hier 56 uF und 3.3 Ohm) und normalem Parallelkondensator (68 uF), die aber mit dem Widerstand im Bereich des "Knicks" feinfühlig bedämpft werden kann.

Und wie sieht die Summe von Bass und Mitteltöner aus?


-> nicht schlecht, oder?

Na ja, in Wahrheit war da natürlich schon noch etwas Fummelei dabei, bis es so schön aussah. Aber die prinzipielle Vorgehensweise sollte doch erkennbar sein.


Auslegung der Weiche für den Hochtöner

Als nächstes kommt die Weiche für den Hochtöner. Das sah eigentlich ganz einfach aus - eigentlich. Aber eins nach dem anderen. Zunächst wurde mal der Pegel um knapp 3 dB reduziert - mit demselben Trick wie beim Mitteltöner (Spannungsteiler bestehend aus 10 Ohm parallel und 2.2 Ohm in Reihe):

Dann kam mal wieder der Weichenrechner von Boxsim an die Reihe. Standardmäßig probieren wir immer erst mal eine 12 dB-Weiche aus. Bei einer Impedanz von 6 Ohm und einer Trennfrequenz von 2000 Hz ergaben sich 9.4 uF und 0.68 Ohm - die Werte kannten wir doch schon vom Tiefpass des Mitteltöners:


-> die Trennung fängt zu früh sanft an, wird dann aber zu spät erst steiler

"Same procedure as last time" - die Spule muss kleiner und/oder der Kondensator größer. Nicht kleckern sondern klotzen: wie sieht es denn mit 0.39 mH und 10 uF aus?


-> gar nicht schlecht . . .

Und wie harmoniert das mit dem bisher Gefundenen?


-> hmm, das Verpolen hat ja kaum einen Einfluss, das ist nicht gut . . .

Die bessere Summenkurve ergab sich mit verpoltem Hochtöner. Wenn ein Verpolen nichts bringt ist die relative Phase etwa 90° und ändert sich durch Verpolen auf etwa -90° (oder umgekehrt) - es bleibt also etwa alles wie vorher.

Und? Wie sieht die Phase denn nun aus?


-> au weia, wie befürchtet, die Phasendifferenz zum Mitteltöner beträgt + bzw. -90°

Wie sollten sich 2 Chassis überlagern?
Die obige Situation ist ungünstig, weil es dann weiter oben oder unten Messpositionen gibt, bei denen die Überlagerung wegen der dann leicht anderen Wegunterschiede effektiver funktioniert und zu einer Überhöhung von bis zu 3 dB führen kann. Wenn das gerade unter dem Winkel passiert, unter dem die Deckenreflexion ans Ohr trifft, dann verfärbt diese Reflexion durch ihre zu hohe Energie den Klangeindruck.
Wenn man dafür sorgt, dass sich die beiden Chassis bei der Trennfrequenz optimal addieren, dann gibt es nur Messpositionen, an denen weniger Schall gemessen wird als auf Achse, die Reflexionen werden also gegenüber dem Direktschall unterdrückt. Eine optimale Addition tritt ein, wenn die Abstrahlung beider Chassis keine relative Phasendifferenz aufweist. Beide Chassis sind dann bei der Trennfrequenz 6 dB leiser als der Summenpegel.
Wenn man bei einer solch effektiven konstruktiven Überlagerung ein Chassis verpolt, werden die gleich großen Schallanteile nicht mehr addiert sondern perfekt subtrahiert - es ergibt sich ein möglichst tiefer und möglichst schmaler Einbruch bei der Trennfrequenz.

Merke: je größer der Unterschied durch Verpolen eines Chassis ist, desto effektiver funktioniert die Überlagerung

Da beim Mitteltöner nicht mehr viel Spielraum war haben wir es mal mit einer 18 dB-Weiche probiert. Nach ein paar Iterationen hat dann - bei gleichphasig angeschlossenem Hochtöner - alles gepasst:


-> zwar nicht ganz idealer aber doch deutlicher Effekt der Verpolung des Hochtöners

Die kleine "Delle" um 3 kHz (Bereich der maximalen Ohrempfindlichkeit) macht die Kombination etwas "sanfter".


Auslegung der Weiche für den Super-Hochtöner

Der Super-Hochtöner soll nur "oben rum" für etwas Glanz sorgen und den Energiefrequenzgang linearisieren. Die "Trennfrequenz" sollte bei ca. 10 kHz liegen, da reicht ein Vorwiderstand. Auch eine Steilheit von 12 dB/Oktave reichte völlig aus. Das endgültige Layout wurde - wie auch bei den anderen Zweigen - dann durch Hörversuche festgelegt.

