Prolog
DYNAUDIO - das ist seit vielen Jahren ein im wahrsten Sinne des Wortes "klingender" Name. Heute ist DYNAUDIO vor allem als Hersteller von hochwertigen Fertiglautsprechern bekannt, in denen schlichte Eleganz und hochwertige Technik eine Symbiose eingehen. Seit einigen Jahren bietet DYNAUDIO auch hochwertige passive und aktive Studiomonitore an.Zur "Blütezeit" des Lautsprecher-Selbstbaus war DYNAUDIO ein High-End-Chassis-Lieferant. Die Hoch- und Mitteltonkalotten mit Waveguide (das damals noch Hornvorsatz hieß) waren sehr gut und unter Anderem dank Ferrofluid hoch belastbar. Das mussten sie auch sein, denn DYNAUDO propagierte damals flache 6 dB-Weichen, die die Chassis nur gering von zu tiefen Tönen entlasteten. Schon damals "quälte" man die Hochtonkalotten mit wenige Millisekunden langen Impulsen von 1000 Watt und zeigte, dass DYNAUDIO-Kalotten das Signal weitgehend unkomprimiert wiedergaben.
Ein "Markenzeichen" der DYNAUDIO-Chassis war auch die Verwendung von 6-eckigem Draht für die Schwingspule. So bekommt man mehr Drahtquerschnitt in den Luftspalt (gut für die Kühlung) und erhöht die Festigkeit der Schwingspule, da der Schwingspulendraht nicht mehr nur punktuell sondern flächig verklebt wird. Die Verwendung von 6-eckigem Draht verlangt "leider", dass man den Draht genau führt und erlaubt daher nur geringere Wickelgeschwindigkeiten als "üblich". Auch bei den Konuschassis ging DYNAUDIO ungewöhnliche Wege. Als Membranmaterial wurde ein spezieller, hochdämpfender und dennoch steifer Kunststoff verwendet (MSP = Magnesium Silikat Polymer). Es wurde nicht etwa eine Folie konstanter Dicke tiefgezogen (übliches, preiswertes Vorgehen), denn dabei würde die Membran am Hals am schwächsten sein, obwohl dort die größten Kräfte auftreten. Stattdessen wurde eine spezielle Spritzgussform erstellt, so dass die Materialstärke im Prinzip an jeder Stelle der Membran der Belastung angepasst werden kann. Außerdem führte DYNAUDIO relativ früh Chassis mit relativ großen Schwingspulen und innenliegenden Magneten ein, z.B. beim 17-W75. Dadurch erhöhte sich die thermische Belastbarkeit (wichtig wegen der 6 dB-Weichen) und man konnte erreichen, dass die Chassis ein ausgeprägtes Tiefpassverhalten hatten, also von alleine keine höheren Frequenzen mehr übertrugen (auch wichtig bei den 6 dB Weichen). Damals achtete man halt nur auf die elektrische Filterfunktion und nicht auf die gesamte akustische . . . |
Eine weitere "Spezialität" der DYNAUDIO-Mannen war das "Variovent" (DYNAUDIO Datenblatt, PDF, 1.1 MB), eine kontrollierte Undichtigkeit (oder KU). Im Gegensatz zu einem Bassreflexgehäuse musste das Variovent nicht extra abgestimmt werden; lediglich die Anzahl richtete sich nach dem Gehäusevolumen. Idealerweise wurde es zusammen mit Chassis eingesetzt, die in dem geplanten Gehäusevolumen bei geschlossener Ausführung eine etwas zu hohe Gesamtgüte > 0.9 gehabt hätten. Durch Einführung der Variovent wurde die mechanische Dämpfung des Gesamtsystems erhöht und dadurch die Gesamtgüte reduziert.
Eine ganz hervorragende Zusammenstellung der DIY-Vergangenheit von DYNAUDIO mit fast allen Datenblättern findet man auf dieser Seite - eine wahre Fundgrube!
Leider erinnert heute auf der offiziellen DYNAUDIO-Homepage fast nichts mehr an diese "glorreichen" DIY-Tage. Zum ehemaligen DYNAUDIO-Selbstbau-Flagschiff Compound 5 findet man allerdings doch noch etwas - wenn auch nicht viel.
