Gehäuseabsorption am Beispiel der Trio+

Bei unseren Projekten messen wir die Chassis immer zunächst im "leeren" Gehäuse, also ohne jegliche Absorption. Dadurch wollen wir messtechnisch überprüfen wo die schlimmsten stehenden Wellen im Gehäuse auftreten um zu verstehen welche Wandreflexionen an der stehenden Welle beteiligt sind und so die effektivsten Linderungsmaßnahmen zu ermitteln. Immer nach dem Motto: "so wenig wie möglich, so viel wie nötig!"
Beim aktuellen Kundenprojekt Trio+ (das ist eine Trio mit größerem und lauterem Bass) haben wir das mal gut dokumentiert. Da sieht man mal was da alles schief gehen kann und welchen Aufwand man treiben muss um die bösen stehenden Wellen im Zaum zu halten. Da können wir nur den Kopf schütteln über all jene, die in Absorptionsmaterial Teufelszeug sehen, welches nur die für die Musikwiedergabe ach so nötige Energie entzieht und die Wiedergabe dann "leblos" machen. Unserer Meinung nach sind stehende Wellen im Gehäuse (und im Wiedergaberaum) genauso erstrebenswert wie ein Nagel im Kopf . . .

 

 

 

 

 

 

 

Vorspiel:

Bevor man anfängt Absorptionsmaterial in ein Gehäuse einzubringen sollte man erst mal checken, ob das Gehäuse überhaupt dicht ist. Denn wenn erst mal das Absorptionsmaterial eingebracht ist wird die Suche viel schwieriger und ein eventuelle Nachbesserung viel aufwändiger. Also macht es Sinn zunächst mal bei beiden Boxen die Impedanz zu messen. Wäre z.B. eines der Mitteltongehäuse nicht richtig abgedichtet müsste die Resonanzfrequenz und das Impedanzmaximum deutlich unterschiedlich sein:

Die Resonanzfrequenz vom "linken" Chassis (schwarze Kurve) ist etwas höher. Da JustOct nur bei wenigen Festfrequenzen im 1/12 Oktavabstand die Impedanz misst wird das Impedanzmaximum leicht verfehlt und ist etwas tiefer. Dies ist aber noch kein Hinweis auf eine Undichtigkeit - dann wäre das Impedanzmaximum deutlich tiefer und die Resonanzfrequenz müsste dann ja tiefer liegen (das "Loch" reduziert die Steifigkeit der Luftfeder) statt höher.

Die Tieftöner sehen identisch aus, die Impedanzmaxima liegen bei sehr hohen Werten, das Impedanzminimum bei 27 Hz liegt auf niedrigerem Niveau. Eine Undichtigkeit würde Strömungsverluste bewirken, sodass die Impedanzmaxima niedriger und das Impedanzminimum höher wäre.

Natürlich kann man auch einen sehr tiefen Ton spielen (z.B. 20 Hz) und bei allen möglichen Ritzen/Spalten fühlen, ob Luft entweicht. Um das beim Mitteltöner zu machen hätte man den Tieftöner ausbauen müssen um an diese Stellen zu gelangen. Beim Tieftöner hätte man das Bassreflexrohr abdichten müssen. Da war eine Impedanzmessung deutlich weniger aufwändig.

Mitteltonsektion:

Nachdem das Thema "Dichtigkeit" positiv abgeschlossen wurde wenden wir uns nun dem Thema "richtige Absorption" zu. Dazu muss man in die Impedanzmessung hineinzoomen und auf kleinste Abweichungen zum "erwarteten" Verlauf achten: an diesen Stellen weicht der Impedanzverlauf von dem Verlauf eines idealen Chassis ab. Das kann 2 Gründe haben:

  1. Das Chassis ist nicht ideal und hat z.B. eine Membranresonanz
  2. Eine stehende Welle im Gehäuse erzeugt Rückwirkungen auf die Membran, die wiederum Rückwirkungen auf den Impedanzverlauf ergibt

Ob es sich um Grund 1 oder 2 handelt kann man z.B. durch den Vergleich mit einer Freiluftmessung ermitteln. Oder aber man fügt Absorptionsmaterial ein: wenn die "Störstelle" weg ist muss es sich um den 2. Grund handeln.

