Kompensation von Frequenzgangfehlern

Die Kompensation von Frequenzgangfehlern wurde ja bereits in der Hilfe zu JustOct (Datei JustOctInfo.htm) sowie im Artikel Einfach messen mit JustOct erläutert. Hier nur eine kurze Wiederholung:
  1. Man verbindet den Ausgang (z.B. Line, Kopfhörer oder externen CD-Player) mit dem Eingang (Mic oder Line)
  2. Stellt den Mixer "richtig" ein (richtiger Eingang, Pegel nicht zu laut/leise)
  3. Deaktiviert ggf. geladene Referenz- und Sensorkompensationsdateien
  4. Startet die Messung (Schalldruck / Spannung 1-kanalig oder 2-kanalig, ggf. externen CD-Player mit Pseudo-Rauschen starten)
  5. Korrigiert ggf. noch etwas die Lautstärke, so dass die Aussteuerungsanzeige zwischen 50% und 75% anzeigt
  6. Stellt mindestens 4 Mittelungen ein (es dürfen auch ruhig 16 sein). Die Kurve sollte jetzt bis auf die Frequenzenden "ziemlich gerade" aussehen und im Bereich -35 dB liegen
  7. Speichert die Messung (ein Dateiname wie LineOut2LineIn.oct und eine entsprechende Beschreibung der Messung können nicht schaden)
  8. Lädt die gerade gemachte Messung als Referenzdatei ("Datei / Lade Referenzdatei", jetzt sieht man die vorher eingegebene Beschreibung)

Eh voilà! Es erscheint eine schnurgerade Linie mit dem Wert 0 dB! Wenn man die Messung wiederholt sollte sich erneut eine schnurgerade Linie ergeben. Lediglich am obersten Frequenzende gibt es durch das Eigenrauschen ggf. leichte Abweichungen von +/- 0.5 dB. So, damit hätte man den Frequenzgangfehler der Soundkarte kompensiert! Wem das zu schnell war, der sollte sich vielleicht noch einmal in Ruhe den Artikel Einfach Messen mit JustOct zu Gemüte führen.

Den Frequenzgangfehler des Mikrofons (oder allgemein Messaufnehmer = Sensor) kann man über eine Sensorkompensationsdatei - wie der Name schon sagt - kompensieren. Nähere Informationen dazu findet man in der Hilfe zu JustOct (Datei JustOctInfo.htm) oder in der Beschreibung in einer Beispieldatei MicAtelco.sen. Dazu muss man natürlich am besten den individuellen Frequenzgang des Mikrofons kennen. In unserem Shop bieten wir eine individuelle Kalibrierung von Mikrofonen sowie fertig kalibrierte Mikrofone an. Wie das genau geht könnt ihr im Artikel Mikrofonkalibrierung nachlesen.

Eine Kompensation der Frequenzgangfehler sollte man eigentlich immer durchführen. Die Dateien (für jeden Eingang bzw. Kanal getrennt!) muss man nur einmal erstellen. Außerdem werden sie ab der Version 1.15 ja automatisch wieder geladen.

Dann misst man zwar den richtigen Frequenzgang, aber noch nicht den richtigen Pegel. Dazu müsste man dem System ja einmal sagen wie "laut" ein bestimmtes Signal ist. Na ja, ich muss euch schon mal vorwarnen: ganz so einfach ist das nicht! Und in den meisten Fällen kann man auf die Pegelkalibrierung auch verzichten. Diese Prozedur sollte man nur auf sich nehmen wenn:

  • man den genauen Wirkungsgrad von Lautsprechern ermitteln will
  • man Messungen von verschiedenen Tagen direkt miteinander vergleichen will (in der Regel kann man ja nicht garantieren, dass dieselben Mixereinstellungen verwendet werden)
  • man Messungen bei verschiedenen Anregungspegeln und Messabständen miteinander vergleichen will
Solange man nur relative Pegelunterschiede benötigt und alle Chassis "in einem Rutsch" misst kann man eigentlich auf eine Pegelkalibrierung verzichten!

 