Dafür findet man auf der DYNAUDIO-Homepage das sagenumwobene "Buch der Wahrheit" - allerdings nur auf Englisch als Buch der Wahrheit (PDF, 2.8 MB). Das sollten Sie sich unbedingt herunterladen und auf Seite 14 und 15 lesen, "warum die Dänen so gute Lautsprecher bauen" und was es mit Herrn Johansen und dem Südpol auf sich hat (extrem köstlich). Dann werden Sie verstehen, warum der dänische Humor (neben dem britischen) berühmt berüchtigt ist.
Hilferuf für Weichenupgrade
Vor einigen Wochen besuchte uns der Besitzer einer modifizierten DYNAUDIO Compound5 (Bauskizze, PDF, 102 kB) und wollte wissen, wie man die Box verbessern könnte. Er zeigte uns das Weichenschaltbild (das trotz 6dB-Weichen doch ganz schön kompliziert aussah):- 5 Chassis (Compound im Bassbereich)
- 4 Wege
- z.T. Impedanzentzerrung
- z.T. Spannungsteiler
- ein Allpass-Filter vor dem Mitteltöner
- etc.
Zu allem Überfluss war das nicht der originale Nachbau der DYNAUDIO Compound 5 sondern eine modifizierte Variante mit "umgedrehten" Chassis. DYNAUDIO hatte früher den Bass häufig ganz oben in der Box angebracht und den Hochtöner ganz unten (entgegen der landläufigen Meinung, dass der Hochtöner auf Ohrhöhe sein muss). Wer unseren Artikel Zeitrichtig - schon wieder oder immer noch? (Teil 1) gelesen hat weiß, dass man dadurch auf einfache Weise Laufzeitdifferenzen der Chassis zum Hörort reduzieren kann.
Er hatte im Laufe der letzten 15 Jahre schon 2 Selbstbau-Läden beauftragt eine neue Weiche zu entwickeln und schon viele Hundert Euro allein in die Weichenbauteile gesteckt. Danach hatte er die Weiche mehrmals modifiziert und mit den Vorwiderständen bzw. Spannungsteilern experimentiert - ohne jedoch auf Dauer zufrieden zu sein.
Da wir die Chassis nicht genau genug kannten und der Besitzer nicht genau sagen konnte was ihn eigentlich stört war guter Rat eigentlich unmöglich. Eine Erfolg versprechende Vorgehensweise wäre unserer Meinung nach:
- Gemeinsamer Hörtermin vor Ort mit Beschreibung der gewünschten Verbesserungen; dabei wird auch der Schalldruckpegel am Hörplatz und die Nachhallzeit des Hörraumes gemessen sowie eine kurze raumakustische Beratung gemacht
- Die Einzelchassis beider Boxen werden bei uns durchgemessen, und zwar Impedanz (-> sind noch alle Chassis OK), winkelabhängiger Schalldruck im Gehäuse und Klirrfaktor; schließlich wird die Weiche so wie gehört aufgebaut und der Gesamtfrequenzgang gemessen und die Box subjektiv in unserem Hörraum beurteilt (idealerweise mit Auftraggeber)
- Mit den unter 2. ermittelten Daten kann ein Boxsim-Modell des Istzustandes erstellt werden. Durch Vergleich Höreindruck/Messung/Simulation kann das Modell abgeglichen und validiert werden
- Basierend auf dem Modell kann eine neue Weiche in unserem Hörraum entwickelt und vom Auftraggeber "abgenickt" werden
- Sollte es dann "zu hause" nicht wie gewünscht klingen kann durch das validierte Boxsim-Modell eine zielgerichtete Anpassung gemacht werden
Der Hörtermin
Beim Hörtermin fiel zunächst mal der sparsam möblierte Raum auf. Auf dem Parkettboden suchte man einen Teppich vergeblich, und als "Vorhänge" gab es Schiebegardinen von IKEA - Modell ANNO. Die sind zwar etwas blickdicht, aber akustisch dürften sie kaum wirken. Ein paar Pflanzen bemühten sich redlich den herumvagabundierenden Schall noch etwas zu zerstreuen. Und so hörte es sich dann an, wenn man rosa Rauschen über beide Boxen abspielt und das Signal plötzlich ausschaltet:
Zum Vergleich das Anregungsgeräusch (MP3-Datei, 31 kB) - natürlich ohne Nachhall.
Die Auswertung der Nachhallzeit mit JustT60 ergab dann auch einen ungewöhnlichen Verlauf:
Wenn man sich die linke und rechts Box einzeln anguckt kann man ggf. Unsymmetrien erkennen:
- die linke Box hat um 100 Hz einen "normalen" Verlauf (Position an der Fensterfront = Plattenresonator?), während die rechte Box dort eine deutliche Überhöhung hat
- bei beiden Boxen fällt auf, dass die Nachhallzeit > 500 Hz ansteigt, und zwar auf deutlich zu hohe Werte von knapp 0.6 s
Ein bisschen Theorie gefällig?