Bevor es los geht hier eine Skizze des Gehäuses der Trio+:

Lange Rede, kurzer Sinn: wie sieht es beim Mitteltöner denn nun aus?

Eine deutliche Störstelle gibt es bei 422 Hz, weitere bei 820, 1259 und 1585 Hz. Das sind ziemlich genau Vielfache der ersten Störstelle, also liegt der Verdacht nahe, dass es sich um eine stehende Welle handelt. Dazu müsste die Netto-Gehäusetiefe bei 422 Hz (Wellenlänge = 343/422 = 0.813 m) gerade eine halbe Wellenlänge lang sein, also 40.6 cm - was in diesem Fall ziemlich genau hinkommt (s. Skizze oben), denn die stehende Welle tritt ja zwischen Gehäuserückwand und Membran auf. Zunächst mal gucken wir uns aber den Schalldruck in 5 cm Abstand von der Mitteltonmembran an:

Ei, ei, ei, ei, ei - das sieht ja gar nicht so schön aus wie in unserem Datenblatt des VISATON AL130M:

Die Störstellen treten genau bei den Frequenzen auf, bei denen auch die Störstellen in der Impedanz auftraten. Und die Abweichungen vom eigentlichen Verhalten des Chassis sind erstaunlich groß - wer hätte das bei einer relativ schweren und steifen Membran aus Aluminium gedacht?

Üblicherweise füllt man ein bisschen Polyestervlies in das Mitteltongehäuse. Eine Packung Sonofil soll für 20 Liter ausreichen und enthält eine 35 x 100 cm große Matte. Wir haben hier eine Matte mit den Abmessungen 24 x 53 cm aufgerollt und mit etwas Abstand zur Rückwand in das Gehäuse geschoben. Das Gehäuse hat ein Volumen von ca. 4.5 Litern, die verwendete Matte hätte für 7.3 Liter reichen sollen, wir haben also 1.66x so viel wie empfohlen verwendet. Und so sieht der Impedanzverlauf dann aus:


-> die Störstelle bei 420 Hz wandert etwas nach unten, ist aber noch deutlich erkennbar
-> die höheren Störstellen werden nur leicht beeinflusst

Und was sagt der Schalldruckverlauf in 5 cm Abstand von der Membran:


-> die Störstelle bei 420 Hz wird deutlich entschärft, aber es bleibt noch eine Stufe von 2 dB übrig
-> dies gilt sinngemäß auch für die höheren Störstellen


 

Wie funktioniert Absorption (bei porösen Absorbern)?

Das "übliche" Polyestervlies (Sonofil) sieht zwar schön aus, aber offenbar reicht die akustische Wirkung selbst bei 66% überdimensionierter Füllung nicht aus.
Absorption wird bei einem porösen Absorber dadurch erreicht, dass dem Schall beim Durchströmen des Absorbers ein Widerstand entgegengesetzt wird: durch "innere Reibung" wird dem Schall dadurch Energie entzogen. Der sogenannte Strömungswiderstand darf nicht zu klein sein (dann ist der Effekt zu gering), aber auch nicht zu groß (dann wird der Schall zum größten Teil gleich reflektiert und dringt gar nicht erst in das Material ein).

