Das neue "Schweizer Messer"
Die Tage bekamen wir von Herrn Armin Jost die neue Version der Software AJ-Horn zugesendet, die jetzt in der Version 7 erschienen ist. Dass sich die Software trotz etlicher Neuerungen nicht verteuert hat, ist dabei besonders auffällig. Normalerweise gehen Hersteller bei erfolgreichen Produkten, als solches darf AJ-Horn 7 durchaus betrachtet werden, schnell hin und treiben den Einstandspreis in die Höhe. Herr Jost ist da eine angenehme, leider seltene Ausnahme.
In der Vollversion mit CD und Handbuch wird die Software für 119,- Euro angeboten. Die Email Version ist nicht billiger, bleibt also nur der Vorteil, dass man nicht auf die Post warten muss. Dafür muss man dann jedoch das Handbuch selbst ausdrucken, wenn man es denn in Papierform haben möchte. Günstiger wird es, wenn man von einer älteren Version wie 5 oder 6 upgraden möchte, dann schlagen für CD und Handbuch nur noch 49.- Euro zu Buche. Angenehm ist dabei auch, dass ältere AJ-Hornberechnungen sich problemlos mit AJ-Horn 7 aufrufen und weiter bearbeiten lassen.
Interessant wird es, wenn man sich die Liste der Neuerungen anschaut - hier ein Kurzübersicht:
1. Prinzipskizze wurde geändert
Wegfall der statischen Eingabe-Prinzipskizze und Ersetzung durch eine projektbezogene, automatisch generierte und verhältnisgleiche Prinzipskizze in separatem Ausgabefenster.
2. Individuell positionierbare Absorberkammer
Die Position der Absorberkammer ist nicht mehr an die Treiberposition gekoppelt und kann sich an einer beliebigen Stelle entlang des Horns befinden.
3. Mund offen/geschlossen
Zum Beispiel für die Simulation von Hohlraumresonanzen (Stehende Wellen) in geschlossenen Gehäusen.
4. Individuell positionierbarer Extratunnel
Für die Simulation von MLTL (Mass-Loaded-TML), TQWT (Tapered Quarter Wave Tube) und schlanken Bassreflex-Gehäusen.
5. Akustische Phase (Phi_a)
Simuliert wird nun auch der Phasenunterschied zwischen elektrischem Eingangssignal und Schalldruck.
6. Verbessertes Simulationsmodell
Durch ein weiter verbessertes Simulationsmodell konnten ungenaue Simulationen bei bestimmten Chassis-Parameter/Gehäuse-Konstellationen beseitigt werden.
7. Option „Farbe wechseln“ bei nächster Simulation
Auswählbar im Hauptmenü unter „Extras“->„Optionen“
8. HTML-Export
Dies ersetzt die Druckvorschau der früheren Versionen. Hiermit lassen sich die Simulationsergebnisse als HTML-Datei abspeichern und so mit einem beliebigen (Internet-)Browser betrachten. Der eventuelle Papierausdruck erfolgt dann über die Druckfunktion des Browsers.
Auf der Webseite von AJ-Systems findet man dazu entsprechende Grafiken, die es verdeutlichen.
Da wird es an Punkt Nr. 4 für uns spannend. Fast jeder weiß, dass wir sehr auf TQWT´s abfahren - unser erstes öffentliches Projekt war eine TQWT, die Mindstorm. Die wurde veröffentlicht, bevor es das Magazin gab, wurde von K&T als CT213 vorgestellt und ist auch heute noch nachzubauen. Effektiver geht kaum. Zu der Zeit entwickelte sich meine/unsere Liebe zu TQWT´s
Ein wenig Vergangenheit
Da ich schon längere Zeit den Gedanken in mir trage, die Mindstorm zu überarbeiten, weil einfach, einfach einfach ist, spricht doch nichts dagegen, all die Erkenntnisse und Erfahrungen der letzten Jahre in die MkI einfließen zu lassen. Dazu zählt natürlich auch etliches an Simulations-Software, mit der man sich über die Jahre befasst hat. Damals verwendete ich zur Berechnung der Mindstorm einen Taschenrechner und ein Excel-Sheet, so ziemlich das einzige, was da gab. Pico entwickelte dann auf dieser Basis ein Online-Berechnungsblatt, welches auch heute noch nichts an seiner Gültigkeit verloren hat. Damit kann man schon mal eine erste, überschlagsmäßige Basis-Simulation durchführen.
Wer sich jetzt wundert, dass die Werte bei der ersten Mindstorm etwas differieren: Zu der Zeit hatte ich noch nicht die Möglichkeit TSP´s zu messen und arbeitete mit Herstellerdaten. Spannend wurde es, als das Martin King-Sheet ins Spiel kam, ein Berechnungsblatt, das sich mit dem MathCad Explorer (Download) laden lässt und eine recht zuverlässige Simulation diverser Daten vorhersagt. Das Ergebnis von MathCad mit den gemessenen Treiberdaten und den Maßen von oben sieht dann so aus.
