Charly, die Box in der Tonne

die älteren Selbstbauer unter uns werden sie vielleicht noch kennen: die Charly L, die Box die mit einem Papprohr als Gehäuse seinerzeit für einiges Aufsehen sorgte. Damals gab es noch keine High-End, sondern der Branchentreff hieß HiFi-Video und fand in Düsseldorf statt. Dort wurde die Charly dann auch vorgeführt und einige sehr hübsche Mädels luden ein am Stand von AUDIOPLAY zu verweilen. Damals wie heute gab es ganz kontroverse Diskussionen zu den verschiedenen Lautsprechern auf dem Markt, doch bei der Charly waren sich alle Platzhirsche einig: das durfte nicht sein, also konnte es nicht sein. Und so zogen sie alle über die Billigbox her. Alle, nein nicht alle. Eine kleine Zeitschrift namens A.... (ohne Play) - Ähnlichkeiten waren auch damals schon rein zufällig - bestätigten der Box, dass sie so schlecht nicht war. Die Zeitschrift widerrief ihr Urteil dann aber mit fadenscheinigen Begründungen wieder und entschuldigte sich fast dafür. Der Druck der Werbekunden war wohl zu groß geworden. So gesehen ist bis heute alles beim Alten geblieben.

 


Es ist über zwanzig Jahr her, da sorgte eine Röhre aus Pappe mit eingebauten Lautsprecherchassis für Aufsehen in der HiFi-Szene. Besonders der Preis, damals etwa 230 D-Mark pro Stück, war für einen erwachsenen Lautsprecher schon fast eine Ohrfeige an die Konkurrenz. Schnell sprach sich herum, dass die auch noch ganz passabel klingen sollten, was direkt eine Zeitschrift auf den Plan rief. Diese wollten analysieren, wie billig dieses Teile doch gemacht sind und dass es nicht sein könne, dass man dafür Geld nimmt.

Wenn diese Zeitung das heute noch mal mit so manchem so genannten High-End-Lautsprecher machen würde, triebe es uns wahrscheinlich die Tränen in die Augen und schnell würden sich die Werbekunden des Magazins in Luft auflösen. Aber damals durfte nicht sein, was nicht sein konnte - ein billiger Lautsprecher, der auch noch klingt. Aber die CharlyL hat sich durchgesetzt und ist bis heute eine historische Tatsache geblieben.

Als wir neulich von einem Arbeitkollegen das Angebot bekamen doch mal seine Charly zu prüfen, da sie nicht mehr richtig funktionierten, haben wir sofort ja gesagt. Endlich gab es mal die Chance, wenn auch leider ein paar Jahrzehnte zu spät, den ollen Pappröhren auf die Pappe zu fühlen.

Charly kommt von der Firma AUDIOPLAY und ist auch heute noch in abgewandelter Form laut Webseite erhältlich. In den Katakomben dieser Webseite gibt es dann auch noch eine Seite mit dem Original. Einige Leute in diversen Foren werden auch nicht müde sich über die Charly zu zerreisen, hier stellvertretend ein Thread aus dem HiFi-Stammtisch.. Aus meiner Erinnerung (Theo) waren die Teile gar nicht so schlecht wie überall erzählt wurde und der damalige Besitzer der Firma (wir wissen nicht, ob es heute noch derselbe ist) hat sicher einiges an Geld mit diesen Lautsprechern verdient. Dabei bewahrheitet sich dann wieder mal ein schlauer Spruch:

Schlechte Publicity ist besser als gar keine!

So gesehen haben sich die Zeitungen einen Bärendienst erwiesen, wenn sie das Produkt klein halten wollten.

Aber jetzt. Die eine Box die noch funktionierte klang überaus fett in unserem Hörraum, aber sinnigerweise tonal nicht so ganz daneben. Das lässt vermuten, dass - genau wie heute - die Box klanglich gelitten haben dürfte, wenn irgendein Hempel sie zu Hause neben seine Wohnzimmerwand in Gelsenkirchener Barock klebt.

Was bekam man denn damals für 230,- Mark pro Stück? Greifen wir zum Schraubendreher und rücken der Pappe auf den Pelz.

Auf den ersten Blick nichts ungewöhnliches, also ran an die Schrauben.........äh Schrauben, wo sind den die Schrauben für die obere Abdeckung? Fehlanzeige, gibt es nicht. Die Charly Macher haben das obere Gitter einfach aufgelegt. Na wenn das mal nicht klappert je nach Bassimpuls.

Das Gitter wird doch tatsächlich von einem Kunststoffring in Joghurtbecher-Qualität gehalten.

Der lässt sich dann auch noch einfach abziehen, weil er auch nicht festgeschraubt ist.

Jetzt aber, der 30 cm Bass ist mit vier Schrauben (von 8 möglichen) geschraubt. Der Holzring darunter sagt uns, dass es auch immer vier waren und nicht der Besitzer der Box vier vergessen hat nach einer Neugier-Attacke.