Den Strömungswiderstand kann man leicht selbst feststellen, in dem man durch das Material "pustet":

  • bei einer Lage Polyestervlies merkt man kaum den Widerstand beim Pusten,
  • bei einer Lage Glaswolle (bitte ein Vliestaschentuch dazwischen legen !!!) ist der Widerstand deutlich spürbar

Kurz gesagt: der Strömungswiderstand von Polyestervlies ist (unkomprimiert) viel zu gering, der von Glaswolle ist groß genug um gut zu wirken und klein genug, damit der Schall nicht gleich reflektiert wird.
Das ist der Grund, warum wir in vielen unserer Bauvorschlägen Glaswolle einsetzen - selbst in Bassreflexboxen. Dort kann die Glaswolle aber nicht direkt "nach draußen gucken" sondern bekommt immer eine Lage Noppenschaumstoff als "Rieselschutz" verpasst - so ist das sowohl für das Chassis (die Fasern können nicht in den Luftspalt gelangen) als auch für den Hörer unbedenklich.


 

Wenn man das Gehäuse zu 3/4 mit Glaswolle füllt und mit einer Lage Noppenschaumstoff abschließt sehen die Messungen wie folgt aus:


-> die Störstellen sind nicht mehr als solche erkennbar
-> die mechanische Güte ist deutlich reduziert, daher ist das Impedanzmaximum deutlich breiter


-> perfekter Verlauf bis 2.3 kHz
-> unten rum ist das Chassis deutlich leiser

Hier noch mal der Vergleich der Impedanz:


-> das Impedanzmaximum wird deutlich abgebaut (rot = Absorption final, grün = Absorption "light")

Die folgende Tabelle zeigt den Einfluss auf die TSPs:

Zustand Fres [Hz] Qm [-] Qe [-] Qt [-]
Chassis L, ohne Absorption 98.51 10.06 0.954 0.871
Chassis L, mit Absorption final 91.75 1.415 0.793 0.508
Chassis R, ohne Absorption 95.06 12.00 0.943 0.874
Chassis R, mit Absorption "light" 91.61 5.159 0.903 0.768

Die "finale" Absorption schießt ggf. etwas über das Absorptionsziel hinaus, ist aber ein guter Ausgangspunkt für die Abstimmung der Frequenzweiche. Wenn diese abgestimmt ist kann man die weitere subjektive Optimierung der Absorption angehen.

Tieftonsektion:

Und wie sieht das Ganze beim Tieftöner aus?


-> die Störstellen bei 300, 420 und 500 Hz wurden deutlich abgebaut
-> um 170 und 195 Hz kommen Störstellen hinzu
-> die Abstimmfrequenz sinkt von 27 auf 25 Hz, das Impedanzminimum steigt von 6.38 auf 6.98 Ohm


-> die Störstelle bei 300 Hz wird deutlich entschärft, aber es bleibt noch eine Stufe von 2 dB übrig
-> die höheren Störstellen werden komplett linearisiert

Die Störstelle bei 420 Hz kennen wir schon - das ist eine stehende Welle zwischen Vorder- und Rückwand. Bei einer Bassreflexbox kann man das Gehäusevolumen nicht komplett mit Absorptionsmaterial füllen ohne den Bassreflexeffekt deutlich zu reduzieren. Hier mal eine Skizze welches Absorptionsmaterial wo angebracht wurde:

  • In der Gehäusetiefe wurde also schon 1 Lage Glaswolle (50 mm) mit 1 Decklage Noppenschaumstoff (40 mm) angebracht um die Dicke der rückwärtigen Absorption auf bis zu 90 mm zu erhöhen
  • Am Gehäuseboden haben wir einen "akustischen Sumpf" angelegt aus 3 Lagen Glaswolle (50 mm) und einer Decklage Noppenschaumstoff (40 mm)
  • Die Seitenwände der "unteren Kammer" wurden ebenfalls mit Noppenschaumstoff (40 mm) belegt
  • In der "oberen Kammer" wurden die Seitenwände mit Noppenschaumstoff (40 mm) belegt. Über das Rohr (= Mitteltongehäuse) wurde eine Matte Polyestervlies 35cm x 100 cm "gehängt"

Folgende stehende Wellen sind zu erwarten:

