Im Folgenden wollen wir nicht nur unsere neueste (und bisher kleinste) Kreation vorstellen sondern uns auch in die Karten gucken lassen nach welchem "Strickmuster" bei uns entwickelt wird. In Zukunft werden Bauvorschläge neben der Zeichnung, dem Weichenschaltbild und den Messergebnissen auch ein komplettes Boxsim-Modell enthalten. So ist der Nachbauer nicht auf einen statischen Bauvorschlag festgelegt sondern kann z.B. bei abweichender Aufstellung (wandnahe statt freie Aufstellung, andere Anwinkelung etc.) die Weiche in Eigenregie geringfügig verändern. Durch das bestätigte Ausgangsmodell lassen sich kleinere Änderungen sehr zuverlässig vorhersagen.

So, jetzt aber zum 6-Stufen-Plan:

Schritt 1: Vorgabe eines Entwicklungsziels
Der Ausspruch "Viele Wege führen nach Rom" bedeutet, dass es nicht nur einen "richtigen" Weg gibt, sondern dass sich der "beste" Weg nach den Vorgaben richtet wie:

  • möglichst schnell
  • möglichst komfortabel
  • möglichst schöne Strecke
  • etc.
Das gilt auch für eine gute Lautsprecherwiedergabe. Je nach Zielvorgabe sind andere Kompromisse zu machen:
  • Preis (z.B. max. 250 €/Stück)
  • Größe (z.B. max. 20 cm breit, 30 cm tief, 80 cm hoch)
  • Aufstellung (z.B. Standbox, Ständer freistehend, auf Sideboard, im Regal; jeweils teilweise oder komplett eingewinkelt)
  • Maximale, verzerrungsfrei zu erzielende Lautstärke im Bassbereich (z.B. 90 dB in 1 m bei 50 Hz)
  • Wirkungsgrad und Impedanzverlauf (z.B. bei in der Regel leistungsschwachen Röhren-Verstärkern)
  • etc.
Nach mehreren "großen" Lautsprechern (z.B. TwoAndOne) wollten wir mal wieder etwas "Kleineres" bauen. Die Box sollte auch ohne Subwoofer eine ausreichende Basswiedergabe bis hin zu gehobener Zimmerlautstärke ermöglichen, und das relativ frei stehend (wandnah auf Ständer oder Sideboard). Ein ausgewogener Frequenzgang und ein gutes Rundstrahlverhalten verstehen sich von selbst . . .

Schritt 2: Auswahl der Chassis
Der Markt an Lautsprecherchassis für den Selbstbauer ist nach wie vor nahezu unübersichtlich. Jeder Hersteller preist seine Lautsprecher wärmstens an und stellt sie bestmöglich dar. Da es keine einheitliche Messvorschrift gibt (Anregungspegel, Messabstand, Gehäuse/Schallwand etc.) und ungünstige Daten (z.B. Klirrfakor oder Zerfallspektrum) im Zweifelsfall einfach "weggelassen" werden, ist ein objektiver Vergleich in der Regel nicht möglich. Dazu kommen teilweise Darstellungs"tricks" wie eine breite X-Achse verbunden mit einer schmalen Y-Achse (oder einem großen Darstellungsbereich von z.B. 100 dB), die Frequenzgangfehler gnädig kaschieren.

Früher gab es mal ein HiFiSound-Jahrbuch, in dem unabhängige Messungen von allen möglichen Chassis unter vergleichbaren Bedingungen durchgeführt und dargestellt wurden. Heute bieten sich die Chassistests von Zeitschriften wie Klang & Ton oder Hobby-HiFi an, die zum Teil seit vielen Jahren Lautsprecherchassis unter identischen Bedingungen testen, wodurch die Daten direkt vergleichbar sind. Dies gilt natürlich auch für unsere ausführlichen Chassistests.

