Der "originale" Air-Motion-Transformer ESS AMT-1

 

Für den Air-Motion-Transformer (kurz AMT) trifft das Sprichwort zu: was lange währt, wird endlich gut. Bereits 1969 zum Patent angemeldet und seit Anfang der 1970er Jahre von der US-amerikanischen Lautsprecherfirma ESS in HiFi-Lautsprecherboxen vermarktet sollte es noch fast 40 Jahre dauern, bis sich der AMT auf breiter Basis durchgesetzt hat. Erste "berühmte Nachzügler" waren der ETON ER-4 (ab ca. 2002) und der BEYMA TPL-150 (ab ca. 2007). Seit 2005 beschäftigt sich die Firma MUNDORF intensiv mit dem Thema AMT - und hat heute wohl das umfangreichste AMT-Sortiment von HiFi bis PA, "geschlossen" und als Dipol. Der kommerzielle Durchbruch kam aber auch in den letzten Jahren mit zahlreichen AMT-Konstruktionen "Made in Fernost" (AUDIOPUR, DAYTON, HARWOOD etc.), die die sehr starken Neodym-Magnete verwenden und mit Preisen zwischen 50 und 150 € "lockten".

Der ESS AMT-1 nutzt noch einen konventionellen Ferritmagneten - und ist daher ein ganz schönes "Schwergewicht". Die uns vorliegenden Exemplare stammen aus der ESS AMT-1c eines Kunden und sind schon ca. 35 Jahre alt (haben zwischendurch aber lange im Keller gelegen). Die ermittelten Daten sind daher sicher nicht übertragbar auf neuwertige ESS AMT-1 Hochtöner. Da wir aber die vorhandenen Boxen "pimpen" wollten haben wir die Hochtöner halt auf Her(t)z und Nieren in unserer Folterkammer geprüft.

 


 

Chassis-Datenblatt © www.hifi-selbstbau.de
So werden Lautsprecherchassis von HiFi-Selbstbau gemessen
Hersteller: ESS Typ: AMT-1, 4 Ohm kein Datenblatt des Herstellers verfügbar

Foto des Chassis


Der äußere Eindruck:

Beim ESS AMT-1 war alles anders als bei anderen Lautsprechern der damaligen Zeit. Der Wikipedia-Artikel zum Erfinder Dr. Oskar Heil beleuchtet eine interessante Tatsache: "Aus seinen Untersuchungen der grundlegenden Charakteristiken des menschlichen Gehörs (und nicht etwa der abstrakten Theorie, wie ein Lautsprecher arbeiten sollte) entwickelte er das Grundprinzip des Air Motion Transformers". Das klingt verdächtig nach der Vorgehensweise von Josef W. Manger, dessen Manger-Schallwandler ebenfalls durch das Verständnis des Hörvorgangs inspiriert wurde.

Aber zurück zum AMT-1: mit einer Breite von 172 mm und einer Höhe von 154 mm sieht er von vorne deutlich größer als "übliche" Hochtöner aus. Und mit einem "Kampfgewicht" von 6.6 kg dürfte er einer der schwersten Hochtöner überhaupt sein. Er sieht von hinten genauso aus wie von vorne und strahlt auch den Schall so ab. Damit ist er ein waschechter Dipol-Hochtöner.

Das folgende Bild zeigt den Aufbau des AMT:


Quelle: Stereonomono

Die von vorne sichtbaren horizontalen "Gitterstäbe" fokussieren das Magnetfeld in den Luftspalt und schützen gleichzeitig die Membran und fokussieren auch den Schall nach vorne bzw. hinten (heute würde man das wohl ein Waveguide nennen). Damals gab es noch keine Neodym-Magneten (die wurden erst 1982 erfunden), daher war die Erzeugung eines starken Magnetfeldes über einen großen Luftspalt (die Membran samt Rahmen ist 41 mm breit) nur mit viel Magnetaufwand möglich - und der Idee der "voreilenden Gitterstäbe".

