Messungen am legendären Mitteltonhorn SM120A der ELECTRO-VOICE Sentry III
Quelle: www.thulinn.de
Die ELECTRO-VOICE Sentry III ist ein legendärer großer HiFi-Lautsprecher der 80er Jahre (Technische Daten). Besonders ungewöhnlich war das große Mitteltonhorn mit einer Breite von fast 70 cm und einer Höhe von gut 20 cm (s. Datenblatt). Der Hornhals war "nur" 1 Zoll groß und war für Treiber mit 1-3/8" Schraubgewinde geeignet.
Unser Abonnent Hörnchen hat uns ein paar SM120A-Hörner samt Treiber ELECTRO-VOICE Model 1829 (s. Datenblatt) und passende Hochtöner ELECTRO-VOICE ST-350B (s. Datenblatt) zur Verfügung gestellt.
Impedanz der Treiber:
Zunächst wurde die Impedanz des "nackten" Treibers gemessen:
Das Model 1829 hat interessanterweise 2 Anschlüsse
- Vorne soll ein High-Frequency oder Fullrange Horn angeschlossen werden
- Hinten kann ZUSÄTZLICH ein Low-Frequency Horn angeschlossen werden
Und was passiert, wenn man die hintere Öffnung auch aufmacht?
-> die Resonanzfrequenz bleibt weitgehend gleich
Beide Treiber haben im Nutzbereich einen sehr ähnlichen Impedanzverlauf:
-> Treiber 2 hat einen etwas geringeren Gleichstromwiderstand (-4%) und eine etwas niedrigere Induktivität
Und was passiert, wenn man die Treiber mit dem SM120A koppelt?
-> die Impedanzspitzen um 600 Hz verschieben sich auf 500 Hz und werden fast auf die Hälfte abgebaut
-> die Impedanzspitze um 1850 Hz wandert nach 1350 Hz
Schalldruckverlauf im SM120A:
Das SM120A wurde oben und unten "verlängert" und auf ein Gehäuse gestellt und damit ähnlich eingebaut wie in der Sentry III:
Und so sieht dann das horizontale Rundstrahlverhalten aus:
-> von 400 bis 1600 Hz ist die Kombination relativ laut, ab da geht's bergab
-> das horizontale Rundstrahlverhalten ist aber sehr ungleichmäßig (die schwarze 0°-Kurve ist nicht immer am lautesten)!
Und so das vertikale Rundstrahlverhalten (20cm Höhenversatz in 1m Abstand entsprechen 5.7°):
-> hier tut sich fast nicht (allerdings hat sich der Winkel ja auch kaum verändert)
Wenn man die horizontalen Frequenzgänge relativ zum Frequenzgang auf Achse anzeigt sieht man das ganze Schlamassel:
-> das Horn wurde offenbar auf geringe horizontale Richtwirkung gezüchtet, bis 60° ändert sich die Abstrahlung oberhalb von 4 kHz kaum
-> dafür ändert sich die Abstrahlung unter 60° bei 500 Hz um -8 dB und unter 30 und 45° bei 1150 Hz um +8 dB
Damit ist der Frequenzgang stark von der Hörposition abhängig. Eine Sentry III wurde üblicherweise NICHT auf den Hörplatz ausgerichtet sondern mit dem Rücken an die Wand gestellt und damit ca. unter 30° gehört.
Quelle: www.audioheritage.org
Damit ergibt sich dann folgender Frequenzgang:
-> linear ist anders !!! (immerhin ist die Streuung der Chassis noch gering)
Da die Richtwirkung ja gering ist verliert man den Vorteil von typischen Hörnern, dass der Direktschallanteil am Hörplatz überwiegt -> man sollte sich auch mal den winkelgewichteten Schalldruckpegel anschauen:
-> der sieht tendenziell ähnlich aus wie die 30° Kurve
-> so sollte der Bündelungsgrad (Vergleich 0° gegen winkelgewichteten Schalldruck) definitiv NICHT verlaufen !!!
Woher kommt denn eigentlich der "komische" Verlauf auf Achse? Die beide komischen "Stege" (wofür die sind sehen wir gleich noch) dürften es nicht sein, denn die liegen auf Achse gar nicht im Schallweg und machen auch nur einen geringen Teil der Höhe aus.
Von oben sieht das Horn aus wie ein Kreissegment mit 120° Öffnungswinkel aus:
Wenn es am Ende des Horns durch den unstetigen Übergang zu sekundären Schallquellen kommt, dann summiert sich deren Effekt auf Achse (die Kanteneffekte von der linken und rechten Hornseite sind gleich), während er sich unter anderen Winkeln eher aufhebt (Kanteneffekte ungleich). Wenn man 25 Punktquellen auf der Kante anordnet (alle 5° von -60 bis +60°) und deren Überlagerung unter verschiedenen Winkeln berechnet ergeben sich folgende Effekte:
einige Aspekte der Richtcharakteristik lassen sich so erklären, zum Beispiel:
-> Abfall bei größeren Winkeln um 450 Hz
-> um 1150 Hz unter 15, 30 und 45° lauter als auf Achse !