Leider ist das Hörerlebnis auch durch beste objektive Daten nur teilweise zu erklären. Dafür ist der Vorgang des Hörens einfach zu komplex und das Verhalten des Lautsprechers zu stark pegelabhängig. Daher sind auch gute Erfahrungen von anderen Selbstbauern eine sinnvolle Informationsquelle - sofern man die Leute kennt und ihren Hörgeschmack bzw. ihre Hörgewohnheiten einzuschätzen weiß.

Aus dem Pool der zuletzt getesteten Chassis stach besonders der ETON 5-880 Hex positiv hervor. Hier lagen uns nicht nur die objektiven Messungen vor, wir hatten auch Gelegenheit ihn zu hören - und waren sehr positiv überrascht, dass er auch bei höheren Pegel im Bassbereich unangestrengt blieb. In einem 10 Liter Bassreflexgehäuse prognostizierte LASIP eine untere Grenzfrequenz von 50 Hz, was in Anbetracht der Chassisgröße von 13 cm ein sehr praxisgerechter Wert ist. Bis 2.5 kHz hat er ein sehr gutes Rundstrahlverhalten, so dass sich die Kombination mit einem 25mm Kalottenhochtöner anbietet.

Auch hier hatten wir kürzlich ein positiv beleumundetes Chassis in der Folterkammer, den SEAS NoFerro 800, der - wie der Name schon suggeriert - ohne das früher so gelobte und heute eher verschrieene Ferro-Fluid auskommt. Bei einer Resonanzfrequenz von etwa 800 Hz ergibt sich bei einer geplanten Übergangsfrequenz von 2000 bis 2500 Hz ein ausreichender Frequenzabstand, so dass keine weitere "Klimmzüge" zu "Begradigung" des Impedanzverlaufes nötig sind. Die übrigen Messdaten ließen Gutes erahnen und der Preis ist überaus fair.

Schritt 3: Design des Gehäuses
Auch wenn das Gehäusevolumen bereits näherungsweise feststeht (s.o.) gibt es immer noch viele verschiedene Gestaltungsmöglichkeiten. Da wir etwas "Kleineres" bauen wollten haben wir uns entschieden, die Frontplatte möglichst klein zu halten ohne das es "gedrängt" zugeht. Dabei spielt auch immer das äußere Design eine Rolle. Es sollte auch "fein" aussehen, so dass wir uns für eine Kombination von "normalem" (Seitenwände) und "durchgefärbtem" MDF ("Rahmen") entschieden haben (letzteres wird mittlerweile in einigen Baumärkten angeboten). Da der "wuchtige" Korb des ETON 5-880 insgesamt 7.5mm vorsteht wurde er versenkt. Um auch den Einsatz im Regal zuzulassen wird die Bassreflexöffnung nach vorne gelegt und aus Platzgründen als Schlitz ausgeführt. Alle Kanten werden großzügig abgerundet, so dass sich folgende minimale Frontplattengröße (und durch das Gesamtvolumen folgende Gehäusetiefe) ergibt:

Fertig, mit durchgefärbter MDF-Spanplatte sieht das dann so aus.

An dieser Stelle möchten wir uns bei der Schreinerei Feirtag für die excelente Arbeit bedanken!

Schritt 4: Messung der Chassis im Gehäuse
Für ein systematisches Vorgehen ist dieser Schritt unbedingt nötig. Jedes Gehäuse bzw. jede Schallwand verändert den in einer unendlichen (oder DIN-) Schallwand gemessenen Frequenzgang mehr oder weniger. Das kann man zwar durch Programme wie Edge näherungsweise simulieren, aber solche "Feinheiten" wie z.B. eine große Abrundung der Schallwand sind dort nicht darstellbar. Die ermittelten Messwerte können dann anschließend für die Frequenzweichenentwicklung in ein Simulationsprogramm wie z.B. LASIP oder BoxSim eingeladen werden.


-> im Bereich der geplanten Übernahmefrequenz von 2.5 kHz liegt kein rein Ohmsches Verhalten vor (Phasenwinkel <> 0°)


-> der schmale Einbruch ist eine Gehäuseresonanz, verstärkt durch eine Längenresonanz des Bassreflex-Kanals. Durch eine stärkere Bedämpfung des Gehäusevolumens kann dieser Bereich linearisiert werden.