Richtung Abmessung [cm] Fres [Hz] 2x Fres [Hz] 3x Fres [Hz]
Tiefe T 39.3 436 873 1309
Breite B 31.6 543 1085  
Höhe H 95.6 179 359 538
Breite+Tiefe Wurzel(B²+T²)=50.4 340 680 1020
Breite+Tiefe+Höhe Ringversteifungen Wurzel(B²+T²+32²)=59.7 287 574 861

Die Störstelle bei 300 Hz ist mit stehenden Wellen zwischen jeweils einem Paar paralleler Wände offenbar nicht zu erklären - dazu bedürfte es einem Paar Wände im Abstand von 58 cm. Die gibt es aber leider nicht - oder doch?!? Die Ringversteifungen auf etwa 1/3 und 2/3 der Gehäusehöhe sind 31.6 x 39.3 cm groß (1242 cm²) und haben 6 Löcher à 10 cm (zusammen 471 cm²) -> der Lochanteil beträgt nur 38%. Was wäre wenn es eine stehende Welle zwischen dem Deckel und der unteren Ringversteifung gäbe und gleichzeitig eine stehende Welle zwischen dem Boden und der oberen Ringversteifung? Beide Abstände betragen etwa die gesuchten 58 cm.
Die einzige andere Erklärung wäre eine umlaufende Welle (s. rosa Kasten) innerhalb des "Käfigs" bestehend aus den beiden Ringversteifungen, den Seitenwänden und der Front-/Rückwand. Für eine "Runde" in diesem Käfig über 6 Reflexionen wäre eine Strecke von 119.4 cm zurück zu legen, das entspricht der Wellenlänge bei einer Frequenz von 343/1.1194 = 287 Hz. In beiden Fällen wäre das Problem der geringe Lochanteil der Ringversteifung. Eine Bedämpfung der Ringversteifung verbietet sich jedoch: dadurch würde der Bassreflex-Effekt zu stark reduziert.


 

Umlaufende Schallwellen
Die beiden letzten Raummoden sind sogenannte "umlaufende" Moden, wie man sie z.B. aus der Reifenakustik kennt. Obwohl das Volumen eines Reifens keine parallelen Wände hat kann eine Schallwelle auf die Idee kommen einmal das Reifeninnere entlang zu laufen - nur um nach einem Umlauf wieder auf sich selbst zu treffen. Wenn man also einen Reifen mit einer Frequenz X anregt und die Wellenlänge bei der Frequenz X entspricht dem Weg für einen Umlauf dann würde sich die Schallwelle im Reifen aufschaukeln und eine stehende Welle bildet sich aus - ganz ohne parallele Wände.

 

Für eine optimale Wirksamkeit muss ein poröser Absorber bei senkrechtem Schalleinfall eine Dicke von mindestens 1/4 der zu absorbierenden Wellenlänge haben. Das wäre also bei 343 [m/s]/(Dicke des Absorbers [m] * 4) = X [1/s] bzw. X [Hz] der Fall. Bei welcher Frequenz das bei den einzelnen "Regionen" auftritt zeigt die folgende Tabelle:

Anbringung Absorber Dicke [mm] Fopt [Hz]
Fast alle Gehäusewände Noppenschaumstoff 40 mm (Basis 10 mm, Noppe 30 mm) 40 2144
Rückwand hinter Tieftöner Noppenschaumstoff 40 mm + Glaswolle 50 mm 90 953
Gehäuseboden Noppenschaumstoff 40 mm + Glaswolle 150 mm 190 451
Mitteltongehäuse Noppenschaumstoff 40 mm + Glaswolle 300 mm 340 252

