Hoher Besuch aus Geithain . . .

. . . beehrte uns kürzlich in Form der ME-Geithain 804K. Die Mannen um Joachim Kiesler entwickeln seit 1984 Lautsprecher (BR 25) und haben sich seit vielen Jahren einen hervorragenden Ruf vor allem im Studiobereich erarbeitet. Grundlage dafür war insbesondere die schon 1985 entwickelte RL900, deren "Nachfahre" RL901K bzw. ME 901K auch heute noch im Programm ist.

Mittlerweile hat man auch den High-Ender als Kunden erkannt und bietet Ableger aus der Studiotechnik in wohnlicherem Kleid wahlweise als Passiv- oder Aktiv-Lautsprecher an. Hier ein interessanter Bericht über die Firma Musikelektronik Geithain GmbH von Fairaudio.

Kernstück der Firmenphilosophie ist ein weitgehend koaxialer Aufbau der Chassis (zumindest im Mittel-/Hochtonbereich) und eine nierenförmige Abstrahlcharakteristik im Bassbereich, um Reflexionen an der hinter dem Lautsprecher liegenden Wand im Bassbereich zu reduzieren. Beide Prinzipien sind auch in der ME 804K realisiert.

Wie sich die ME 804K in unserem Hörraum geschlagen hat und ob wir in unserem RAR die Geheimnisse der ME 804K lüften konnten erfährt im ausführlichen Steckbrief.

 

 

 

Messung im Hörraum:

Da zunächst nur ein kurzer Besuch geplant war haben wir die Lautsprecher gleich mal in unserem Hörraum auf die Standardpositionen gestellt und am Hörplatz gemessen.

Die zur Orientierung hinzugefügte magentafarbene Kurve hat einen Abfall von 3 dB/Dekade, das klingt in unserem Raum am Hörplatz leicht warm. Zum Vergleich hier mal die Kurve unserer bewusst warm abgestimmten DUO-DXT:

Im Vergleich fällt die geringere Welligkeit der ME 804K im Bassbereich auf, aber auch die höhere Welligkeit oberhalb von 250 Hz. Im Bassbereich könnte die nierenförmige Schallabstrahlung und/oder die Abstrahlung durch 2 übereinander liegende und weiter unten abstrahlende Chassis die Ursache für den gleichmäßigeren Frequenzgang sein. Die erhöhte Welligkeit darüber dürfte auf den speziellen Aufbau des koaxialen Mittel-/Hochtöners zurückzuführen sein (hier ein Bild der Einheit aus dem Test der RL930 in der AUDIO 3/2011)

Der immerhin 20 cm durchmessende Mitteltöner (effektiver Durchmesser ca. 17 cm -> 227 cm² Membranfläche) sieht vor sich zum einen ca. 4 cm langes, sich in 3 Stufen erweiterndes Rohr. Wenn man das in AJHorn simuliert ändert sich der Frequenzgang wie folgt:


-> der Wirkungsgrad steigt ab 400 Hz um ca. 2 dB an
-> der Schalldruckverlauf schwankt zwischen 400 und 2000 Hz um +/- 1 dB

Zum anderen sieht der Mitteltöner vor sich einen ca. 5 cm breiten "Steg", der bei 17 cm effektiver Länge immerhin ca. 37% der Membranfläche abdeckt. Der in Richtung Steg abgestrahlte Schall wird dort reflektiert und auf die Membran zurückgeworfen - nicht gerade ideal. Der mittlere "Umweg" dürfte etwa 10 cm betragen, das würde bei 1.7 kHz zu einer Absenkung führen, bei 3.4 kHz zu einer Überhöhung.

Von vorne betrachtet gibt es 2 identische Flächen die Schall abstrahlen mit einer 5 cm breiten "Lücke". Die gedachten Mittelpunkte beider "Schallflächen" sind ca. 12.5 cm voneinander entfernt - und damit gibt es zur Seite hin eine Kammfilterwirkung (in 1m Abstand ergibt sich unter 45° die 1. Abschwächung um 20.7 dB bei 1942 Hz). Dies erklärt die relativ starke seitliche Richtwirkung um 1600 Hz (hier arbeitet der Mitteltöner noch weitgehend allein, während darüber das Hochtönertrio einsetzt).

Durch eine Nahfeldmessung kann man erkennen, dass die Übernahmefrequenz zu den Tieftönern bei knapp 400 Hz liegt (Herstellerangabe 380 Hz), die Filtersteilheit beträgt höchstens 12 dB/Oktave. Eine Nahfeldmessung der Hochtöner macht wegen der 3-fach-Anordnung keinen Sinn.

Im Test der Audio wurden auch die Verstellmöglichkeiten der RL930 erwähnt, die auch bei der ME 804K ähnlich vorhanden sind. Auf Anfrage bekommt man eine Übersicht der Verstellmöglichkeiten zugeschickt. Der Verstärkereinschub lässt sich nach Lösen von 4 Schrauben ausklappen und erlaubt so den unproblematischen Zugang zu den Einstellpotis (P1 bis P5).

ACHTUNG: im unteren Bereich der Platine sind weitere Potis erkennbar (P6 bis P12), an diesen sollte man auf gar keinen Fall herumdrehen!

