Analyse eines KlassikersDie ELECTRO VOICE Sentry III ist definitiv ein Lautsprecher-Klassiker aus den Hochzeiten der "Groß-Lautsprecher". Hier ein paar Eckdaten (Quelle: Hifi-Wiki bzw. Datenblatt EV): • Baujahre: 1976-1985 • Belastbarkeit: 50 W Sinus / 500 W Musik |
Das liest sich doch schon mal ganz imposant. Das gilt auch für den Testbericht aus der HiFi-Stereophonie 7/1975, wo der Sentry III folgendes attestiert wurde:
"Gesamturteil: Ungemein basstüchtige und -saubere Großbox extrem hohen Wirkungsgrades, die dank ihrer gewaltigen Dynamik, ihres idealen Rundstrahlverhaltens und ihrer weitgehenden Klangneutralität ein Klangbild von bewundernswerter Transparenz erzeugt und deshalb eine Spitzenposition in der Klasse der Giganten einnimmt. Für extrem hohe Pegel ebenso geeignet wie für leise Lautstärken."
Das ist jetzt 47 Jahre her, und es stellt sich natürlich die Frage, wie diese Lautsprecher nach so vielen Betriebsjahren heute klingen. Denn sowohl an den mechanischen Teilen (Chassis) wie an den elektrischen Teilen (Weichenbauteilen) hat der Zahn der Zeit kräftig genagt. Uns bot sich die Möglichkeit insgesamt vier Sentry III mal genauer unter die Lupe zu nehmen - und zwar genau die 4 Stück, die zuvor einige Monate bei Klang & Ton verbracht hatten. Dort hatte man zwar an EINER Box mal den Frequenzgang unter Winkeln, die Impedanz und den Klirrfaktor bei 85 und 95 dB (Heft 3/2022) bzw. die Wirkung des optionalen Equalizers darauf gemessen und sogar eine Weichenmodifikation gemacht (Heft 4/2022) - mögliche Unterschiede zwischen den vier Sentrys wurden aber nicht untersucht (zumindest wurde nicht darüber berichtet).
Bild der 4 Boxen im HS1
Daher wollen wir uns schwerpunktmäßig diesem Thema widmen, denn zum Schluss wollen wir ein möglichst gutes und möglichst "serienmäßiges" Paar zusammenstellen - nach über 40 Jahren, deutlich unterschiedlichen Seriennummern und unterschiedlicher Vorgeschichte wäre es schon SEHR optimistisch anzunehmen, dass sich alle 4 Boxen gleich verhalten . . .
Da uns zwei nussbaumfarbige und zwei weiße Boxen zur Verfügung gestellt wurden haben wir sie erst mal N1, N2, W1 und W2 getauft - diese Namen tauchen dann auch immer wieder bei der Beschreibung der Messkurven auf. Hier ein paar Hintergründe zu den Boxen:
Bezeichnung | Serien-Nr | gebraucht gekauft | Anmerkung |
N1 | 5055 | 1998 | X Vorbesitzer |
N2 | 5049 | 1998 | X Vorbesitzer |
W1 | 16515 | 1989 | aus Club-Beschallung |
W2 | keine | 1989 | aus Club-Beschallung (Sicke TT muss erneuert werden) |
Nachdem ein "optimales" Paar zusammengestellt wurde soll dies optional aktiviert werden, wobei der Vergleich passiv (original) gegen aktiv (mit HYPEX-Modul) durch Umstecken einer SPEAKON 8-fach-Verbindung möglich sein soll. Schließlich sollen noch beide Varianten mit der digitalen Raumkorrektur Dirac Live am Hörplatz auf eine gleiche Zielkurve entzerrt werden um zu hören, welche Maßnahme mehr bringt (oder ob aktiv + Dirac nötig/zu empfehlen sind):
- passiv, ohne Dirac
- passiv, mit Dirac
- aktiv, ohne Dirac
- aktiv, mit Dirac
Mittlerweile wurden schon mehr als 200 Messungen gemacht, daher wird der Bericht in mehrere Teile zerlegt:
1. Impedanzmessungen an der Gesamtbox und Frequenzgang am Hörplatz im Hörraum HS1 und im Nahfeld
2. Messung und Simulation des Spannungsverlaufs an den Chassis
3. Impedanzmessung der Einzelchassis, TSP-Bestimmung und Gehäusesimulation der Tieftöner (nur für Abonnenten)
4. Frequenzgang der Einzelchassis am Hörplatz (ohne Weiche) im Hörraum HS3 (= CLC) und Einmessung der DSP-Weiche (nur für Abonnenten)
Impedanzmessungen an der Gesamtbox:
Zunächst musste sich mal die gesamte Box einer Impedanzmessung unterziehen, wobei wir diese in insgesamt 5 Pegelstufen durchführen (-18, -12, -6, 0 +6 dB), das entspricht einer Änderung der Auslenkung um das 16-fach und der Eingangsleistung um das 256-fach. Sinn dieses Tests ist es mögliche (alterungsbedingte?) Nichtlinearitäten aufzuspüren.