Absolute Pegelkalibrierung

Wer eine der oben genannten Anforderung hat kann ab der Version 1.20 nun auch eine absolute Pegelkalibrierung durchführen. Die prinzipielle Vorgehensweise ist wie folgt (die genauen Schritte werden weiter unten noch im Einzelnen Schritt für Schritt erläutert):
  1. Zunächst wird eine ggf. geladene Sensorkompensationsdatei deaktiviert, denn neben dem Frequenzgangfehler wird hierdurch auch die Empfindlichkeit des Sensors definiert, welcher für die Pegelkalibrierung der Soundkarte außen vor bleiben muss. Schließlich will man ja durch Laden einer anderen Sensorkompensationsdatei mit dem anderen Sensor auch gleich "richtig" messen.
  2. Außerdem sollte eine ggf. nötige Referenzdatei zur Kompensation von Frequenzgangfehlern der Soundkarte (inkl. Anregung) gemessen, abgespeichert und schließlich geladen werden (s.o.). Erst dann werden ja alle Frequenzen (scheinbar) gleich gemessen und es kommt nicht auf die Anregungsfrequenz an!
  3. Dann wird ein Sinussignal mit bekannter Frequenz F (z.B. 1000 Hz) auf einen Soundkarteneingang (Mic oder Line links/rechts) gegeben.
  4. Das Signal wird ganz normal mit der Soundkarte gemessen. Das Messergebnis ist z.B. 10 dB bei der Anregungsfrequenz. Soweit sollte das alles noch bekannt sein.
  5. Das Signal wird auch (vorher oder nachher) mit einem Multimeter gemessen. Dazu wird der Stecker am Eingang der Soundkarte abgezogen und die Messkabel des Multimeters mit dem gewünschten Kanal des Kabels verbunden (s.u.). Am Multimeter wird der Wechselspannungsmodus und ein geeigneter Bereich eingestellt (z.B. 2 V oder 200 mV). Das Messergebnis ist z.B. 100 mV. Da JustOct immer in dB "denkt" muss man das Messergebnis in dBV = 20·Log10 ( Spannung [V] / 1 [V] ) ausdrücken. Für 100 mV = 0.1 V ergibt sich z.B. der Wert - 20 dBV.
So: JustOct sagt 10 dB, aber das Multimeter sagt -20 dBV. Wer hat denn nun Recht? Das Multimeter natürlich, denn JustOct ist ja noch nicht kalibriert! Damit JustOct auch -20 dBV anzeigt, muss man vom unkalibrierten Messwert (der vom Eingang, Kanal, Anregung und Mixerstellung abhängt) im obigen Fall 30 dB "abziehen" (10 dB - 30 dB = -20 dBV), der Kalibrierwert ist in diesem Fall also -30 dB. Wie viel dB man da genau korrigieren muss berechnet JustOct, sobald eine akzeptierte Messung vorliegt und dieser eine gemessene Spannung "zugewiesen" wurde (s.u.).

Diese Prozedur muss ggf. für jeden Kanal einzeln durchgeführt werden. Die Kalibrierung ist nur gültig:

  • Solange die Einstellungen des Aufnahme-Mixers nicht verändert werden (welcher Eingang ist aktiviert? Wie ist die Lautstärke und der Balance-Regler eingestellt?)
  • Solange die während der Kalibrierung geladenen Referenzdatei nicht deaktiviert oder verändert wird

 


Pegelkalibrierung Schritt für Schritt:

  1. Deaktiviere eine evtl. geladene Sensorkompensationsdatei (einfach auf die Checkbox klicken)

     

  2. Lade die Referenzdatei zur Kompensation von Frequenzgangfehlern der Soundkarte ("Datei / Lade Referenzmessung . . .")

     

  3. Gehe ins Menü "Pegel" und wähle den Menüpunkt "Kalibrierung". Es erscheint folgender Hinweis:

     

  4. Wähle als Signal z.B. "Sinus 980 Hz". Die angebotenen Frequenzen sind abhängig vom Wiedergabegerät (Soundkarte oder Test-CD) und der Abtastfrequenz (44100 oder 48000 Hz)

     

  5. Drücke auf die Start-Taste -> das Signal wird abgespielt und gemessen (4 Mittelungen)

     

  6. Sofern der maximale Pegel bei der erwarteten Frequenz auftrat erscheinen die folgende Hinweise:

     

  7. Im Eingabefeld Spannung wird nun z.B. 0.100 eingetragen (diesen Effektivwert der Wechselspannung sollte man mit einem Multimeter am Cinchstecker messen können, s.u.). Durch Drücken der Taste "Volt-OK" wird der Spannungswert dem letzten Kalibiermessergebnis zugewiesen.

     

  8. Schließlich die Ende-Taste drücken. Es kommt eine Meldebox mit dem Hinweis:

     

Geschafft! Das System misst nun Spannungen in dBV! Beim nächsten Aufruf des Kalibrierdialogs wird der Kalibrierwert auch entsprechend angezeigt (im Feld "Kanal (Kal-Wert)"):

Der Kalibrierwert wird im Definitionsfile mit abgespeichert. Beim nächsten Programmstart erfolgt die Meldung:

Mögliche Fehlermeldungen während der Kalibrierung sind:

  • Wenn der maximale Pegel nicht bei der erwarteten Frequenz auftritt:

     

  • Wenn die Harmonischen nicht genügend unterdrückt sind (z.B. Übersteuerung):

     


Messung der Spannung am Klinkenstecker:

Die Zuordnung der Kanäle kann man dem folgenden Bild entnehmen, das auch ständig in der Kurzhilfe zu sehen ist:

Die Spannung misst man am einfachsten mit einem Multimeter. Leider haben auch Multimeter einen Frequenzgang (hört das denn nie auf!?!). Allerdings messen sie in allen Wechselspannungsbereichen bei 50 Hz am genauesten, hier ist jedoch die Frequenzauflösung der Messung nicht optimal. Der kleinste Wechselspannungsbereich (meistens 200 mV) misst bei höheren Frequenzen auch noch sehr genau. In höheren Spannungsbereichen sind jedoch bei preiswerten Multimetern die Gleichrichterdioden oft zu träge und verfälschen das Ergebnis.

