Coax-Spezial fürs Regal

Immer wieder mal bekommen wir Anfragen wie: "ich kriege die Weiche nicht hin - könnt ihr mir helfen?" Manchmal helfen ein paar Tipps per E-Mail, aber manchmal würden die Leute die Box am liebsten einfach schicken und perfekt wieder bekommen. Das geht natürlich gar nicht.

Wenn es sich aber um ein interessantes oder pfiffiges Konzept handelt und der Hilfsbedürftige auch noch in der Nähe wohnt, dann laden wir ihn schon mal auf einen Kaffee ein und hören uns "das Elend" an. Durch Querchecken mit einer von unseren Boxen wissen wir dann recht schnell wo der Hilfesuchende hin will und ob das mit dem vorhandenen Konzept realistisch ist.

Solch ein pfiffiges, hilfebedürftiges Projekt ist der DIY-Regal-Coax unseres Abonnenten CS. Von vornherein stand fest:

• der Lautsprecher kommt in ein Regal und soll daher möglichst kompakt ausfallen und unauffällig sein
• ein Subwoofer ist vorhanden, der Lautsprecher muss also nur bis 100 Hz runter kommen
• der Wirkungsgrad soll hoch liegen, da nicht viel Verstärkerleistung vorhanden ist, ab und zu aber mal laut gehört werden soll
• und allzu teuer soll es auch nicht werden ;-)

 

Und diese Vorgaben wurden auch sehr gut umgesetzt. So sieht das Ganze dann aus:

Na, habt ihre die Satelliten gefunden? Kleiner Tipp: linkes Regal, 3. Fach von unten, ganz links - das sind sie! Und so sehen sie aus der Nähe aus:

Als Tief-/Mitteltöner wurde ein FANE Sovereign 8-225 (Datenblatt des Herstellers) gewählt, ein 20er Chassis mit immerhin 97 dB Wirkungsgrad, der bis 100 Hz runter gehen soll und schon für unter 40 € erhältlich ist. Als Hochtöner kommt der 94 dB/W/m laute MONACOR DT-28N zum Einsatz (unser Datenblatt), der ebenfalls für unter 40 € zu bekommen ist. Statt den DT-28N mit seiner 55x55 mm "kleinen" Frontplatte nur mit dünnen Stegen vor den FANE zu positionieren wurde ein 60 mm breiter Steg eingesetzt, der zur Vermeidung von Reflexionen hinten etwas mit Filz belegt wurde. Die Öffnung wurde 45° angefast und führt so die Schallführung fort.

Statt einem Bassreflexrohr wurden vier dreieckige Kanäle in den Ecken der Frontplatte angebracht - platzsparender geht es nicht! Der FANE wurde nicht eingefräst sondern eine 5 mm starke Hartfaserplatte doppelt die Frontwand im äußeren Bereich auf - das ist schon alles recht filigran gemacht.


Ausgangszustand:

In "Anlieferungszustand" klangen die Satelliten zwar ausgewogen, aber deutlich mittenlastig:


-> kaum Grundton und Bass (Messung Freifeld, im Regal sicher mehr)
-> ab 700 Hz sehr linear, um 2.5 kHz leichte Streuung


-> BR-Abstimmung auf 58 Hz (Box Nr. 1), Impedanzminimum von 2.6 Ohm bei 2.3 kHz (da schwingt wohl was)
-> bei Box Nr. 2 klappert die Frontplatte, dies verändert ggf. auch die BR-Abstimmung

Und so sah die Weiche im Anlieferungszustand aus:


Hinweis: Die Messungen erfolgten OHNE den Sperrkreis 0.82 mH/11uF/6.6 Ohm

Als nächstes erfolgten die Messungen der Einzelchassis mit und ohne Weiche:


-> Übernahmefrequenz 2.5 kHz (sehr steile Flanken)


-> der Tieftöner fällt relativ früh ab
-> Einbruch des Hochtöners bei 1.7 kHz

Der Einbruch bei 1700 Hz kommt wohl von der Reflexion an dem dahinter liegenden Tieftöner und ist ein prinzipielles Problem eines solchen "Vorbaus".

Der Tieftöner ist mit Weiche bei 2.2 kHz über 6 dB lauter als ohne Weiche. Dies geht nur wenn sich durch die Beschaltung ein Schwingkreis ergibt (der Kondensator parallel zum Tieftöner schwingt mit der Induktivität der Schwingspule). Dies hat immer einen Einbruch in der Impedanz zu Folge, in diesem Fall geht die Gesamtimpedanz trotz 8 Ohm Tieftöner und 6 Ohm Hochtöner auf kritische 2.6 Ohm zurück.