 


 Die TSP:

Membranfläche:
 Breite:
 Höhe:
 Faltenhöhe/Faltenbreite:
 -> Membranfläche Sd:

 ca. 34mm
 133 mm
 ca. 4
 ca. 180 cm²

TSP (Mittelwert und Streuung
von 2 Chassis, Anregung -12 dB):
 Resonanzfrequenz Fs
 DC-Widerstand Rdc
 Mechanische Güte Qms
 Elektrische Güte Qes
 Gesamtgüte Qts
 Wirkungsgrad Eta (1m, 2.83V, Halbraum)

 871 Hz (+/-4.3%)
 2.95 Ohm (+/-0.5%)
 1.957 (+/-6.6%)
 12.936 (+/-5.5%)
 1.700 (+/-6.5%)
 101.45 dB (+/-0.20)



Die gemessene Resonanzfrequenz liegt mit 871 Hz ziemlich genau zwischen der Angabe bei Hifisound (800 Hz) und dem dort verlinkten Test in der Hobby-Hifi 5/2007 von 950 Hz. Die elektrische Güte ist sehr hoch - das hört sich zwar auf den ersten Blick gut an (Güte wie gut), meint aber, dass der Magnet die Membran im Bereich der mechanischen Resonanzfrequenz nicht gut im Griff hat. Wie bei Dipolen üblich wird das Verhalten im Bereich der Resonanzfrequenz über mechanische Verluste kontrolliert. Wir haben eine mechanische Güte von 1.7 ermittelt, das entspräche bei einem dynamischen Lautsprecher in unendlicher Schallwand einer Überhöhung von 5 dB bei 960 Hz (das ist nicht gut) und einer unteren Grenzfrequenz F3 von 598 Hz (das wäre prima).

Die Resonanzfrequenz ändert sich mit unterschiedlichem Anregungspegel so gut wie gar nicht, der AMT-1 scheint also mechanisch und elektrisch ordentlich was wegstecken zu können.

Die Streuung der TSPs ist mit im Mittel +/- 5 % recht hoch, der Impedanzverlauf von Chassis R zeigt ein "verzappeltes" Verhalten im Bereich der Resonanzfrequenz.


Der Frequenzgang:

. . . verläuft auf Achse sehr breitbandig: zwischen 750 und 20000 Hz schwankt der Frequenzgang um +/- 3.0 dB (die Standardabweichung beträgt +/- 1.22 dB). Im Detail ist der Frequenzgang allerdings dauernd wellig, insbesondere im Bereich 4 bis 7 kHz. Dafür reicht er auf Achse bis 30 kHz hoch.

Bis 30° ist die Bündelung sehr gering, und auch die 45° Kurve (= Öffnungswinkel der Schallführung) zeigt bei 12 kHz nur einen Abfall von ca. 7 dB. Bei höheren Winkeln wird der Frequenzgang und die Differenz zur 0°-Kurve zunehmend welliger.

Vertikal wurde die Mikrofonhöhe von 0 bis 25 cm in 5 cm-Schritten erhöht, das entspricht einem vertikalen Winkel von 0, 5.7, 11.3, 16.7, 21.8, 26.6° und einer Abstandsvergrößerung vom 50 auf 55.9 cm (= -0.97 dB). 10 cm höher (= 11.3° nach oben) ist der AMT-1 noch bis 9 kHz gut dabei, 20 cm höher (21.8°) geht's ab 6 kHz bergab - das ist halt der Nachteil einer Linienquelle. Viele sehen und verkaufen das als Vorteil, weil so die Reflexionen an Boden und Decken ausgeblendet werden. Dummerweise funktioniert das erst bei recht hohen Frequenzen, im kritischen Mitteltonbereich ist der Effekt leider kaum ausgeprägt . . .

Der winkelgewichtete Schalldruck und der Bündelungsgrad wurden nur unter Berücksichtigung des horizontalen Rundstrahlverhaltens berechnet und spiegeln somit nicht ganz das Energieverhalten wider. Der so ermittelte Verlauf zeigt eine leichte Überhöhung bei 3.5 kHz und insbesondere einen deutlichen Einbruch um 6 kHz. Der horizontale Bündelungsgrad ist bis 12 kHz sehr gering und zeigt bis auf eine breitere Abstrahlung um 1200 Hz und eine stärkere Bündelung um 6 kHz einen sehr gleichmäßigen Verlauf.