Und so sieht dann die komplette Weiche aus:


Messung im Hörraum

Zunächst einmal sollte überprüft werden, ob das Boxsim-Modell auf Chassis-Ebene stimmt (und wir uns nicht ggf. "versteckt" haben):


-> da sind doch gewisse Ähnlichkeiten zur Boxsim-Simulation zu erkennen . . .

Eines der Entwicklungsziele war, eine "geringere Abhängigkeit von der Ohrhöhe" zu erreichen. So sah es vorher aus:

Und so nachher:


-> das hat gerade beim Übergang Mitteltöner/Hochtöner gut geklappt!

Schließlich wurde noch überprüft, ob die "Schärfe" und "Aggressivität" der bisherigen Weiche reduziert werden konnte - ohne eine akustische Schlaftablette daraus zu machen. Eine Messung des Frequenzgangs am Hörplatz kann nur sehr oberflächlich den deutlich anderen Klangeindruck wiedergeben:

Unsere Abonnenten können sich das Boxsimprojekt hier herunterladen.

Die erhöhte Wärme im Grundtonbereich (150 - 400 Hz) kam vor allem Männerstimmen sehr entgegen. Sie wurde aber erst durch die breitbandige Absenkung um knapp 2 dB oberhalb von 1250 Hz wirksam. Im oberen Frequenzbereich verläuft die Frequenzgangkurve nun auch deutlich gleichmäßiger, das trägt zu einer ausgewogeneren Wiedergabe im Mittel- und Hochtonbereich bei.

Auch der Auftraggeber war voll mit dem zufrieden was er bei uns gehört hatte. Durch die steckbare Frequenzweiche konnte er die "neue" gegen die "alte" Weiche hören und die Änderungen nachvollziehen.

So sieht es in unserem Hörraum aus wenn wir einen Lautsprecher abstimmen

Damit der Kunde sich die Unterschiede anhören konnte, wurden zwei Weichen zum Hörtermin bereitgestellt

Etwas Kosmetik für die Mitteltonkalotten war auch noch drin, zunächst Staub abziehen,

dann die "grauen" Stellen nachschwärzen.

Ebenfalls eine Spezialität von Dynaudio, die Variovents (Fließwiederstand)

Mittlerweile hat er die Box wieder zu hause und nach unserem Vorschlag umgebaut. Auch dort bestätigte sich die positive Tendenz der "neuen" Abstimmung. Am besten gefiel uns der Kommentar, das nun "mehr musikalische Infomation rüberkommt" - darum geht es doch schließlich . . .

Und wenn er mal umziehen oder ein anderes Klangideal haben sollte hat er immer noch das validierte Boxsim-Modell, welches kleinere Änderungen präzise vorhersagen kann. Das ist der große Vorteil dieser Vorgehensweise - sozusagen eine Investition in die Zukunft.

 


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Kommentare

Cay-Uwe Kulzer
11 jahre vor
Ein sehr fundierter Bericht, gute Realisierung und ich bin sicher, dass der Kunde sehr zufrieden ist.

Nichts desto trotz, muss ich hier eine Lanze für Dynaudio brechen, denn streng genommen ist dieser Umbau keine Compound 5, bei der die Chassisanordnung auf dem Kopf stand, wie im übrigen bei allen Boxen der Compound Serie.

Das ist unbedingt notwendig um die Originalweiche zu nutzen. Da Dynaudio mit flachen Filtern ( 6dB ) arbeitet, ergibt sich zwangsläufig eine nicht optimale Abstrahlcharakteristik in der Vertikalen, was an den Messungen zu sehen ist.

Gut zu erkennen ist, dass die Abstrahlcharakteristik unterhalb des Hochtöners "glatter" und ruhiger verläuft. Würde die Anordnung wie im Original sein, dann hätte man auf der typischen Hörachse ( ca. 90cm Höhe ) einen sehr ausgeglichenen Frequenzgang, da ungerade Filter ( 6dB, 18dB, etc. ) in der Vertikalen sich in Richtung Tiefpasschassis addieren. Rein theoretisch ergibt sich eine Abstrahlrichtung bei 14° liegt. Bei der originalen Compound 5, also leicht nach oben. Daher sind die Chassis so angeordnet.
spendormania
14 jahre vor
Glückwunsch zur Modifikation. Der Aufwand hat sich ohne Zweifel gelohnt.

Gruß
Ludger
doctrin
14 jahre vor
Schöne Artikelreihe, hat mir wirklich sehr gefallen!!!

:-)

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