Auch aus diesem Grund werden 3 verschiedene "Lautstärkestufen" als Anregungssignal angeboten (100%, 10% und 1%). Dies ist auch bei der Pegelkalibrierung von Mikrofoneingängen hilfreich, denn diese sind häufig schon bei wenigen mV übersteuert. Bei diesen geringen Anregungsspannungen ist aber ein preiswertes Multimeter oft recht ungenau. Damit das Anregungssignal sowohl bei der Messung mit der Soundkarte als auch mit dem Multimeter immer im günstigsten Spannungsbereich liegt, kann man den Anregungspegel zwischen beiden Messungen optional verstellen und "im Kopf" korrigieren.

Musste man z.B. bei der Kalibrierung des Mikrofoneingangs die kleinste Anregungsstufe wählen (1%) um die Soundkarte nicht zu übersteuern und bei der Messung mit dem Multimeter die mittlere Anregungsstufe (10%), damit die Wechselspannung zwischen 20 und 200 mV liegt, dann muss man in das Feld "Spannung" nur 1%/10% = 10% des am Multimeter abgelesenen Wertes eingeben, da bei der Soundkartenmessung ja tatsächlich ein um den Faktor 10 leiseres Signal verwendet wurde.

Nach Möglichkeit sollte ein Anregungssignal von etwa 1000 Hz sowie ein Anregungspegel bei der Multimetermessung zwischen 100 und 200 mV verwendet werden!
Der Anregungspegel bei der Soundkartenmessung sollte so hoch wie möglich gewählt werden ohne dass eine Übersteuerung auftritt!

 


Kalibrierte Schalldruckmessung:

Nachdem die Hürde der absoluten Pegelkalibrierung geschafft wurde wartet schon die nächste auf uns: die kalibrierte Schalldruckpegelmessung. Zum einen muss man dazu natürlich die Empfindlichkeit des Mikrofons kennen. Die Sensorkompensationsdatei (*.sen) stellt hierfür die Zeile:

Sensitivity at 1000 Hz in mV/dimension6.7

zur Verfügung. Darüber hinaus gibt es z.B. bei Mikrofonen den Fall, dass 1 Pascal [Pa] nicht 0 dB entspricht sondern 94 dB, da der Schalldruck auf die Hörschwelle von 2 · 10-5 Pascal bei 1000 Hz bezogen wird. Dieser gerade noch hörbare Pegel bei 1000 Hz bekommt also den Wert 0 dB zugewiesen (was ja auch irgendwie Sinn macht). Dieser "Offset" kann in der Sensorkompensationsdatei (*.sen) in folgender Zeile angegeben werden:

dB-offset94

So, damit hätten wir nun die Empfindlichkeit des Mikrofons und die Normierung auf die Hörschwelle bei 1 kHz berücksichtigt. Jetzt müssen wir nur noch in 1m Abstand und mit einem Sinussignal mit 2.00 Vrms (4 Ohm) oder 2.83 Vrms (8 Ohm) anregen. Nun, manchmal muss man aus verschiedenen Gründen einen anderen Messabstand wählen (z.B. 50cm) und/oder kann den Anregungspegel nicht genau einhalten. JustOct macht die Schalldruckmessung ja auch nicht mit einem gleitenden Sinus sondern mit einem Rauschsignal. Wie stelle ich denn da die 2.83 Vrms ein? Fragen über Fragen!

Die Antwort ist:

  1. Zunächst stellt man mal die mögliche (Lautstärke) oder sinnvolle (Belastbarkeit) Anregungsspannung ein, tut also so als wolle man ganz normal messen (ohne genau zu wissen wie laut das eigentlich ist),
  2. dann ermittelt man, um wie viele dB man "anders" als geplant anregt
  3. und schließlich teilt man diese "Abweichung" dem System im Menüpunkt "Pegel / Messabstand/-pegel" mit

Als Anregungssignal eignen sich z.B. die Sinussignale, die auch zur Pegel-Kalibrierung der Soundkarte verwendet werden. Diese WAV-Dateien kann man z.B. dadurch "abspielen", in dem man so tut als wolle man die Soundkarte kalibrieren. Wenn man das Ergebnis mit "Abbrechen" quittiert und die Maske mit "Ende" verlässt kann man die "alte" Kalibrierung bestätigen, so dass man dadurch eine vorhandene Kalibrierung nicht verliert.