Zusätzlich haben wir eine Messung in unserem Hörraum am Hörplatz gemacht. Da unser Hörraum eine relativ stark bedämpft ist dominiert der Direktschall und es zeigt sich die Problemstelle um 5 kHz besonders deutlich.

Beide Chassis unterscheiden sich im gesamten Frequenzbereich nur wenig.

Pseudorauschen > 200 Hz (0°, 15°, 30°, 45°, 60°; MP3 42 kB)


Sprungantwort/Pegellinearität

Die Sprungantwort zeigt keinerlei hochfrequente Membranresonanzen sondern das längere Ausschwingen einer wenig bedämpften Grundresonanz von knapp 900 Hz. Diesem prinzipbedingten Verhalten überlagert sind einige kleinere Störungen. Das "normale" Zerfallspektrum mit konstanter Zeitachse von 0 bis 1.65 ms suggeriert ein sehr langes Ausschwingen auf der Resonanzfrequenz. Im periodenskalierten Zerfallspektrum sieht das schon nicht mehr so wild aus, hier fällt eher das verzögerte Ausschwingen von 7 bis 11 kHz und bei 27 kHz auf.

Sprungantwort (Chassis R, 50 cm, 0°)

Zerfallspektrum (Chassis R, 50 cm, 0°)


Die Pegellinearität:

Zunächst wurde der AMT-1 von 20 bis 20k Hz mit 0.5 bis 5 Volt angeregt, das entspricht einem mittleren Schalldruckpegel von 86.5 bis 106.5 dB in 1 m Abstand. Dabei verhalten sich beide Chassis recht unterschiedlich. Selbst mit einem Hochpassfilter bei 1500 Hz mit 12 dB/Oktave zeigt das linke Chassis bei Anregungen bis 10 Volt (= 25 Watt an 4 Ohm) noch Nichtlinearitäten um 1 kHz, das rechte Chassis verhält sich dann immer noch weitestgehend linear.

Dieses ungleiche Verhalten ist wohl auf das hohe Alter der immer noch originalen Faltenmembran zurückzuführen: dafür, dass beide Membranen schon 35 Jahre auf dem Buckel haben sind sie noch recht fit.


Der Klirrfaktor:

Die Klirrkomponenten steigen unterhalb von 1400 Hz (Chassis L) bzw. 1200 Hz (Chassis R) deutlich an, darüber liegen sie auf außerordentlich niedrigem Niveau - dies ist ein Merkmal vieler AMTs und ein prinzipieller Konstruktionsvorteil der gefalteten Membran. Chassis L kollabiert bei Frequenzen < 1 kHz und reagiert schon ab 95 dB mit Subharmonischen, dem Chassis R macht dieselbe Anregung wenig aus.

Bei einem mittleren Schalldruckpegel von 90 / 95 / 100 / 105 dB liegt K2 oberhalb von 1500 Hz im Mittel bei geringen 0.31 / 0.52 / 0.88 / 1.50%. Für K3 gilt in diesem Bereich ein Mittelwert von sehr geringen 0.05 / 0.09 / 0.14 / 0.19%.

Nach unseren Untersuchungen (Klirrfaktor - wie viel ist zu viel?) wäre K2 zwischen 90 und 105 dB oberhalb von 1000 Hz komplett unhörbar. Für K3 gilt dies erst ab 1400 Hz. Die höheren Klirrkomponenten sind ebenfalls ab 1400 Hz unhörbar. Unter den jeweiligen Frequenzen steigen die Klirrkomponenten besonders bei Chassis L stark an und werden dann schnell hörbar.