Der akustische Sumpf am Gehäuseboden wirkt bei der stehenden Welle zwischen Boden und Deckel noch gar nicht optimal - das wäre erst bei 451 Hz der Fall. Die stehende Welle zwischen Deckel und Boden wird mit Absorptionsmaterial ja sogar schlimmer - wie geht denn das? Der Tieftöner sitzt ziemlich genau in der Mitte des Gehäuses und regt dort das Gehäuseinnere an. Bei einer stehenden Welle zwischen Deckel und Boden ergibt sich bei steifen Gehäusewänden immer ein Schalldruckmaximum am Deckel und am Boden. Bei der tiefsten stehenden Welle muss es dazwischen nach einem Umweg von einer halben Wellenlänge ein Schalldruckminimum geben - was der Tieftöner aber nicht zulässt, denn der will ja dort das Gehäuse anregen -> die unterste stehende Welle kann in diesem Fall (Tieftöner auf halber Höhe) nicht angeregt werden. Nach Einbringen von Absorptionsmaterial auf nur einer der beiden Seiten erzeugt man eine Asymmetrie die dafür sorgt, dass das Schalldruckminimum nicht mehr genau beim Tieftöner liegt, so dass sich die stehende Welle doch etwas aufschaukeln kann. Für die unterste stehende Welle betrachtet ist der akustische Sumpf dann also nicht optimal.

Aber was passiert bei der doppelten Frequenz? Dann gibt es ein Schalldruckmaximum beim Tieftöner, das dieser optimal mit neuer Anregungsenergie im Gleichtakt unterstützen kann -> jetzt kann sich die stehende Welle optimal aufschaukeln. Wäre da nicht der akustische Sumpf, der auf einer Seite die Energie vernichtet und so das Aufschaukeln reduziert. Bei den höheren Stehwellen wirkt der akustische Sumpf also sehr gut. 2*Fres hätte man in einem leeren Gehäuse und einer punktförmigen Anregung allerdings bei 359 Hz erwartet - und nicht bei 400 Hz, wie es die Impedanzmessung zeigt. Zum einen ist die Gehäusehöhe auf der Hälfte der Gehäusebreite durch das Mitteltongehäuse reduziert (was die stehende Welle zu höheren Frequenzen verschiebt und "verschmiert", da es keine gleichbleibende Höhe gibt). Außerdem ist der Tieftöner keine punktförmige Anregung, es könnte also eine stehende Welle von der oberen Hälfte des Tieftöners zum Deckel zum Boden zur unteren Hälfte des Tieftöners geben - was eine kürze Stecke wäre (und damit eine höhere Frequenz).

Generell kann man sich fragen: wenn der Tieftöner sowieso nur bis 400 Hz arbeitet, warum belegt man alle Seiten mit Noppenschaumstoff, der ohnehin erst ab 2144 Hz optimal wirkt?
Zum einen wirkt der Noppenschaumstoff natürlich auch schon bei tieferen Frequenzen (er absorbiert nur noch nicht alles). Zum anderen trifft der Schall bei höheren Frequenzen meist schräg auf das Material und nicht senkrecht, daher "sieht" der Schall eine größere Materialstärke -> das Material absorbiert dann schon bei der halben Frequenz sehr effektiv.

Und der Tieftöner überträgt natürlich auch höhere Frequenzen als 400 Hz - allerdings wird er da zunehmend leiser. Dennoch wäre eine unbehandelte stehende Welle dann noch raushörbar:

  • wenn das Aufschaukeln stark genug ist,
  • und sie "nah genug" an der Trennfrequenz liegt,
  • und die Filtersteilheit "flach genug" ist

Mindestens eine Oktave oberhalb der Trennfrequenz sollte man daher alle stehenden Wellen in Schach halten und ein zu starkes Aufschaukeln verhindern.