Um aus der bei der Sinusfrequenz gemessen Anregungsspannung auf die Anregungsenergie pro 1/12 Oktavband schließen zu können muss man beide WAV-Dateien vergleichen:

WAV-DateiSpitzenspannungMittlere Spannungrelativer Pegel (maximum = 0 dB)
Pseudo.wav70.26% der Vollaussteuerung17.72% der Vollaussteuerung-33.5 dB (1/12 Oktave, alle Bänder!)
Sin_1000_100.wav100.0% der Vollaussteuerung70.71% der Vollaussteuerung0.0 dB (1/12 Oktave, nur 1000 Hz)
Sin_1000_010.wav10.0% der Vollaussteuerung7.071% der Vollaussteuerung-20.0 dB (1/12 Oktave, nur 1000 Hz)
Sin_1000_001.wav1.0% der Vollaussteuerung0.7071% der Vollaussteuerung-40.0 dB (1/12 Oktave, nur 1000 Hz)

Merke: Beim Sinussignal wird alle Energie auf nur ein Frequenzband konzentriert, während beim Rauschsignal die Energie auf den gesamten Frequenzbereich verteilt wird!

So, jetzt mal ein bisschen Konzentration bitte:

  • Angenommen, bei der praxisgerechten Lautstärkeeinstellung und Abspielen der Datei Sin_1000_001.wav (1% Vollaussteuerung) wären mit dem Multimeter am Lautsprecherausgang 100 mV gemessen worden. Dann wären das bei der Datei Sin_1000_100.wav (100% Vollaussteuerung) also 10 V gewesen (mal gut, dass wir "klein" angefangen haben). Diese Zahl - also 10 - gibt man im Feld "Anregung [V] / Ist" ein.

     

  • Die spektrale Energie des Pseudo-Rauschens liegt nun aber (in allen 1/12 Oktav-Bändern) 33.5 dB unter der des Sinustones mit Vollaussteuerung (0 dB). Darum muss man im Feld "Offset [dB] / Manuell" den aktuellen Wert um 33.5 dB erhöhen! Dadurch wird der Gesamt-Offset automatisch angepasst.

     

  • Im Feld "Abstand [cm] / Ist" kann man auch noch abweichende Messabstände (z.B. 50 cm) eingeben. Auch hier wird der berechnete Gesamt-Offset automatisch angepasst.

     

  • Schließlich kann man z.B. bei Mikrofonvorverstärkern mit schaltbaren Verstärkungen auch noch vom kalibrierten Zustand abweichende Verstärkungen numerisch kompensieren. Wird durch eine Messung im Nahfeld eine Abschwächung z.B. um 10 dB nötig um eine Übersteuerung der Soundkarte zu verhindern, dann muss die Abschwächung dadurch kompensiert werden, dass der aktuelle Eintrag im Feld "Offset [dB] / Manuell" um diese 10 dB erhöht wird (denn wenn ich den Pegel nicht abgeschwächt hätte wäre das Ergebnis ja auch um 10 dB höher ausgefallen).

    Übrigens: die meisten Soundkarten haben im Mic-Eingang auch eine schaltbare Verstärkung von ca. 20 dB (genauer Effekt muss ggf. durch eine Relativmessung ermittelt werden). Auch die Wirkung dieses "Schalters" kann hier kompensiert werden:

     

So, nachdem dem System nun Abweichungen durch eine "falsche" Anregungsspannung, einen "falschen" Messabstand und einen "falsche" Verstärkungseinstellung z.B. des Mikrofonvorverstärkers mitgeteilt wurde muss man nur noch:

  • die "richtige" Sensorkompensationsdatei laden und aktivieren
  • und losmessen!

 


Warum so kompliziert?

Wenn man sich die Anleitung so anguckt kann man nur fragen: warum muss das denn so kompliziert sein? Na ja, wenn man es einmal gemacht hat ist es gar nicht soooo wild. Auf der anderen Seite ist eine pegelkalibrierte Messung auch nicht unbedingt nötig. Lediglich wenn man z.B. den Wirkungsgrad [dB/2.83V/m] wissen will oder Messungen von verschiedenen Tagen (an denen in der Regel der Lautstärkesteller verschieden eingestellt war) oder verschiedenen Messabständen direkt miteinander vergleichen will, dann ist eine Pegelkalibrierung wirklich nötig.

Demgegenüber sollte man eine Kompensation der Frequenzgangfehler sowohl der Soundkarte (über die Referenzdatei) als auch des Mikrofons (über die Sensorkompensationsdatei) immer durchführen.

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