Im Grundlagenartikel zum Thema Raumakustik ging es vor allem um stehende Wellen, die die Basswiedergabe negativ beeinflussen können. Dort wurde Einiges zum Thema "gut anregen" und "gut wahrnehmen" und so gesagt. Für einzelne Frequenzen und einzelne Raumrichtungen ist das ja noch anschaulich, aber wenn dann alle Raumrichtungen und Frequenzen zusammenkommen wird es doch etwas "unübersichtlich". Das alles gilt aber streng genommen auch nur in leeren Rechteckräumen. Ob es in einem realen Raum (mit leichten Unsymmetrien, Teppichboden, Fenstern, Türen und Polstermöbeln etc.) wirklich Probleme mit den stehenden Wellen gibt kann man z.B. durch eine Messung am Hörplatz (und an anderen Punkten im Raum) herausfinden. Das ist aber auch nur eine grobe Annäherung, da unsere Schallwahrnehmung anders funktioniert als ein Mikrofon. So hat zumindest mittel- und hochfrequent ein Mikrofon z.B. eine ganz andere "Richtwirkung" als unsere Ohren (einen guten Link zu dem Thema gibt es hier (PDF, 153 kB).

Außerdem gibt es beim Hören den sog. Haas-Effekt bzw. das Gesetz der ersten Wellenfront (der dem Mikrofon natürlich völlig fremd ist):

Etwas ausführlicher wird das Thema hier (PDF, 68 kB) erläutert.

Das ist aber noch nicht Alles. Bei mittleren und hohen Frequenzen ist die Nachhallzeit eine wichtige Größe. Wenn sie zu hoch ist, klingt es wie in der Kirche. Ist sie zu niedrig (z.B. im "schalltoten" Raum) "fehlt" häufig etwas, das man "gewohnt" ist (s.u.). Auch diese Größe kann man abschätzen (wenn man die Absorptionswirkung der Teilflächen aufsummiert) oder messen, aber auch sie ist nur eine Hilfsgröße und beschreibt nicht genau das, was bei der Wiedergabe im Raum passiert.

Denn da gibt es auch noch die Diffusität des Raumes. Die Vorgänge bei der (akustischen) Schallreflexion kann man sich etwa so vorstellen wie bei der (optischen) Lichtreflexion. Eine "spiegelglatte" Wand reflektiert den Schall wie ein Spiegel das Licht. Was für die Lichtverhältnisse in einem Raum ja noch vorteilhaft sein mag ist es für die Akustik nicht. Hier bevorzugt man eine diffuse Reflexion, vergleichbar mit einem "beschlagenen" oder "körnigen" Spiegel: die auftreffende Energie wird nicht perfekt "gespiegelt" sondern in alle Richtungen zerstreut. Macht das eine Raufasertapete nicht auch schon? Nein! Diffuse Schallreflexion tritt erst oberhalb von Frequenzen auf, deren Wellenlänge 4 mal so groß ist wie die "Rautiefe" der Oberfläche (also die Höhe der Unebenheit). Bei einer Raufasertapete mit ca. 2 mm wäre dies erst für Frequenzen > 40 kHz erfüllt! Viel besser geeignet sind halb gefüllte Bücherregale (ca. 30 cm tief), die je nach Größe bereits ab 280 Hz den Schall streuen. Oder aber auch spezielle Diffusoren, die man sich selbst bauen oder z.B. bei Thomann kaufen kann.

Ein Beispiel für eine besonders schlechte Diffusität ist ein sogenanntes "Flatterecho". Hier wird ein Schallereignis zwischen 2 parallelen Wänden ohne nennenswerte Absorption oder Streuung sehr lange hin- und herreflektiert. Das folgende Flatterecho wurde synthetisch erzeugt. Das erste Klatschen ist in einem gut bedämpften Raum aufgenommen. Beim 2. Klatschen wurde ein Echo mit 10 ms Wiederholrate (Raumbreite 3.4 m) und 70% der Originalamplitude beigemischt.


Soundbeispiel in MP3 (9 kB)

Messtechnisch sind die Effekte Nachhallzeit und Diffusität nur sehr schwer zu trennen: eine hohe Diffusität beschert "glatter" abfallende Nachhallkurven. Bei der Angabe der reinen Nachhallzeit wird dies jedoch nicht berücksichtigt.