Und schließlich gibt es bei einer Bassreflexbox noch eine andere Problematik - das Bassreflexrohr. Das soll zwar nur die Abstimmfrequenz durchlassen, hat aber aufgrund seiner Länge auch ein Eigenleben - welches man tunlichst nicht anregen sollte. Wenn nämlich gerade eine halbe Wellenlänge ins Bassreflexrohr passt schaukelt sich die Welle im Rohr auf und schon kleinste Anregungen am Rohranfang (= innen) können zur Schallabstrahlung am Rohrende (= außen) führen. Als Länge des Bassreflexrohres zählt dabei nicht die messbare, physikalische Länge sondern die "akustisch relevante" Länge: an den Enden des Rohres schwingen nämlich noch "Luftpfropfen" mit, weil der Schall nicht gleich merkt, dass das Rohr schon zu Ende ist. Die Länge der mitschwingenden Luftpfropfen hängt vom Durchmesser des Bassreflexrohres ab und ob das Rohr ins Freie strahlt (das ist meist im Boxeninneren der Fall) oder in eine "große" Schallwand (das ist meist außen der Fall). Zur Berechnung der akustische relevante Länge bzw. der untersten stehenden Welle eines Bassreflexrohres kann der ONLINE-Rechner im Artikel Simulation von konischen BR-Rohren genutzt werden. Bei konischen BR-Rohren wie dem BR/HP100 (Durchmesser außen/innen 100/92 mm, Länge 197 mm) berechnet man zunächst den effektiven Durchmesser (s. ONLINE-Rechner am Ende des o.g. Artikels) und erhält 96.08 mm. Bei einem Gehäusevolumen von 110 Litern und einer Abstimmfrequenz von 27 Hz kommt man bei einem 96.08 mm durchmessenden Rohr auf eine physikalische Länge von 19.97 cm - das kommt doch schon mal gut hin. Dabei sind dann stehende Wellen bei X*635 Hz zu erwarten.

Und wie sieht nun der Schalldruck in 5 cm Abstand vom BR-Rohr aus?


-> ohne Absorption (schwarze Kurve) sieht man sehr "schön" die stehende Welle bei 179 Hz (Gehäusehöhe)
. . . und viel "Schmutz" zwischen 600 und 1800 Hz (teilweise weniger als 10 dB unter dem "gewünschten" Pegel bei der Abstimmfrequenz
-> mit Absorption (rote Kurve) ist der BR-Effekt etwas tiefer und etwas leiser
. . . und der hochfrequente Schmutz ist 20 dB unter dem "gewünschten" Effekt

Trotz guter Wirksamkeit des Noppenschaumstoffs bei 1.6 kHz wird die Spitze dort nur ca. 10 dB abgebaut - hier fällt 3*Fres (Breite) mit 1628 Hz mit 4*Fres (Tiefe) mit 1745 Hz zusammen. Kritischer (weil näher an der Trennfrequenz) ist aber die Überhöhung bei 635 Hz - das ist die Rohrresonanz. Hier muss man dafür sorgen, dass diese nicht zu stark angeregt wird.

Fazit:

Stehende Wellen (= Raummoden oder Dröhnfrequenzen) gibt es nicht nur im Hörraum sondern auch im Gehäuse. Durch Impedanzmessungen und Schalldruckmessungen im Nahfeld kann man im "nackten" Zustand die Problembereiche erkennen und durch Analyse der Abmessungen die beteiligten Reflexionen herausfinden. Dies hilft dabei möglichst effektive Abstellmaßnahmen zu entwickeln, die die Störung möglichst gut reduzieren ohne den Bassreflexeffekt zu stark abzuwürgen.

Die Entwicklung einer optimalen Absorptionsstrategie kostet Zeit - und das eingebrachte Absorptionsmaterial kostet Geld (und Zeit es zuzuschneiden). Bei einem Gehäuse wie dem der Trio+ wird ordentlich Material benötigt:


Hinweis: die angegebenen Kosten beinhalten den Verschnitt und die Kosten für den Zuschnitt.

Das teuerste ist der Noppenschaumstoff (von dem auch große Flächen benötigt werden), die akustisch hoch wirksame Glaswolle kostet kaum etwas, weil sie großindustriell auch für die Wärmedämmung eingesetzt wird (nicht zugeschnitten kostet 1 m² sogar unter 2 €, aber 1. muss so ein Paket Glaswolle auch erst mal vom Baumarkt geholt werden (= Zeit) und 2. ist das Zuschneiden kein schöner Job und kostet 3. auch noch Zeit).