Ja so war das früher, 30 cm Membran und ein Magnet wie es heute 13er haben. Wenn man die Sache mal in die Hand nimmt, sieht es noch dramatischer aus.

Wenn man Dynaudios Spruch "Dicke Magnete sind die teuerste Art, Bass zu verhindern" nimmt, muss die Charly ja einen mächtigen Bums haben, ach ja.......hat sie ja auch.

Da könnte sich manch moderne Box heute noch was abschauen, vernünftiges Absorptionsmaterial in ausreichender Menge.

Frei nach Monty Python...........kommen wir zu etwas ganz anderem, graben wir nach der Frequenzweiche.

Da ist sie ja. Aber was ist das, hat das arme Ding sich etwas verletzt?

Tatsächlich, die FW ist mit Mullband an Mitteltongehäuse gebunden.

Ein schönes Schleifchen haben sie auch gemacht. man beachte auch die Pampe ums Mitteltongehäuse. Das darf man schon als sehr frech bezeichnen. Wenn ich das so sehe, bekomme ich Lust mal eine moderne Charly aufzumachen. Machen die das heute auch noch so?

Da lacht das Herz des kabelverliebten High-Enders

Die Hochtönerabdichtung ist auch bemerkenswert

Ob der Mitteltöner so dicht ist, darf bezweifelt werden. Ach ja, Mitteltöner, mal sehen wie es darum steht

Hinter einem Gitter verpackt, damit nichts dran kommt.

Sehr einfach gemacht, aber hält sicher auch. Wenn man damit heute auf den Markt kommen würde gäbe es aber Klassenkeile

Oh je das arme Ding hat seine beste zeit hinter sich.

Der Staub der Zeit klebt am Hochtöner

Dicht ist anders...........

......und schön ist auch anderes.

Ist schon eine gewagte Nummer, die die Charly Entwickler damals ablieferten. Ach ja, ganz zum Schluss.

Die Charly war eine große kontrollierte Undichtigkeit (KU), was ja auch die anderen Fotos von Mittel- und Hochtöner belegen ;-) Anders hätte man so einen Schlappbass gar nicht in den Griff bekommen.

Mein persönliches Fazit:

Die Charly klang seinerzeit nicht so schlecht, wie viele sie geredet haben. Für große, kahle Räume dürfte sie richtig abgestimmt gewesen sein. Wer sich so ein Teil in ein 16 m² Zimmer stellte, dürfte große Probleme bekommen haben, aber das ist heute ja auch nicht anders. Aus handwerklicher Sicht ist die Pappröhre mit Kunststofffolie bespannt eher als minderwertig zu bezeichnen, das bekommt jeder Selbstbauer besser hin. Vernünftige Kabelverbindungen, Abdichtungen der Chassis, alles Fehlanzeige. Selbst für 230 Mark dürfte man seinerzeit erwarten, dass die Geräte sauber montiert sind. Ich hatte nicht den Eindruck, dass der Besitzer dran schuld war, die Boxen machten durchaus den Eindruck, als wären sie zum ersten Mal zerlegt worden.

Das Pappgehäuse versieht seinen Dienst ganz ordentlich, wie ein Klopftest mit dem Knöchel zeigt, eine stabile Pappröhre scheint nicht das schlechteste Gehäuse zu sein. Die Absorption geht in Ordnung und der Hochtöner von AUDAX scheint wohl das wertvollste Bauteil in der Box zu sein. Leider war einer von ihnen defekt und ein Austausch lohnt mit Sicherheit nicht, da sich auch ein Mitteltöner auflöste. Wie wir unseren Kunden trotzdem glücklich machen konnten und was Pico so gemessen hat, erklärt er am besten selber.

Die Charly unter dem Mikrofon . . .

Wenn wir ein paar möglicherweise defekte Boxen bekommen dann machen wir zunächst mal eine Impedanzmessung. Der handfesteste Vorteil ist: selbst wenn die Box 0 Ohm hätte würde uns das die Endstufe nicht zerstören! Schön wäre außerdem, wenn die Impedanz von beiden Boxen weitgehend identisch wäre. Dann gibt es höchstwahrscheinlich keinen Fehler in der Weiche und es ist kein Treiber defekt (oder aber beide Boxen haben dasselbe Problem). Und so sah das bei der Charly aus:

Das sieht schon mal nicht gut aus. ein kurzer Check ergab: Hochtöner links kaputt (gaaanz viel Ohms). Ungewöhnlich ist auch der sehr lineare Impedanzverlauf im Bassbereich.