Und wie sieht nun das Rundstrahlverhalten aus? Das soll ja der große Vorteil eines Koaxial-Lautsprechers sein:


-> relativ gleichmäßiges horizontales Rundstrahlverhalten > 700 Hz


-> sehr gleichmäßiges vertikales Rundstrahlverhalten

Der Höhenunterschied von 20 cm in 50 cm Abstand (bzw. 100 cm in 250 cm Abstand) entspricht einem Winkel von 22°. Da der Hochtöner 3 cm höher sitzt beträgt der Winkel dort nur 19°.

An diesem Punkt kann man sagen, dass das grundlegende Design (DT-28N auf Steg vor FANE) funktioniert. Die momentane Weiche ist aber zu mittenlastig und elektrisch kritisch (Impedanzminimum 2.6 Ohm). Um eine "bessere" Weiche zu entwickeln sollte man noch mehr über das Verhalten der Chassis OHNE Weiche messen. Daraus kann man dann schließlich auch ein Boxsim-Modell erstellen:


-> der Tieftöner kommt nur bis max. 2 kHz hoch


-> auf Achse bricht der Hochtöner bei 1700 Hz ein (Reflexion am Tieftöner)
-> auf Achse bricht der Hochtöner bei 7 kHz ein (Reflexion an Steg)


-> Reflexion nach 1.25 ms = 43 cm -> 800 Hz


-> ordentliches Abklingverhalten


-> ordentliches Abklingverhalten

Und so sieht dann das Boxsim-Modell des Ist-Zustandes aus:

Hier noch einmal die Messung mit passenden Farben:


-> passt (auch die Impedanz)

So, wenn man ein bestätigtes Boxsim-Modell hat kann das fröhliche Simulieren ja losgehen. Dann können wir ja mal ausprobieren wie der ursprünglich angedachte Sperrkreis wirkt:


-> überhaupt nicht gut (auch nicht wenn man den Hochtöner verpolt)

Da die Box nachher ja im Regal richtig funktionieren soll haben wir sie kurzerhand in unser Regal "eingebaut" und einen kleinen Subwoofer XTZ 99W10.16 dazu geschaltet, um den Frequenzbereich unter < 100 Hz abzudecken. Unsere BigLine simuliert den Kamin, der sich im Wohnzimmer von CS befindet. Ansonsten wäre eine subjektive Abstimmung nur schwer möglich gewesen:


-> die BigLine simuliert den Kaminvorbau

Trotz "Rückenwind" durch die Regalaufstellung und den Subwoofer klang die Box mit der "Originalweiche" (schwarze Kurve) auch in unserem Raum zu mittenbetont.
Hinweis: der Frequenzgang am Hörplatz sollte zu hohen Frequenzen hin kontinuierlich abfallen!

In mehreren Iterationen wurde die Weiche geändert, wobei der Erbauer der Box natürlich zugegen war und seinen Senf dazu geben konnte/sollte. Wie läuft denn so etwas ab?


Subjektive Weichenoptimierung

Zu Beginn hörten wir eine Reihe von Musikstücken und notierten uns, was uns noch störte (z.B. "die Männerstimmen bei Stück X haben zu wenig Wärme/Fülle" oder "die Sängerin (oder ein Saxophon etc.) klingt bei Stück Y zu vorlaut" oder "bei Stück Z dröhnt die Akustikgitarre" etc.). Hier braucht man viel Erfahrung und Routine um eine Idee davon zu haben wie etwas klingen MUSS (s. a. Musik "vergleichen" mit dem Waveanalyzer). Man muss die Stücke am besten sehr gut kennen, also schon auf vielen Anlagen und sehr oft gehört haben. Dann weiß man auch worauf man achten muss weil man weiß bei welchen Stellen sich auf den verschiedenen Anlagen große Unterschiede gezeigt haben.

Selbst wenn man weiß WO noch WAS stört muss man das noch "übersetzen", will sagen: welcher Teil des Frequenzgangs (-> aktuelle Situation messen) ist für welchen "Fehler" verantwortlich, d.h. an welcher Stelle im Frequenzgang müsste welche Änderung im Pegel erreicht werden um den "Fehler" zu reduzieren? Da hilft nur Versuch und Irrtum - so lange bis es passt.