Bei einem Projekt wie der Trio+ mit Chassis für über 600 €/Box (UVP für VISATON TIW300, AL130M und KE25SC) sind die 35 € für eine optimale Absorption sicher bestens investiert: Fehler durch stehende Wellen, die man nicht "vor Ort" bekämpft, bekommt man später nicht mehr in den Griff - und das wäre bei so hochwertigen Chassis unverzeihlich . . .

Kommentare

easysein
8 jahre vor
Hallo,
ich habe leider nicht die Messmöglichkeiten.
Gibt es eine Faustformel oder kann man sagen besser Noppenschaum einbringen als es zu lassen?
Verschlechtern kann man doch nichts, oder?
Gruß
Ingo
wolfgang520
8 jahre vor
Hallo Pico,
ich habe mich nun ran gemacht und wollte genau nach Deiner Anleitung verfahren. In einem kleinen Gehäuse (Innen: 240mm x 120mm x 136mm)habe ich eine 2 Wege box untergebracht. TMT ist der 12W/8524G00.
Ohne Füllung war die Impedanzkurve schon fast ideal. Eine kleine Beule konnte man bei 700 Hz sehen.
Ich frage mich, wieso ohne Dämmung beinahe keine Resonanzen erkennbar waren. Kann es sein, dass die Glasfasermembran des TMT aufgrund ihres Gewichts nicht so empfindlich reagiert?
chro
8 jahre vor
Ja ich kann mich da Yogibär nur vollends anschließen. Eifach super. Das erklärt einem in wenigen Worten worauf zu achten ist. Einfach genial. Vielen Dank

BG Timo
Alexander Heißmann
8 jahre vor
Schöner Artikel.
Euren Umgang mit Glaswolle und deren Empfehlung empfinde ich allerdings als bedenklich.
Selbst wenn das mit dem Noppenschaumstoff als Schutzmaßnahme funktionieren sollte, was ich bezweifle, bleibt die Verarbeitung der Glaswolle (Zuschneiden, Einbringung in das Gehäuse etc) als Quelle einer Freisetzung von Fasern.
Ein Hinweis auf geeignete Schutzmaßnahmen wäre mE angebracht.

lg
Pico
8 jahre vor
Hi Sonnenblumentau,

natürlich sollte man bei der Verarbeitung von Glaswolle entsprechende Schutzmaßnahmen ergreifen und das nicht in der Wohnung machen.

Außerdem sollte man nicht auf die heiße Herdplatte fassen und sich vor dem Verlassen der Wohnung immer die Schuhe zubinden. Und Katzen gehören zum Trocknen nicht in die Mikrowelle.

Bei allen diesen Dingen (und noch vielen mehr) gehe ich davon, dass das allgemein bekannt ist.

Warum bezweifelst Du, dass Nippenschaumstoff die Fasern in der Box hält? Man muss den Noppenschaumstoff natürlich passgenau (= etwas zu groß) und mit sauberen, geraden Schnitten zuschneiden und nicht "ungefähr" zerreißen. Die Schamstoffporen sind sehr klein, verschachtelt und das Material "bremst" ziemlich - da flutscht nix durch.

Gruß Pico
Alexander Heißmann
8 jahre vor
Hi Pico

Die gefährlichen Fasern sind seeehr klein, und ich bin mir nicht sicher, wie groß die Poren des Schaumstoffes in Relation dazu sind ... Ich sage nicht, daß es nicht funktioniert, nur, daß ich daran zweifle.
Ich hätte da gerne konkreteres, als "da geht nix durch" bevor ich das machte.