Aber das "rechte" Exemplar war noch intakt, und so haben wir Schritt 2 gemacht: Schalldruckpegel im Nahfeld. In ca. 2 cm Abstand misst man fast ausschließlich was aus dem Chassis kommt das man direkt vor der Mikrofonkapsel hat, selbst wenn die anderen Chassis lange den Staffelstab übernommen haben. Problematisch dabei ist allerdings der genaue Pegel der einzelnen Chassis, da kleinste Änderungen im Abstand zu großen Pegeländerungen führen. Und so sieht das bei der Charly aus:

Man kann auf jeden Fall erkennen, dass der "Mitteltöner" ziemlich weit nach unten durch läuft, wahrscheinlich nur mit einem vorgeschalteten Kondensator. Diesen Eindruck hatten wir auch beim Blick auf den Mitteltöner bei Wiedergabe von bassintensiver Musik (z.B. Marla Glen): da machte der Mitteltöner ganz schön viel Hub. Auch der Hochtöner geht relativ weit hinunter - kein Wunder, dass der kaputt war. Die kontrollierte Undichtigkeit unterstützt den Bass unterhalb von 70 Hz. Als drittes folgt dann die Schalldruckmessung am Hörplatz:

Wow, gar nicht schlecht! Oberhalb von 200 Hz verläuft der Frequenzgang am Hörplatz sehr linear, darunter legt die Box dann aber relativ spontan ein fettes Pfund zu (im Mittel gut 5 dB) und regt sogar unsere Raumresonanz von 30 Hz stark an. Ein Lautsprecher mit linearem Energiefrequenzgang würde ja wegen der zu hohen Frequenzen zunehmenden Absorption einen leicht abfallenden Frequenzgang haben (s. HiFi-Forum-DIY-Contest 2008). So gesehen hat die Charly einen badewannigen Frequenzgang mit Bass- und Höhenanhebung, wie er von vielen Leuten vor allem bei geringer Wiedergabelautstärke bevorzugt wird. Beim kurzen Hörcheck klang die Charly denn auch sehr angenehm und sehr warm, allerdings auch wenig präzise - ideal zur Hintergrundbeschallung.

Zu guter Letzt wurde noch das vertikale Rundstrahlverhalten untersucht. Dazu wird z.B. in 1m Abstand geschaut, in wie weit sich der Frequenzgang ändert wenn man das Mikrofon (oder die Ohren) um +/- 10 cm in der Höhe verändert. Dadurch simuliert man den Unterschied zwischen der Hörposition im "tiefer gelegten" Sofa bis zum Holzstuhl Modell Spartakus. Bei einer guten Box sollte sich der Frequenzgang in 1 m Abstand nicht zu sehr ändern:

Hier wird noch mal der "Badewannencharakter" der Charly mit einer breiten Senke um 2 kHz besonders: nur 10 cm unterhalb wird das "Loch" aufgefüllt.

Da ein Hochtöner defekt war und beide Mitteltöner bereits Auflösungserscheinungen im Sickenbereich zeigten wäre eine Reparatur sehr aufwändig gewesen. Dem Besitzer gefiel aber der Bassbereich sehr gut. Der VALVO AD12630W8 hat zwar ein recht hohes Qts von 0.677

und ein großes Vas von 233.6 l

Aber in dem riesigen Gehäuse geht er sehr tief hinunter. Da genügend Platz vorhanden war schlugen wir vor, die Mittel- und Hochtöner abzuklemmen und das Bassabteil samt Originalweiche im Mittel- und Hochtonbereich einfach um eine Kleinstbox ergänzt.

XTZ-70

Wenn man die XTZ 70 mit ihrer gewölbten Front oben auf das Abdeckgitter der Charly stellt denkt man fast, beide seien füreinander gemacht! Der Frequenzgang der XTZ70 sieht sehr linear aus

und bei einem Paarpreis von 55 € kann man auch nicht meckern. Daher haben wir schnell ein Boxsim-Modell erstellt mit Impedanzverlauf

und Schalldruckpegel in 30 cm Abstand (-> Welligkeiten im Übergang MT/HT)

Leider funktionierte es nicht so einfach die XTZ70 vor tiefen Tönen zu bewahren. Ein einfacher Vor-Kondensator hätte bei der Resonanzfrequenz fast keine Wirkung gezeigt und eine Impedanzentzerrung hätte die Gesamtkosten verdoppelt. So blieb es dann bei der schnöden Parallelschaltung. Dank geschlossenem Gehäuse ist die XTZ70 zumindest hubmäßig geschützt, nur allzu laut darf man es nicht machen . . .

Wenn man die XTZ70 verpolt anschließt gelingt die Überlagerung mit dem Bassabteil der Charly deutlich besser. Während die XTZ70 alleine frei auf der Charly stehend völlig bassfrei und sehr hell timbriert rüberkommt macht die Kombination mit dem Bassabteil der Charly richtig Spaß und spielt deutlich klarer und frischer auf als das Original - was will man mehr für 55 €?