Die wesentlichen Zusammenhänge wurden eigentlich schon im obigen Artikel erklärt. Für die Nachhallzeit gilt:Formel 1a: Nachhallzeit T60 [s] = 0.163 · Raumvolumen V [m³] / Äquivalente Absorptionsfläche A [m²]
Die Formel kann man auch umstellen nach:
Formel 1b: Äquivalente Absorptionsfläche A [m²] = 0.163 · Raumvolumen V [m³] / Nachhallzeit T60 [s]
Und was bitteschön ist denn nun wieder eine äquivalente Absorptionsfläche? Zunächst mal gilt:
Formel 2: Äquivalente Absorptionsfläche A [m²] = Fläche S [m²] · Absorptionsgrad alpha [%]
Ein 5 m² großer Teppich mit 10% Absorptionsgrad wirkt demzufolge genau so wie eine 0.5 m² große Fläche mit 100% Absorption. War doch nicht so schwer, oder? Ein 100%iger Absorber ist z.B ein offenes Fenster ins Freie: alles was durch das offene Fenster geht kommt nie wieder . . .
Bei komplexen Gebilden wie einem Sofa oder einer Person (ja, ja, auch eine Person absorbiert, und zwar nicht zu knapp) misst man einfach die Nachhallzeit ohne Sofa (Zustand a) und mit Sofa (Zustand b) und berechnet aus der Änderung der Nachhallzeit die äquivalente Absorptionsfläche:
Formel 3: Ab - Aa = 0.163 · V · (1/T60b - 1/T60s)
So waren wir im obigen Artikel vorgegangen und hatten unter Anderem die äquivalente Absorptionsfläche von 2 IKEA-Gardinenschals der Marke Bomull ermittelt. Neben der "richtigen" Farbe fürs Auge kommt es bei diesen Gardinenschals vor allen Dingen auf ein möglichst hohes Flächengewicht von mindestens 200 gr/m² an. Damit einher geht meist ein relativ hoher Strömungswiderstand, der für die guten Absorptionseigenschaften verantwortlich ist.
Da jedes Material einen anderen frequenzabhängigen Absorptionsgrad hat muss man das für jede Teilfläche und jede Frequenz berechnen und kann dann die äquivalenten AbsorptionsTEILflächen Ai gedanklich zu einer äquivalenten AbsorptionsGESAMTfläche Ages addieren.
Wenn man ausgehend von einer Istsituation mit bekannter Nachhallzeit die Wirkung einzelner zusätzlicher Maßnahmen abschätzen will, dann geht man so vor:
- Berechnung der aktuellen äquivalenten Absorptionsfläche Aist bei bekanntem Raumvolumen und gemessener Nachhallzeit nach Formel 1b
- Berechnung oder Messung der äquivalenten Absorptionsfläche Aadd der geplanten Maßnahme
- Berechnung der neuen gesamten äquivalenten Absorptionsfläche Ages = Aist + Aadd und daraus Berechnung der neuen Nachhallzeit nach Formel 1a
Beide Maßnahmen zusammen würden die Nachhallzeit an die obere Grenze des empfohlenen Bereichs bringen:
Die Maßnahmen würden nicht nur die Nachhallzeit reduzieren, sondern auch den Schalldruck außerhalb des Hallradius:
Formel 4: Hallradius rH [m] = 0.057 · Wurzel ( Raumvolumen V {m³] / Nachhallzeit T60 [s])
Erklärung: In der Nähe einer Schallquelle wird es lauter wenn man sich ihr nähert und leiser wenn man sich entfernt. In einem 100%ig absorbierenden Raum (z.B. Wald) gilt das auch noch in großer Entfernung. In einem "normalen" Raum wird der Schall aber an den Wänden reflektiert, so dass es ab einer bestimmten Entfernung - dem Hallradius - nicht mehr leiser wird -> man befindet sich im Diffusfeld. In einem 25 m² großen, 2.5 m hohen Raum mit einer Nachhallzeit von 0.5 s ist man bei etwa 64 cm mitten im Übergangsbereich.