Um die ungefähr mittlere Länge der TQWT zu erhalten, nimmt man 2 x Xs und zählt die Hälfte von Tg hinzu, hier also ca.225 cm. Die Dateneingabe sieht wie folgt aus:
Bei den Querschnitten der Line habe ich zunächst jeweils das empfohlene Maximum eingetragen, also Sa/Sd = 1 und Se/Sd = 3. Im King Sheet ist das S0 und SL. Was simuliert denn das Sheet nun?
Gar nicht mal so schlecht, und auch immer wie damals für wandnahe Aufstellung geeignet. Aber das ist es ja nicht direkt, was ich hier zeigen will und daher wende ich mich nun dem eigentlichen Thema zu.
Wie simuliert AJ-Horn 7 eine TQWT?
Beim Start zeigt sich AJ-Horn 7 unaufgeregt und sehr schnell auf dem Bildschirm. Zunächst denkt man, alles ist wie immer.
Das glaubt man aber auch nur wenn man aus der Version 5 kommt und die 6 einfach übersprungen hat. Bei der 6er gab es nämlich eine Skizze des Horns, ähm... na ja.
Quelle: AJ-Systems
Auch wenn's blöd ist, mich hat das immer genervt und ich konnte mit der 6er nie so richtig warm werden. Da wird aber Jeder seine eigene Meinung zu haben.
Bei genauerer Betrachtung des Start-Bildschirms fällt auf, dass es nun einige neue Eingabefelder gibt. Das wird wohl mit den neuen Möglichkeiten zusammenhängen. Also Handbuch aufschlagen und sehen, wie man zur TQWT-Simulation kommt. Jaaa, macht natürlich keinen Sinn, wenn man nicht mit korrekten Treiberdaten arbeitet. Also auf den Reiter Treiber klicken.
Da kann man also zwei Treiber laden, das war bei der Version 6 auch schon so. Zunächst möchten wir jedoch eine ganz einfach TQWT simulieren und dafür braucht es nur einen Treiber. Hier mit SPH-176
Speichern nicht vergessen!
Auf zur Horn.......... TQWT Eingabe. Im Handbuch ist nachzulesen, dass man eine TQWT mit AJ-Horn 7 simulieren kann, weil man in dieser Version einen Extra-Tunnel hinzufügen und den Hornmund verschließen kann. Hier die Berechnungsskizze.
Man stellt die Eingabe auf Rearloaded Horn um und gibt die erforderlichen Daten ein.
Die entscheidenden Parameter zur Berechnung TQWT sind hier
1) xT1 => die Entfernung des Chassis zum Anfang der Line
2) ET => Extratunnel ja oder nein, hier natürlich ja.
3) AET => die Fläche des Tunnels
4) LET => die Länge des Tunnels
5) xET => der Abstand des Tunnels zum Anfang der Line
Schön ist, das AJ-Horn 7 jetzt eine Prinzip-Skizze anbietet, dabei kann man im Eingabereich sogar wählen, ob der Extratunnel oben oder unten sein soll - also gemeint ist natürlich vorne oder hinten. Einen Unterschied des Ergebnisses konnte ich in dieser Konstellation nicht feststellen.
Wie man sieht, ist die TQWT ungefaltet. Ob es zu einer Veränderung der Ergebnisse kommen würde, wenn man sie faltet, bleibt offen. Ich denke, da müsste man zwei Testgehäuse bauen, um einen Unterschied zu messen. An diese Stelle sei mal darauf hingewiesen das es sich hier um eine Simulation des zu erwartenden Ergebnisses handelt, nicht um eine in Stein gemeißelte Konstruktion. Das ist bei allen Simulationsprogrammen der Fall, nicht nur bei AJ-Horn. Wenn ich beispielsweise in diversen Foren immer wieder lese wie sehr auf das Ergebnis von z.B. Boxsim, so als wäre es eine fertige HighEnd-Konstruktion, gepocht wird, kann man nur sagen, nichts verstanden.
Wenn man Glück hat, bekommt man mit genauer Planung und sorgfältigem Nachdenken ein Ergebnis in der Richtung von 70%-80%. Danach muss man messen, verändern, hören, messen, vielleicht wieder verändern... usw. Sollte es schon beim ersten mal auf den Punkt passen, hat man eben Glück gehabt und vermutlich im Vorfeld sauber recherchiert und geplant.
Wie sieht nun das Ergebnis der Eingabe oben aus?
Ok....... sieht jetzt aber schon anders aus als bei Martin King. Woran könnte das liegen? Wenn man sich die Eingabewerte mal genau anschaut, stellt man schon ein paar Unterschiede fest.