Möglicherweise ist aber auch der "versenkte" Einbau des Horns in der Sentry III Schuld? Dies wurde ganz zum Schluss auch noch einmal untersucht.
Schalldruckverlauf im SM120A mit "vorgelagertem" ST350B:
Wer sich schon gefragt hat, wofür die komischen "Stege" gut sind - hier ist die Antwort:
In der Sentry III ist der Hochtöner zwar auf der Schallwand platziert, aber das SM120A wurde auch im PA-Bereich eingesetzt (bzw. kommt ursprünglich aus diesem Bereich), und da wurde der Hochtöner häufig wie oben gezeigt montiert. Das sollte die Schallausbreitung zumindest auf Achse stören - könnte man meinen:
-> deutlicher Effekt
Und wie sieht es unter 30° aus?
-> deutlicher Effekt
Und hier alle Winkel (horizontal) in einem Diagramm:
Und hier dasselbe bezogen auf die Abstrahlung bei 0°:
Ohne Hochtöner war es schon nicht schön - und mit Hochtöner ist es auch nicht besser geworden, wie auch der winkelgewichtete Schalldruck zeigt:
-> die Überhöhung bei 1.5 kHz legt noch 1.5 dB zu :-(
Schalldruckverlauf des ST-350B im SM120A:
-> zwischen 3 und 10 kHz typisches abfallendes Verhalten, Resonanz bei 13 kHz, starker Abfall > 14 kHz
-> auch hier zeigt sich eine relativ breite Abstrahlung, bis 30° ist kaum eine Richtwirkung erkennbar
-> hier tut sich fast nicht (allerdings hat sich der Winkel ja auch kaum verändert)
-> "komisches" Bündelungsverhalten zwischen 1 und 5 kHz
Verhalten im Zeitbereich
Bisher haben wir uns nur den Frequenzgang angeguckt. Parallel dazu wurden aber auch Messungen mit ARTA durchgeführt, die eine Auswertung der Sprungantwort und des Zerfallspektrums erlauben. Auch diese Messungen wurden in 1m Abstand gemacht.
SM120A mit Model 1829 (ohne vorgebauten Hochtöner ST-350B):
SM120A mit Model 1829 (mit vorgebauten Hochtöner ST-350B):
-> mit vorgebautem Hochtöner wird ein Teil des Schalls in das Horn zurückreflektiert und dadurch der Ausschwingvorgang verlängert
EV ST-350B in SM120A:
-> ca. 1.6ms nach dem Direktschall erreicht eine Reflexion das Mikrofon, dies entspricht einer Laufzeit von 54.9 cm, also etwa 2/3 der Horntiefe
-> der Schall wird also offenbar an den schrägen Rückwänden reflektiert (Öffnungswinkel 120°)
Da der Hochtöner VOR dem Mitteltonhorn montiert ist eilt der Hochtonschall vor:
-> der Versatz beträgt ca. 1.1ms oder 37.3 cm (= genau die Tiefe des Mitteltonhorns)
Mögliche Frequenzweiche
Eine passive Weiche für diese Kombination zu entwickeln dürfte recht schwierig werden. Wenn man mal den winkelgewichteten Schalldruck zugrunde legt stellt sich die Situation wie folgt dar:
Zum Schutz des Hochtöners sollte die Trennfrequenz nicht unter 4 kHz liegen, bis dahin produziert der Mitteltöner noch einigermaßen viel Schalldruck. Die Überhöhung des Mitteltöners um 1.35 kHz und der Anstieg des Hochtöners zu "tiefen" Frequenzen müsste aber entzerrt werden. Wenn man in Boxsim die akustische Phase der 0°-Messungen mit dem winkelgewichteten Schalldruck kombiniert kommt man z.B. auf folgendes Weichenlayout (der Einfluss der Schallwand wird ignoriert bzw. ist in den Messungen schon enthalten):
Abonnenten können sich dann das Boxsim-Modell runterladen
Andere Treiber im SM120
Möglicherweise kommt der "komische" Frequenzgang vom SM120A ja durch den "komischen" Treiber? Um das zu überprüfen wurden 2 andere Treiber mit 1" Halsöffnung und 1 3/8" Schraubanschluss am SM120A gemessen:
-> deutlich mehr Hochton, aber breiter Einbruch um 850 Hz
-> deutlich weniger Pegel unter 1000 Hz, aber ausgewogener
Es zeigt sich aber wieder kein Constant Directivity-Verhalten (nach vorne am lautesten, gleichmäßiger Pegelabfall zu den Seiten hin) sondern die Kurven laufen wieder kreuz und quer. Wenn man die Kurven auf die 0°-Kurve bezieht ergeben sich folgende Verläufe (ganz unten noch einmal der Vergleich mit dem Model 1829):
Zum Vergleich noch einmal die auf 0° bezogenen Frequenzgänge mit dem Model 1829-Treiber:
-> das RELATIVE Verhalten ist weitgehend identisch, d.h. das Rundstrahlverhalten wird ausschließlich vom Hornverlauf beeinflusst
Dann müsste ja auch der Bündelungsgrad weitgehend gleich sein:
-> im Nutzbereich weitgehend identisches Bündelungsverhalten
Der winkelgewichtete Schalldruck ist aber deutlich anders - dies wird ja auch durch den Treiber beeinflusst:
-> das Model 1829 geht am tiefsten, bricht aber schon > 1.5 kHz ein
-> der COMP-34S funktioniert ab 1.5 kHz sehr gut
-> der CDX1-1747 ist > 1 kHz am lautesten, fällt darunter und über 10 kHz aber stark ab
Freie Aufstellung des SM120A:
Weiter oben wurde bereits vermutet, dass der "versenkte" Einbau des Horns in der Sentry III Schuld an dem "komischen" Rundstrahlverhalten sei. Daher wurden die Holzplatten ober- und unterhalb des Horns entfernt und das Horn so weit nach vorne geschoben, bis der Befestigungsflansch bündig mit dem "Unterbau" abschloss (laut obiger Zeichnung um 16.7cm nach vorne).