Die generelle Vorgehensweise ist also:

  1. Aktuelle Situation hören (immer wieder dieselben, bekannten Musikstücke) und notieren was noch stört
  2. Aktuelle Situation messen (im Mittel- und Hochtonbereich reicht eine"gewedelte" Messung)
  3. Hypothese aufstellen (z.B. der Pegel bei X HZ muss um Y dB reduziert werden um den "Fehler" zu beheben)
  4. Änderung mit Hilfe von Boxsim virtuell umsetzen und dann real aufbauen ("fliegender Aufbau")
  5. Geänderte Version hören -> stimmte die Hypothese ganz/etwas/gar nicht
  6. wenn die Hypothese etwas oder gar nicht stimmt: bei Punkt 2 weiter machen

ACHTUNG: die Box wird NICHT messtechnisch am Hörplatz optimiert! Die Messung NACH der subjektiven Beurteilung dient lediglich dazu Anhaltspunkte dafür zu finden an welcher Ecke was ggf. stören könnte. Wenn die subjektive Beurteilung und Umsetzung der Änderungsvorschläge gut funktioniert solle die Messung am Hörplatz zunehmend "besser" werden..

Tja, das kann ganz schön lange dauern. Ich verwende einen kleinen Trick, der den Vorgang beschleunigt: ich höre mir zunächst nur rosa Rauschen an und achte darauf, ob das Rauschen bei bestimmten Frequenzen lauter ist als bei anderen - dann hört sich das Rauschen nämlich nicht mehr perfekt gleichmäßig an sondern als wenn es einen tonalen Charakter hätte. Bevor ich dann Musik höre versuche ich zunächst diesen tonalen Charakter zu reduzieren, das rosa Rauschen also "gleichmäßiger" klingen zu lassen. Dann sind die tonalen Fehler geringer und die Wahrscheinlichkeit größer, dass bei Musikwiedergabe weniger stört. Ob ein tonaler Charakter "stört" oder als "geil" empfunden wird hängt stark davon ab, ob das jeweilige Musikstück diesen Frequenzbereich überhaupt deutlich anregt. Wenn der Bereich nur schwach angeregt wird kann eine Betonung eines bestimmten Frequenzbereichs dazu führen, dass auf einmal etwas gehört wird was vorher unterging. So schön das für DIESES Stück gelten mag - bei anderen Stücken ist damit zu rechnen, dass diese Überbetonung dann nervt. Genau dieses Problem hat man mit rosa Rauschen nicht, da sind immer alle Frequenzen gleichmäßig enthalten.

Bei der Frage: "wie erreiche" ich X dB Reduktion bei Y Hz" kann Boxsim wieder gute Dienste leisten. So eine Optimierung ist keine Einbahnstraße: manchmal schossen wir in dem Bemühen, das "Vorlaute" der Box zu reduzieren auch über das Ziel hinaus (z.B. FW3) und machten die Box zu "kleinlaut". Als wir schließlich zufrieden waren war das Ergebnis der 4. Iteration fast identisch mit der 1. Iteration - nur im wichtigen Übernahmebereich zwischen 1 und 5 kHz war die Variante FW4 deutlich linearer.


-> das kleine "Aufbäumen des Hochtöners um 9 kHz klingt "frisch"
-> der Subwoofer wurde sehr dezent angebunden

Und so sah die Weiche dann schließlich aus:

Der Anteil der Einzelzweige wurde nicht mehr gemessen, ebenso wenig wurde eine Impedanzmessung gemacht oder eine Messung des Spannungsverlaufs an den Chassis. Aber wir haben ja das Boxsim-Modell. Als Chassisdaten wurden die Messungen in der im Regal stehenden Box verwendet, wobei am Hörplatz gemessen wurde (beim Tief-/Mitteltöner lief der Subwoofer mit):


-> der Tief-/Mitteltöner ist um 850 Hz etwas vorlaut und mag nicht über 1500 Hz spielen
-> Der Hochtöner geht zwar tief runter, klirrt aber laut Datenblatt < 2000 Hz bei hohen Pegeln

Bei der Simulation wurde die Berücksichtigung der Phase deaktiviert, da diese bei gewedelten Messungen keinen Sinn macht -> die Simulation ist im Bereich der Übernahmefrequenz daher ungenau (aber dafür haben wir ja die Messung und die Ohren). Der simulierte Frequenzgang stellt damit in etwa den Energiefrequenzgang dar:


-> Überlagerung der Chassis um 1600 Hz
-> zunehmender Abfall ab 2 kHz
-> unkritisches Impedanzminimum von 5.5 Ohm bei 10 kHz


-> "Absaugung" beim Tief-/Mitteltöner um 1 kHz (6 dB), bei 2 kHz jedoch wieder voll da -> so wird der Abfall ab 1500 Hz teilweise kompensiert
-> Hochtöner ab 7 kHz bis zu 1.5 dB zu laut (Schwingneigung des Kondensators mit Schwingspuleninduktivität)
-> früher, sanfter Abfall ab 5 kHz, stärker ab 1500 Hz (Resonanzfrequenz des Hochtöners)

Allein basierend auf dem Boxsim-Modell wäre man höchstwahrscheinlich NICHT auf diese Lösung gekommen und auch NUR die Messung am Hörplatz hätte sicher eine ANDERE Weichenschaltung ergeben. Erst die subjektive Beurteilung im Hörraum mit kritischen Musikstücken erlaubt eine Entscheidung von "auf dem Papier" ähnlichen Kurven, wobei diese Entscheidung wiederum davon abhängt WELCHE Musikstücke man sich anhört - das macht die Sache so schwierig und "subjektiv".

Da wir das Gehäuse nicht selbst gebaut haben gibt es nur eine kleine Skizze, die aber alle Informationen enthält (z.T. in der Kurzbeschreibung darunter) um die Box nachzubauen:

  • Gehäuse außen ca. 27x27x30 cm (BxHxT), 12mm Wandstärke (ca. 14 l Nettovolumen)
  • 4x BR-Kanäle 3.5x3.5cm (dreieckig), ca. 10 cm lang
  • Hochtöner auf 6cm breitem und 5 mm starkem Steg 3 cm nach oben versetzt (Steg von hinten mit 5 mm Filz "unsichtbar" belegt)
  • alle Innenwände mit 40 mm Noppenschaumstoff belegt

Der Erbauer hat auch ein Photo vom endgültigen Weichenaufbau gemacht:

Unsere Abonnenten können sich das Boxsim-Modell hier herunterladen.

Natürlich wollen wir euch auch den Subwoofer nicht vorenthalten, wir hatten zu einem PushPull-Woofer mit vier Tangband W69-1042 im 70 Liter Gehäuse geraten. Die Dinger funktionieren, aktiv entzerrt, einfach sagenhaft, kennen wir ja auch schon aus der DreiZwo.


 


Fazit:

Dank unserer Hilfe konnte dieses interessante Koax-Konzept doch noch "gerettet" werden. Auf kleinstem Raum wurde ein Wirkungsgrad von ca. 92 dB/2.83V/m ab 100 Hz realisiert, der kleinen aber feinen Verstärkern entgegen kommt. Zusammen mit einem Subwoofer mit 4x TANGBAND W69-1042 (der hinter dem Sofa versteckt ist) ist das eine recht potente, platzsparende und sehr dezent unterzubringende Kombi - und genau das wollte der Erbauer erreichen. Das ist unser Auffassung nach "Selbstbau at its best"!

Kommentare

Cspg6
11 jahre vor
Hallo Pico, Hallo Theo,

auch an dieser Stelle noch mal ein fettes DANKESCHÖN, ich hätte so eine Weiche nie und nimmer hinbekommen.

Die Koaxe spielen inszwischen schon eine ganze Weile und ich bin mit dem Klang wirklich mehr als zufrieden. Das das Vorhaben, bei den ganzen Kompromissen die ich eingehen musste, zu einem solchen Resultat führt, hätte ich im Vorfeld nie für möglich gehalten.

Da Rudolf hier mitliest und schreibt, auch noch mal ein Danke, Du hast mich in die richtige Richtung geschupst. Ich sag nur außermittiger HT. :-)

Grüße
Christian
Rudolf
11 jahre vor
Und wieder ein schöner Beweis, wie gut solche Offset-Koaxe funktionieren. Finde ich prima, dass ihr dem CS so erfolgreich helfen konntet. :-)

Eine pingelige Randbemerkung: Die Senke bei 7 kHz kommt nicht vorrangig vom Steg, sondern hauptsächlich von der nicht optimal auslaufenden Schallführung des DT-28N.

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