 

Überlagerung der Akustik des Aufnahme- und Wiedergaberaumes:

Tja, und dann gibt es da noch den philosophischen Ansatz: darf der Wiedergaberaum der Musik überhaupt seine Raumakustik aufprägen? Was passiert bei einer Aufnahme, die in einiger Entfernung von der Geräuschquelle in einer Kirche gemacht wurde und in einem stark bedämpften Wohnzimmer abgespielt wird? Klingt das noch nach Kirche? Ja (wenn es keine Flatterechos gibt)! Denn die Rauminformation steckt in der Aufnahme. Aber was passiert z.B. mit einem Schlagzeug, das aus geringer Entfernung in einem stark absorbierenden Studio aufgenommen wurde, wenn es im Badezimmer abgespielt wird? Hat da die Bassdrum noch richtig Kick? Nein! Es klingt nicht wie im Studio sondern als wenn das Schlagzeug im Badezimmer spielen würde.

OK, das sind jetzt zwei Extremfälle, aber sie zeigen die Problematik auf. Wer dieses Thema weiter vertiefen möchte sollte sich mal den Beitrag von Andreas Haeger (in diversen Foren auch als AH bekannt) ansehen.

Bei aufwändig produzierten Studioaufnahmen versucht man daher heute meistens, das Instrument mit möglichst wenig (Aufnahme-) Raumrückwirkung aufzunehmen und fügt der Aufnahme erst nachträglich noch etwas künstlichen Hall hinzu. Heutige digitale Systeme verwenden dafür teilweise schon gemessene Impulsantworten real existierender (Aufführungs-) Räume. In ganz seltenen Fällen nutzt man die Originalakustik des Musizierraumes aus und positioniert die Mikrofone in größerem Abstand zum akustischen Geschehen. Das ist aber ein kompliziertes Unterfangen, da z.B. ein Konzertsaal seinen "guten" Klang erst dann entfaltet, wenn mehrere Hundert Menschen auf den Rängen sitzen. Deren akustische Wirkung muss durch spezielle Absorptionsmaterialien (dafür werden Hunderte von Quadratmetern benötigt) zunächst simuliert werden bevor der Aufnahmeraum wieder gut klingt!

Anschaulich wird klar, dass die Nachhallzeit des Wiedergaberaumes auf jeden Fall (deutlich?) kleiner als die des (ggf. virtuellen) Aufnahmeraumes sein muss um die Rauminformation der Aufnahme nicht zu verfälschen. Je nach Benutzungszweck gelten verschiedene Nachhallzeiten als ideal:

Benutzungszweck Richtwert für die Nachhallzeit
Sprachdarbietung (Theater, Oper) 0.8 - 1.0 sec.
Musikdarbietung (Konzertsaal) 1.7 - 2.0 sec.
Orgelmusik (Kirche) ca. 2.5 sec.

Für Aufnahmestudios gibt es daher eine Richtlinie (DIN/EBU), wie groß die Nachhallzeit am Mischplatz sein darf. Beim Raumakustik-Berechnungsprogramm CARA wird je nach Raumgröße ein Toleranzband für das "akustische Raumklima" angegeben. Das Beispiel gilt für einen 60 m³ großen Raum. Für einen Wiedergaberaum von 150 m³ sind beide Angaben übrigens ungefähr gleich.

Da die Nachhallzeit von üblichen Materialien mit der Frequenz ansteigt (s.u.) sind diese Vorgaben insbesondere im Bassbereich nur mit aufwändigen Maßnahmen wie z.B. Plattenabsorbern zu erreichen.

 


 

Abschätzung der Nachhallzeit

Nach einem Vorschlag von W.C. Sabine versteht man unter der Nachhallzeit diejenige Zeitspanne, innerhalb derer die Schallenergie in einem Raum nach Aufhören der Schallerzeugung auf 1/1.000.000 oder um 60 dB abgesunken ist.

Die Sabinesche Nachhallformel lautet:

T [s] = 0.163 · Raumvolumen V [m³] / Summe ( Schallabsorptionsgrad Alpha [ ] · Teilfläche [m²] )

Für jedes Material (z.B. Tapete, Teppichboden, Fenster etc.) muss man also den Absorptionsgrad mit der Teilfläche multiplizieren und alles addieren, bis man die gesamte Raumoberfläche berücksichtigt hat.

Material Absorptionsgrad bei [Hz]
125 250 500 1k0 2k0 4k0
Tapete 2% 3% 4% 5% 7% 8%
Teppich bis ca. 6mm 2% 4% 6% 20% 30% 35%
Vorhang BW-Plüsch, doppelt, 70mm Wandabstand 7% 30% 72% 92% 86% 96%
Polstersessel (leer, Stoffbezug) 44% 60% 77% 89% 82% 70%
Parket 10% 7% 5% 6% 6% 6%
Fenster 25% 15% 10% 5% 3% 3%
Rigipswand 12.5mm, 100mm Wandabstand 50% 12% 6% 4% 7% 10%

 

Beispiel:
Die Wände und Decke eines Raums mit den Abmessungen 4.0 m x 6.0 m und der Höhe von 2.5 m seien überall mit Tapete beklebt, nur an einer Seite gibt es ein Fenster von 2 m² (Summe der Tapetenfläche = 2.5 x (4.0 + 6.0) x 2 + (4.0 x 6.0) - 2.0 (Fenster) = 47 m²). Der Boden ist mit Parkett ausgelegt. Sonst ist nichts in dem Raum außer einem Mikrofon (schon die Anwesenheit einer! Person würde die Nachhallzeit in diesem Zustand deutlich reduzieren).