-> N1 und N2 verhalten sich sehr ähnlich
-> Bassreflex-Abstimmfrequenz bei 37 Hz (Impedanzminimum)
-> Störstelle bei 160 Hz (= stehende Welle im Gehäuse?)
-> deutliche Pegelabhängigkeit zwischen 200 und 2000 Hz
-> W1 und W2 verhalten sich sehr ähnlich - der Impedanzverlauf ist aber anders als bei N1/N2
-> Bassreflex-Abstimmfrequenz bei 37 Hz (Impedanzminimum)
-> Störstelle bei 160 Hz (= stehende Welle im Gehäuse?)
-> deutliche Pegelabhängigkeit zwischen 200 und 2000 Hz
Die Ursache der starken Pegelabhängigkeit der Impedanz zwischen 200 und 2000 Hz ist zu diesem Zeitpunkt noch nicht bekannt.
Hier mal die 4 Boxen im Vergleich bei Pegelstufe -12 dB:
-> es gibt leichte Unterschiede bei den "gleichfarbigen" Boxen, aber deutliche Unterschiede bei den Farben
-> das Impedanzminimum bei der Bassreflex-Abstimmfrequenz ist bei W1/W2 höher (wegen der Schutzgitter?)
Es wurde natürlich nicht nur die Impedanz in der Standardeinstellung gemessen (untere Bassreflexöffnung offen, Hochtonpegel auf Stellung "1"), sondern auch der Einfluss des Verschließens der unteren Bassreflexöffnung und der anderen Stellungen des Hochtonpegels:
-> tendenziell ist die Impedanzänderung in Abhängigkeit des HT-Stellers ähnlich:
- leichte/mittlere Impedanzerhöhung > 1 kHz in Stellung 2/3
- in Stellung 4 starke Impedanzerhöhung > 2 kHz und Impedanzabsenkung um 1 kHz
-> Bassreflex-Abstimmfrequenz bei geschlossener unterer Bassreflexöffnung bei 28 Hz (Impedanzminimum)
Bei den "weißen" Boxen konnte dieser Test nicht durchgeführt werden, da die Schutzgitter eine luftdichte Abdeckung des unteren BR-Kanals nicht ohne Weiteres erlaubten.
Fazit Impedanzmessung Gesamtbox:
- es gibt leichte Unterschiede bei den "gleichfarbigen" Boxen, aber deutliche Unterschiede bei den Farben
- die Ursache der starken Pegelabhängigkeit der Impedanz zwischen 200 und 2000 Hz ist zu diesem Zeitpunkt noch nicht bekannt
Frequenzgang am Hörplatz im HS1:
Impedanzverlauf und Spannungsverlauf sind ja ganz nett, aber im Endeffekt zählt natürlich der produzierte Schalldruck. Die zuvor ermittelten Daten können allerdings helfen zu verstehen, warum die 4 Boxen ggf. unterschiedliche Frequenzgänge am Hörplatz haben.