Beim Messen musste der AMT-1 häufig das Geräusch WindowsExclamation.wav abspielen, welches im Wesentlichen aus 2 energiereichen Sinustönen und 3 Obertönen besteht - das mochte der AMT-1 gar nicht, da die Grundwelle genau im Bereich der Resonanzfrequenz lag:

Klirrfaktor bei 90 bis 105dB/1m (frei auf Ständer, 50cm)


Modifikation:

Der relativ wellige Frequenzgang hat uns überrascht und wir haben zunächst an einen Messfehler oder an einen Einfluss der Aufstellung gedacht,

denn sowohl vorne als auch hinten kann es eine Reflexion an der Ständerkonstruktion geben. Ein Dreieck aus 4 cm dickem Noppenschaumstoff, ein Entfernen der Spikes, eine Lagerung auf Absorptionsmaterial etc. zeigte jedoch keine nennenswerte Verbesserung der Welligkeit. Beim 5. Versuch haben wir die Ursache für den Einbruch bei 12.5 kHz gefunden, und beim 15. Versuch die Ursache für die Welligkeit um 5 kHz. bis zum 21. Versuch hat es dann gedauert eine einfache, reproduzierbare und optisch ansprechende Lösung zu finden. Und so misst sich das rechte Chassis dann im Vergleich zum Ausgangszustand:

Unsere Abonnenten können sich eine Beschreibung der Umbaumaßnahmen hier herunterladen.


HiFi-Selbstbau-Fazit:

Der ESS AMT-1 hat damals alles anders gemacht als die anderen auf dem Markt befindlichen Hochtöner - und macht bis heute vieles richtig. Seine neue Idee der Schallerzeugung erlebt gerade in den letzten Jahren eine ungeahnte Bestätigung - und das fast 45 Jahre nach seiner Erfindung!

Die Dipolcharakteristik und der hohe Wirkungsgrad von über 98 dB/W/m waren lange Zeit ein Alleinstellungsmerkmal - seit kurzem gibt es ähnliche Treiber auch von MUNDORF (z.B. hifiAMT 27D1.1).

Der Frequenzgang des AMT-1 ist zwar sehr breitbandig (+/- 3 dB von 750 bis 28000 Hz auf Achse) aber im Originalzustand auch recht wellig, insbesondere um 5 kHz. Mit einer kleinen Modifikation kann man den Frequenzgang um 5 kHz deutlich linearisieren.

Sowohl Klirrfaktor als auch der Dynamiktest legen einen Einsatz ab 1500 Hz nahe - diese Empfehlung gab auch die Hobby-Hifi in ihrem Test. Das macht die Anbindung an den ESS 12" Tieftöner aus der ESS AMT-1c nicht gerade einfacher . . .

Der UVP des EMT AMT-1 liegt bei 545 €, momentan gibt es ihn beim deutschen Vertrieb Hifisound "schon" für 399 €. Das klingt viel, aber vergleichbare AMTs mit ähnlichem Wirkungsgrad (z.B. BEYMA TPL-150) liegen auch in dieser Preisklasse. Die Investition macht vor allem dann Sinn, wenn man den hohen Wirkungsgrad auch wirklich benötigt bzw. das Dipolverhalten haben will. Selbst der kleine ER-4 von ETON kostet mittlerweile 405 € und kann nicht so laut und so tief - da hat AMT-1 auf jeden Fall den besseren Kilopreis ;-)

Wir möchten hier noch einmal darauf hinweisen, dass es sich um ca. 35 Jahre alte und gebrauchte ESS AMT-1 handelt. Die Messwerte von neuwertigen Chassis dürften anders aussehen. Interessant ist in dem Zusammenhang, dass Hifisound einen Kennschalldruck von 99 dB(/W/m) angibt (das entspricht bei 4 Ohm Nennimpedanz 102 dB/2.83V/m und liegt damit sehr nahe an unseren Messungen). Auf der Herstellerseite ist "nur" von 92 dB/W/m die Rede. Wir versuchen ein neues Pärchen von Hifisound zu bekommen um das zu klären.

Kompletter Datensatz von 2 Chassis (Impedanz, Schalldruck, Bündelungsgrad und Schallleistung im OCT-Format, Klirrfaktor und komplexer Frequenzgang als TXT-Datei, ZIP, 93 kB)

Kommentare

berny
8 jahre vor
Super Grundlagenarbeit am Heil.
Danke

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