Material Fläche Absorptionsgrad · Teilfläche bei [Hz]
125 250 500 1k0 2k0 4k0
Tapete 47.0 m² 0.94 m² 1.41 m² 1.88 m² 2.35 m² 3.29 m² 3.76 m²
Fenster 2.0 m² 0.50 m² 0.30 m² 0.20 m² 0.10 m² 0.06 m² 0.06 m²
Parkett 24.0 m² 2.40 m² 1.68 m² 1.20 m² 1.44 m² 1.44 m² 1.44 m²
Summe 73.0 m² 3.84 m² 3.39 m² 3.28 m² 3.89 m² 4.79 m² 5.26 m²
  T60 3.10 s 3.56 s 3.63 s 3.06 s 2.48 s 2.26 s

Das dürfte ziemlich ungemütlich klingen! Erst mit ein paar schweren Vorhängen, einem dicken Teppich und ein paar Polstermöbeln ergibt sich eine Nachhallzeit unter 1.0 s. Im Detail ist das eine Sisyphusarbeit, die einzelnen Oberflächen zu bestimmen und vor allen Dingen die "richtigen" Absorptionsgrade zu finden. Unterhalb der 125 Hz Oktave gibt es normalerweise gar keine Angaben. Bei dort wirksamen Strukturen wie z.B. Plattenabsorbern kommt es außerdem auf die genaue Bauart (= genaue Resonanzfrequenz) an. Da stößt man schnell an die Grenzen einer Abschätzung. Wenn der Hörraum schon vorhanden ist, ist eine Messung der Nachhallzeit vorzuziehen. Mit ein wenig Erfahrung reicht das In-die-Hände-Klatschen und das Auszählen wie lange es dauert, bis man keinen Nachhall mehr hört (d.h. es wird nicht mehr leiser) um den Absorptionsgrad im mittleren Frequenzbereich abzuschätzen.

 


Messtechnische Bestimmung der Nachhallzeit

Bei der Messung der Nachhallzeit muss man eigentlich (nach DIN/ISO)

  • eine rundumstrahlende Schallquelle nehmen,
  • diese an mehreren Punkten im Raum positionieren und
  • an mehreren Punkten im Raum mit einem Diffusfeld-Mikrofon messen,
  • wobei es einen Mindestabstand zwischen Mikrofon und Lautsprecher gibt und der Lautsprecher das Mikrofon nicht direkt von vorne beschallen soll.

In der Praxis nimmt man natürlich seine eigenen Lautsprecher an ihrem üblichen Platz und misst am Hörplatz (wenn es hoch kommt richtet man das Mikrofon netterweise noch gegen die Decke), womit bereits einige Bedingungen für eine "richtige" Nachhallzeitmessung verletzt sind. Aber will ich eigentlich die Nachhallzeit "richtig" messen?

Schließlich blendet man bei stark bündelnden Lautsprechern (z.B. Hornlautsprecher oder große Breitbandlautsprecher) den Raum teilweise aus, ebenso wie bei einem relativ geringen Abstand zwischen Lautsprecher und Hörposition (bzw. Mikrofon). Und außerdem stören im mittleren und oberen Frequenzbereich Reflexionen von hinten nicht so sehr, da sie durch die Richtwirkung der Ohrmuscheln weniger stark wahrgenommen werden (na, dann lasse ich mein Mikrofon doch lieber die Lautsprecher angucken, um das so ähnlich zu machen).
Eine praxisgerechte Nachhallzeitmessung für Stereo-Musikwiedergabe in einem Hörraum wäre also:

  • Mikrofon in Ohrhöhe am Hörplatz positionieren und auf die Mitte zwischen den beiden Lautsprechern (Höhe Mittel- bzw. Hochtöner) ausrichten
  • Zunächst nur eine Lautsprecherbox als Schallquelle verwenden,
  • dann die andere und
  • schließlich beide Lautsprecher

Durch die L, R, L+R-Taktik können Unsymmetrien des Raumes erfasst werden.

Hinweis: Durch die "Verletzung" der Messregeln (s.o.) ergibt sich in der Regel eine kürzere Nachhallzeit als mit der Überschlagsrechnung!