Und ein sehr passgenauer Zuschnitt mit ein paar mm Zugabe ist bei Noppe auch nicht ganz ohne, aber durchaus machbar.

lg
Clemens Sebastian
8 jahre vor
Hi Sonnenblumentau

'gefährlich' ist leider auch wenig konkret

wenn 'Millimeter' bei der Noppe das Problem sind
dann würde ich in 'Zentimeter' zugeben
Messlatte und Cuttermesser sollten genügen


Heiki
DIYHarry
8 jahre vor
Obwohl ich mittlerweile ein Dipol Fan bin, fand ich den Bericht exzellent und kompetent geschrieben- Danke dafür.
Servus aus Wien
hifialex
8 jahre vor
Wie schlägt sich denn Basotect im Vergleich mit Glaswolle?
Wäre das eine etwas "sauberere" Alternative?
1
Pico
8 jahre vor
Hi hifialex,

Q: Wie schlägt sich denn Basotect im Vergleich mit Glaswolle?
A: Die Frage kannst Du Dir leicht selbst beantworten, indem Du mal durchpustest.

Der sog. Strömungswiderstand ist höher als von Polyestervlies (z.B. Sonofil), etwa in der Größenordnung wie gleich dicker Schaumstoff und deutlich geringer als Glaswolle.

Da Glaswolle nah am Optimum liegt ist Schaumstoff (und damit auch Basotect) schlechter als Glaswolle (bezogen auf die Dicke des Materials).

Da Basotect sehr leicht ist punktet es beim Vergleich Wirkung pro kg.

Gruß Pico
wolfgang520
8 jahre vor
Solch einen praxisnahen Bericht findet man in keinem Fachbuch. Was nutzen dem Selbstbauer theoretische Formeln, wenn nirgends beschrieben wird wie diese in die Arbeit einfließen können. Auch meinerseits vielen Dank für diesen Bericht.
Für mich ergibt sich aus dem Inhalt jedoch sofort eine Frage. Das Dämmmaterial soll doch überwiegend im Schnellemaximum angebracht werden. Beim Bassreflexlautsprecher funktioniert das halt nicht, aber wäre es bei der geschlossenen Box in der Art nicht sinnvoll.

Gruß

Wolfgang
1
Pico
8 jahre vor
Hi wolfgang520,

Q: Das Dämmmaterial soll doch überwiegend im Schnellemaximum angebracht werden.
A: Ein poröser Absorber funktioniert im Schnellemaximum am effektivsten, denn die Schallschnelle wird ja durch "interne Reibung" in Wärme umgesetzt. DIREKT an der stabilen Wand kann man sich das Material daher auch "schenken", dann da ist die Schallschnelle 0 -> eine Art "Abstandshalter" wäre also sinnvoll.

Eine Anbringung in der Mitte ist aber nicht ganz so einfach, denn das Absorptionsmaterial soll auch nicht mitbewegt werden.

Der Einfachheit halber füllt man dann das gesamte Volumen - schaden tut es ja auch nicht ;-)

Aber bitte das richtige Material - und nicht Sonofil ;-)

Gruß Pico
wolfgang520
8 jahre vor
Hallo Pico,

vielen Dank für Deine erklärenden Worte. Da es grade auf dem Gebiet der Dämpfung wenig praxisnahe Veröffentlichungen gab (bis auf eure...) habe ich selbst auch einige Versuche getätigt. Eine langgestreckte Box, bei der die stehenden Wellen gut angeregt werden, habe ich dann mit unterschiedlichem Dämmmaterial gefüllt. Im Vergleich zum Sonofil schnitt Twaron (Angelhair) wesentlich günstiger ab. Um die gleiche Wirkung zu erzielen, benötigt man ca. 50% weniger Masse. Allerdings ist Twaron auch etwas teurer.

Gruß

Wolfgang
yogibär
8 jahre vor
Wieder einmal ein hervorragender Bericht mit präzisen Erklärungen, den ein Selbstbauer sonst und woanders nirgends bekommt!!!
Sehr informativ und wichtig für die eigene Arbeit, einfach klasse.

Danke

Yogibär

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