Zunächst wurde bei der Box N1 untersucht, wie sie auf unterschiedliche Ausrichtung und Platzierung reagiert. Typischerweise messen wir Lautsprecher auf der linken Standardposition und richten den Lautsprecher auf den Hörplatz aus. Demgegenüber ist die Sentry III offenbar für eine Aufstellung an der Rückwand konzipiert, wodurch der Lautsprecher nicht auf den Hörplatz ausgerichtet ist. Erschwerend kommt bei der Sentry III hinzu, dass Tief- und Hochtöner unsymmetrisch auf der Gehäusefront angeordnet sind, wobei es keine "linke" bzw. "rechte" Box gibt: bei beiden Boxen ist der Tieftöner links, der Hochtöner rechts. Es wurden insgesamt 5 Positionen/Ausrichtungen gemessen:
Nr | Beschreibung |
1 | Standardposition links, Ausrichtung auf Hörplatz (30°) |
2 | Standardposition links, Ausrichtung parallel zur Rückwand (0°) |
3 | Standardposition links, 5 cm vor Rückwand (0°) -> rechts gibt es eine Reflexion am HiFi-Rack |
4 | Standardposition links, 24 cm vor Rückwand (0°) -> keine Reflexion am HiFi-Rack mehr |
-> bei 5 (grün) bzw. 24 cm (blau) Wandabstand ergibt sich der ausgewogenste Verlauf < 110 Hz und um 1.25 kHz
-> der ausgewogenste Verlauf > 5 kHz ergibt sich auf der linken Standardposition mit Einwinkelung (rote Kurve)
-> alle Positionen zeigen eine starke Welligkeit zwischen 1.5 und 3 kHz
Wegen der besseren Zugänglichkeit wurde schließlich die linke Standardposition mit Einwinkelung gewählt. an dieser Position wurden auch die anderen 3 Boxen gemessen:
-> insgesamt weitgehend linearer Frequenzgang am Hörplatz von 27 bis 7 kHz
-> die "weißen" Boxen sind > 500 Hz deutlich lauter als die "braunen" (trotz gleichem Spannungsverlauf im HT-Bereich)
-> es gibt aber auch deutliche Unterschiede unter den "weißen" bzw. "braunen" Boxen
Ein gutes Maß für die Streuung ist die Standardabweichung der jeweiligen Paare bzw. aller 4 Boxen (Hinweis: bei normalverteilten Werten liegen 68.2% aller Werte innerhalb +/- Standardabweichung vom Mittelwert):
-> die "braunen" Boxen N1/N2 unterschieden sich vor allem zwischen 400 und 700 Hz und > 2.5 kHz (schwarze Kurve)
-> die "weißen" Boxen unterschieden sich nur in schmalen Bereichen (grüne Kurve)
-> alle 4 Boxen unterschieden sich > 500 Hz deutlich, dort ist die Standardabweichung fast durchgängig > +/- 2 dB
Diese Unterschiede lassen sich nur unzureichend durch unterschiedliche Spannungsverläufe an den Chassis erklären -> hier muss das Chassis selbst die Ursache für die Abweichungen sein.
Aber wo wir gerade so schön am Wedeln sind, haben wir auch noch den Einfluss der Pegelregler und des Verschlusses der unteren Bassreflexöffnung gemessen:
-> die Abschwächung des Bereichs > 2 kHz durch den Stufenschalter erscheint wenig sinnvoll
-> die tiefere Abstimmfrequenz regt unsere Raummode bei 27 Hz ca. 6 dB stärker an; es tut sich aber auch Positives um 200 und 300 Hz
Fazit Frequenzgang am Hörplatz im HS1:
- insgesamt weitgehend linearer Frequenzgang am Hörplatz von 27 bis 7 kHz mit starker Welligkeit zwischen 1.5 und 3 kHz
- die "weißen" Boxen sind > 500 Hz deutlich lauter als die "brauen", insgesamt starke Streuung aller 4 Boxen
Frequenzgang im Nahfeld:
Dass sich bei Verschließen der unteren Bassreflexöffnung der Frequenzgang um 200 und 300 Hz ändert schreit geradezu nach einer Nahfeldmessung in der Bassreflexöffnung:
-> aus den BR-Öffnungen kommt zwischen 150 und 500 Hz zu viel "Schmutz" raus
-> durch Verschließen der unteren BR-Öffnung gibt es leichte Veränderungen, die auch am Hörplatz um 200 und 300 Hz noch messbar sind
Und wie sieht das bei den anderen Boxen aus?
-> weitgehend gleiches Verhalten, nur Box W1 verhält sich > 2 kHz deutlich anders
Wo wir schon im Nahfeld messen . . .
-> weitgehend gleiches Verhalten, leicht höherer Pegel > 100 Hz bei W1/W2 (s. Spannungsverlauf)
-> um 170 Hz Störstelle durch stehende Welle (s. Impedanz)
-> weitgehend gleiches Verhalten, aber W1/W2 ca. 4 dB lauter als N1/N2 (s. Spannungsverlauf)
-> sehr welliger Frequenzgang mit Peaks bei 750 Hz und 2 kHz und starkem Abfall > 2.2 kHz
-> deutlich unterschiedliches Verhalten aller 4 Hochtöner (insbesondere N1)
-> N2, W1 und W2 zeigen breiten Peak um 6 kHz
Fazit Frequenzgang im Nahfeld:
- aus den BR-Öffnungen kommt zwischen 150 und 500 Hz zu viel "Schmutz" raus
- im Nahfeld sind die Tieftöner weitgehend ähnlich, die "weißen" Mitteltöner sind 4 dB lauter und die Hochtöner streuen stark
So, dieses war der erste Streich, doch der zweite folgt sogleich - dann geht es um die Messung und Simulation des Spannungsverlaufs an den Chassis. Das ist - zusammen mit dem Impedanzverlauf der Einzelchassis - eine wichtige Größe um mögliche Abweichungen zu erklären.
Kommentare
Hi Florian, gut möglich so genau habe ich das nicht mehr in Erinnerung..