Zum Vergleich noch einmal der Verlauf im Sentry III-Einbau:
-> bei "freier" Aufstellung geht der Schalldruckpegel bei 400 (500) Hz um 4.5 (2.5) dB zurück
-> das "komische" Rundstrahlverhalten um 500 ändert sich kaum
-> das Rundstrahlverhalten um 1150 Hz ist bei "freier" Aufstellung weniger "komisch"
-> ab 60° fällt der Schalldruckpegel bei "freier" Aufstellung stärker ab
Und wie sieht der Vergleich des winkelgewichten Schaldruck und des Bündelungsgrades aus?
-> bei "freier" Aufstellung wird weniger zur Seite abgestrahlt -> der winkelgewichtete Schalldruck geht zurück und der Bündelungsgrad steigt an
Das grundlegende Verhalten des Horns bleibt jedoch bestehen. Durch die zusätzlichen Reflexionsflächen > +/- 45° ober- und unterhalb des Hornmundes strahlt das Horn breiter, bündelt also weniger nach vorn.
Zusätzlich wurde noch einmal untersucht, wie das vertikale Rundstrahlverhalten nach oben bei "freier" Aufstellung ist. Die Höhe wurde dabei um bis zu 60 cm geändert, das entspricht bei 100 cm Messabstand einem Winkel von 31°. Die Entfernung hat sich dabei auf 117 cm erhöht, dadurch ist mit einem Pegelabfall von 1.34 dB zu rechnen:
Schließlich wurde auch noch das Klirrverhalten in 100 cm Abstand vom Hornmund untersucht. Die mittlere Anregung zwischen 500 und 2000 Hz betrug 95, 100, 105, 110 und 116 dB:
Nach unseren Untersuchungen (Klirrfaktor - wie viel ist zu viel?) wären K2 bis K4 im untersuchten Pegel- und Frequenzbereich oberhalb von 400 Hz unhörbar. Höhere Klirrkomponenten sind unter idealen Bedingungen (Sinusanregung) zum Teil bis 1 kHz hörbar.
Und so sieht der Linearitätscheck bei einer Anregung von 1 bis 10 Volt aus (dies entspricht einem mittleren Schalldruck zwischen 500 und 2000 Hz von 96 bis 116 dB):
Fazit:
Das ungewöhnlich große Mitteltonhorn der Sentry III geht in Verbindung mit dem Treiber Model 1829 bis 400 Hz runter. Die Freude währt aber nur bis 1.5 kHz, darüber fällt die Kombination fast um 10 dB ab und schafft kaum den Anschluss an das Hochtonhorn ST-350B.
Durch Wahl eines anderen Treibers kann man dieses Verhalten in Grenzen beeinflussen.
Das Horn SM120A hat < 1.5 kHz ein "komisches" horizontales Rundstrahlverhalten, darüber merkt man dem Horn an, dass es vor allem für eine sehr breite horizontale Abstrahlung optimiert ist.
Heute versucht man Hörner mit einem sog. Constant-Directivity-Verhalten zu entwickeln:
- auf Achse ist das Horn am lautesten
- zu den Seiten hin soll der Pegel möglichst gleichmäßig abfallen, so dass die Kurven denselben Verlauf haben und nur parallel verschoben abgesenkt sind
Dadurch bleibt der Klangeindruck/die Klangbalance bei seitlicher Beschallung weitgehend konstant, es wird nur leiser. In Wohnräumen bedeutet dies außerdem, dass die Reflexionen eine ähnliche Klangfarbe haben wie der Direktschall. Dies ist insbesondere bei wenig bedämpften Hörräumen vorteilhaft.
Als die Sentry III rauskam waren Hörräume (= Wohnzimmer) wesentlich stärker bedämpft (Teppichboden + Teppich, schwere Vorhänge), da war die breite Abstrahlung des SM120A durchaus sinnvoll, vor allem weil die Sentry III ja in der Regel nicht auf den Zuhörer ausgerichtet war.
Quelle: www.audioheritage.org
Theo