Der Schalldruckpegel im Diffusfeld ist proportional zu:
Formel 5: 10 · Log10 ( Nachhallzeit T60 [s] / Raumvolumen V [m³])
Eine Änderung der Nachhallzeit von T60vorher zu T60nachher bewirkt daher eine Verringerung des Schalldruckpegels um:
Formel 6: 10 · Log10 ( T60vorher/T60nachher)
In diesem Fall würde die Nachhallzeit z.B. bei 2 kHz von 0.576 auf 0.381 s reduziert und damit der Schalldruckpegel um 1.79 dB.
Dies führt zu einer weiteren interessanten Betrachtung: wäre der Lautsprecher eine ideale Punktschallquelle, hätte er also einen linearen Frequenzgang und ein perfektes Rundumstrahlverhalten (-> linearer Energiefrequenzgang), dann könnte der relative Schalldruck am Hörplatz mit der Formel 6 berechnet werden. Aufgrund der frequenzabhängigen Nachhallzeit (die in der Regel zu hohen Frequenzen hin abnimmt) müsste sich für eine ideale Punktschallquelle also ein leicht abfallender Frequenzgang am Hörplatz ergeben.
Da ein realer Lautsprecher aber nicht perfekt rundum strahlt sondern in der Regel zu hohen Frequenzen hin zunehmend bündelt würde solch ein Lautsprecher mit linearem Frequenzgang auf Achse einen noch stärker abfallenden Frequenzgang am Hörplatz ergeben. Und was haben wir nun gemessen?
- bei 36 und 72 Hz gibt es Überhöhungen (= stehende Wellen)
- der Frequenzgang > 300 Hz ist sehr linear, sollte am Hörplatz aber zumindest > 3 kHz eher leicht abfallend sein (s.o.)
- der breite Grundtoneinbruch kommt über die Bodenreflexion (Umweg zum Hörplatz = 1/2 Wellenlänge) und wird so nicht empfunden (s. HAAS-Effekt)
Um Lautsprecher subjektiv zu beurteilen verwenden wir seit Jahren eine feste Zusammenstellung von Musikstücken. Die generelle Tendenz der Compound 5 war eine zu helle Abstimmung, die bei bestimmten Stücken fast schon aggressiv war und mitunter nervte. Dies kann weichentechnisch sicher verbessert werden, würde sich aber tendenziell auch durch eine Verringerung der Nachhallzeit etwas bessern (s.o.).
Durch die deutlich zu hohe Nachhallzeit war eine präzise Mittenortung deutlich erschwert, die räumliche Abbildung war generell tendenziell sphärisch. Hier kann nur eine Reduktion der Nachhallzeit eine deutliche Verbesserung bringen.
Die weiter oben gemessenen Raumresonanzen ergeben sich aus den Raumabmessungen und der Aufstellung der Lautsprecher:
- fast quadratischer Grundriss (4.85m breit, 4.75m lang, 2.5m hoch), d.h. es sind stehende Wellen bei n · 172 [m/s] / 4.8 [m] = 36 Hz, 72 Hz etc. zu erwarten (s. Der Raum, oder warum stehen die Wellen hier herum?)
- zwischen Vorder- und Rückwand wird die 36 Hz und 72 Hz perfekt angeregt, zwischen den Seitenwänden wird die 36 Hz noch gut, die 72 Hz kaum noch angeregt
- die 108 Hz (Wellenlänge = 344 [m/s] / 108 [Hz] = 3.19 m) werden in beiden Richtungen überhaupt nicht angeregt (Wandabstand 1/4 Wellenlänge). Daher erklärt sich auch die lange "Nachhallzeit" in diesem Frequenzbereich: die im eingeschwungenen Zustand stark unterdrückte Frequenz lebt nach Abschalten der auslöschenden Anregung leicht auf - und ist daher unkritisch bzw. sorgt dafür, dass die Senke um 125 Hz nicht so stark empfunden wird (s.o.)
Eine Veränderung der Lautsprecher- oder Hörposition ist zwar theoretisch die preiswerteste Lösung um den Frequenzgang im Bassbereich zu linearisieren, aber solange es sich um einen WOHNraum handelt und man nicht alleine wohnt sind in der Regel noch andere Rahmenbedingungen zu berücksichtigen. Mit dem Raumakustik-Rechner von Hunecke kann man Lautsprecher- und Hörposition schön mit der Maus virtuell verschieben und die ungefähren Auswirkungen abschätzen.
Soweit zur Raumakustik. Hier geht es zurück zum Übersichtsbeitrag und von dort ggf. weiter zu den anderen Teilen..