-> es werden im Gehäuse andere Schalldruckpegel gemessen als im Halbraum (Podest)

Um die Überlagerung der Schallanteile von Bass und Hochtöner phasenrichtig simulieren zu können muss entweder die absolute oder die relative Phase beider Chassis bekannt sein. Obwohl durch die Berechnung von 1/12 Oktavbändern keine Phaseninformation mehr vorliegt kann durch eine zusätzliche Messung der gleichphasigen Abstrahlung beider Chassis die relative Phase mit JustDisp berechnet werden (s. Die akustische Phase, das unbekannte Wesen):


-> beide Überlagerungen (+/+ und +/-) ergeben nahezu identische Ergebnisse

Mit diesen Daten kann man beginnen die Weiche zu simulieren.

Schritt 5: Simulation der Frequenzweiche
In diesem Abschnitt wird detailliert die Vorgehensweise bei der Entwicklung der Frequenzweiche beschrieben. Beginnend mit einer 6 dB-Weiche wird Schritt-für-Schritt die "Evolution" zur endgültigen Lösung erläutert.

Dieser Abschnitt ist nur in der Version für die Abonnenten des HiFi-Selbstbau-Magazins verfügbar!

Das Endergebnis sieht so aus (optimiert für freie Aufstellung auf Ständer, nur halb auf den Hörer angewinkelt):




Und hier ein paar Messungen der provisorisch gesteckten Frequenzweiche:


-> also wenn das keine hervorragende Übereinstimmung ist . . .


-> auch 10% ober- bzw. unterhalb der Mittenposition bleibt das Klangbild konstant


-> hier sieht man die unterschiedliche Bündelung von Bass und Hochtöner

Auf Basis dieser Weiche kann man mit dem akustischen "Feinschliff" beginnen . . .

Schritt 6: Subjektive Feinabstimmung der Frequenzweiche
Wie? Sind wir noch nicht fertig? Es sieht doch alles wunderbar aus, Messung und Simulation stimmen gut überein, warum muss man jetzt denn noch eine "subjektive Feinabstimmung" (iggittiggittiggitt) machen?

Die Antwort ist so einfach wie ernüchternd: weil das Simulationsmodell z.B. nicht weiß, in welcher Aufstellung und in welchem Raum die Box nachher spielen soll. Und die Klangcharakteristik meiner Anlage und meine Hörgewohnheiten und Vorlieben kennt das Simulationsprogramm auch nicht. Selbst wenn das Simulationsprogramm alle diese Details berechnen könnte wäre:

  • ich auf der einen Seite mit der Interpretation der Datenflut völlig überfordert bzw.
  • das Programm außer Stande die diversen Für und Wider für mich gegeneinander abzuwägen
Mist! Alles muss man selber machen!

Im Hörtest bestätigte sich bei freier Aufstellung und nur halb angewinkelter Aufstellung die simulierte Weiche, es mussten keine Änderungen gemacht werden. Einzelne Bauteile wurden um eine Stufe der E12-Reihe erhöht bzw. erniedrigt, und bei einigen Stücken klang es so oder so einen Hauch "besser". Die durch Simulation gefundene Weiche passte im Mittel jedoch sehr gut.

Bei einer wandnäheren Aufstellung sollte der Mitteltonbereich um 1 bis 2 dB angehoben werden. Wer der Box lieber direkt in die Kalotte sieht sollte mit einer Impedanzentzerrung des Hochtöners experimentieren. In dem nur für Abonnenten zugänglichen Artikel gibt es Links zu allen Messdaten sowie dem kompletten Boxsim-Modell. Damit lassen sich kleinere Modifikationen einfach simulieren und so die Kombination optimal auf die jeweilige Abhörsituation zuschneiden.

Zum Abschluss noch eine ungefähre Übersicht der Kosten (pro Box):

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