1) Die Treiberposition ist im King Sheet auf 0,5 mal Linelänge voreingestellt (kann man ändern)
2) Die Absorption ( Stuffing density) wird sicher vermutlich anders gewichtet.
3) Die Position des Extratunnels wird im King Sheet gar nicht angegeben, man geht vermutlich von einer Öffnung am Ende der Line aus.
Kann man da was machen? Die Position des Chassis legen wir nun auf 0,5 x Linelänge fest, also ca. 112 cm. Dann legen wir den Extratunnel noch ans Ende der Line.
In der Eingabemaske sieht das so aus.
und das Ergebnis?
Da kommt jetzt schon eine Ähnlichkeit auf
Der "Einbruch" unterhalb von 200 Hz bis 300 Hz ist vorhanden, der leichte Anstieg ab 80 Hz auch und na klar, es ist eine Simulation. Die Ergebnisse zeigen aber sehr schön, auf welch hohem Niveau beide Systeme rechnen. Sicher gehen die beiden z.B. bei der Berechnung der Absorption unterschiedliche Wege. King rechnet mit einem Koeffizienten X über die Line, während man bei AJ-Horn 7 zwei Werte angibt. Einmal ß1, die Halsöffnung und ß2, die Mundöffnung. Hier hat man sicher einige Spielmöglichkeiten sich die Simulation "schön zu rechnen", aber immer dran denken, dass man später nachmessen muss.
Bei AJ-Horn 7 kommt aber eine weitere Variante ins Spiel - man kann den Extratunnel bedämpfen. Der Wert ßET ist dafür ausschlaggebend. Wenn man da beispielsweise eine leichte Bedämpfung, natürlich heißt es richtig Absorption, von 120 eingibt, bekommt man folgendes Ergebnis
Da kann man wunderbar fein auf z.B. die Aufstellung reagieren. Der Wert ß wird bei AJ-Horn 7 mit 0 (für keine Befüllung) bis 1000 (komplett gefüllt) angegeben. Dass AJ-Horn 7 deutlich lautere Werte anzeigt, liegt übrigens am gewählten Wert der Aufstellung, hier "Boden + Wand" bei 1 m. Die grüne Kurve ist der Wert für die freie Messung im RAR, die blaue Kurve entspricht der Messung im Halbraum.
Die Messung im Halbraum (blau) scheint in etwa der von Martin King zu entsprechen, dort wird also vermutlich auch der Halbraum simuliert.
Ein kleines Fazit
AJ-Horn 7 ist meiner Meinung nach erwachsen geworden, kann es jetzt doch so ziemlich alles simulieren was einem in den Sinn kommt und...... überhaupt Sinn macht. Das TQWT Beispiel hier ist nur eine Kleinigkeit, allein die Möglichkeiten Hörner und TMLs mit zwei Treibern zu simulieren. Oder auch einen InternenHelmholzResonator auf der Line verschieben zu können, macht das NEUE AJ-HORN 7 zu einem wirklich mächtigen Hilfswerkzeug. Natürlich ist das hier nur ein kleiner Anriss der Möglichkeiten, aber wir sind Fan´s von TQWT Lautsprechern und das war der richtige Einstieg für uns.
Tatsache, nach derzeitigen Stand der Dinge kann ich nun MathCad von meinem Rechner löschen. Nicht das die Sheets von Martin King nicht gut wären, aber erstens bekommt man sie offiziell nicht mehr und zweitens ist die Simulation mit AJ-Horn 7 doch deutlich durchsichtiger. Hier hat Herr Jost ganz Arbeit geleistet und die Software auf ein neues Level gehoben.
Noch erwähnen möchte ich, dass die derzeit ziemlich angesagten Bauformen "Tapped Horn" und "Dipol" auch im Programm simuliert werden können, sehr spannend.
Eine Übersicht der zu berechnenden Gehäuse
- geschlossenes Gehäuse
- Frontloaded Horn
- Bandpass Gehäuse, mit den Untertypen Bandpass-Horn und Bandpass-Transmissionline
- Bassreflexgehäuse
- Rearloaded Horn
- Transmissionline, mit Vorkammer und/oder mit Absorberkammer
- Transmissionline mit Innentreiber
- TQWT und MLTL
- Tapped Horn
- Klassischer Dipol
- Dipol Subwoofer
Durch die möglichen Variationen mit zweitem Treiber, Vorkammer oder Absorberkammer, erschließen sich fast unendliche Möglichkeiten auf neue Gedanken zu kommen. Alles in Allem ein ganz klare Empfehlung über den Kauf der Software nachzudeneken, bzw. eine ältere Version upzugraden.
""Jetzt kann auch eine Voight Pipe simuliert werden.""
Ja, und die Skizze zeigt in dem Fall sogar schon das Gehäuse...... nur das es liegt.
Theo