Die ME 804K wird im Bassbereich von einer 1100 Watt (an 4 Ohm, 0.1% THD) ICE-Power Digitalendstufe angetrieben, im Mittel- und Hochtonbereich kommt jeweils eine 600 Watt (an 4 Ohm, 0.1% THD) ICE-Power Digitalendstufe zum Einsatz (Gesamtaufbau 1000ASP + 2x 500A, s. Broschüre ICEpower 1000ASP, Seite 4 unten). Damit sollte gerade im Mittel- und Hochtonbereich immer reichlich Leistung zur Verfügung stehen. Immerhin gibt Geithain einen Spitzenschalldruckpegel von 120 dB in 1m Abstand an.

Die Besuchs-ME804K war auf den Hörraum des Besitzers angepasst, im Vergleich dazu die Linearstellung aller Regler (in dieser Stellung wurde auch der Hörtest gemacht):


-> der Besitzer der ME 804K hatte eine Raummode bei 40 Hz und dort insgesamt 5 dB abgesenkt ("etwas weniger" P3 und P4 auf Minimum)
-> außerdem erschienen dem Besitzer die Höhen wohl etwas unterbelichtet, so dass er diese um 2 dB angehoben hat (P5 auf Maximum)

In Linearstellung ist der mittlere Abfall in unserem Hörraum noch etwas stärker, die Lautsprecher dürften also noch etwas wärmer klingen.

Der Hörtest (Durchgang 1)

Die Lautsprecher blieben dann doch etwas länger bei uns - was sich recht schnell herumgesprochen hatte. In den beiden folgenden Tagen kam jeweils einer unserer Abonnenten zu Besuch und hörte sich seine Teststücke auf der ME 804K an. Die Lautsprecher waren zu dem Zeitpunkt in Linearstellung (das erschien uns am fairsten) und standen auf dem "üblichen" Platz und wurden auf den Hörplatz ausgerichtet.

Nachdem wir beide Hörer aufforderten doch mal den Kopf etwas nach links und rechts zu bewegen fiel beiden auf, dass sich die Mittenortung dann nicht gleichmäßig sondern eher "sprunghaft" ändert - im Messraum sollten wir später den Grund dafür herausfinden. Ansonsten kamen beide zu der Erkenntnis, dass die ME 804K in den Höhen recht dezent zu Werke ging und z.B. Becken leicht gedeckt wiedergab. Auch Snareschläge kamen zu sanft rüber.

Im Bassbereich wusste die ME 804K zu gefallen: der Bass war voll und dröhnte weniger als andere Boxen. Dies fiel vor allem auf, wenn man auch auf den anderen Hörplatzen hörte. Größere Pegel im Bassbereich quittierte die LED der linken Box aber mit einem Farbwechsel in Richtung rot (die rechte bliebt grün) - ohne dass aber Verzerrungen hörbar gewesen wären: die Anzeige ist offenbar recht konservativ.

Hier mal ein paar O-Töne:

Stefan:
Ich konnte gestern zufällig kurz mit fünf Liedern von der Test-CD reinhören, die ich ganz gut kenne.
Positiv: Die Box ist eher rund abgestimmt und hat Langzeitqualitäten. Die Box ist ein Aktivsystem, die Verstärker haben nach meinem Höreindruck ausreichende Reserven. Ich bin aber kein Extrem-Laut-Hörer. Stimmen waren präzise umrissen etwas vor der Boxenebene. Männerstimmen klangen plastisch und natürlich, evtl. etwas groß abgebildet. Das klang gegenüber dem, was man im HiFi-Studio oder im Schnitt auf der Messe im Maritim in Bonn kredenzt kriegt schon recht gut.
Nun die nicht ganz so positiven Eindrücke: Ein sauberes Stereobild gab es nur ziemlich genau in der Mitte. Das wurde besser, wenn man sich in die zweite Reihe Mitte begab. Insgesamt fand ich die Abbildung der einzelnen Instrumente/Stimmen etwas groß und dadurch im Stereobild aneinandergedrängt. Ich glaube für Rockhörer ist das Teil nix, hier klang mir die Box etwas "lahm" (was evtl. nur ein anderes Wort für Langzeitqualität ist ;-)). Die Gitarre vom Diana Krall Stück auf der Test-CD habe ich als brutal verfärbt empfunden - aber nur die - ansonsten OK. Diana selber machte mit der Box doch einen recht maskulinen Eindruck - hmm? Den Bass fand ich etwas zu fett.
Diese Negativpunkte muss man aber deutlich relativieren: Mein Vergleichsmaßstab sind perfekt auf den HSB-Raum eingemessene Boxen (bspw. Trio Pro) oder in diesem Raum entwickelte Boxen (DK Sat, Duo DXT). Wenn man nun eine einstellbare Aktivbox auf Linear stellt und einfach mal hört, kann das nicht perfekt werden. Egal was das Teil kostet. Oder andersherum: Ich denke das ist das Niveau, was man mit 20 Scheinen erreicht, wenn man keine Abstimmung auf den Raum macht. Wirklich OK aber nicht perfekt.
Auf die Einstellmöglichkeiten angesprochen, merkte Thomas an, dass die Regler auf der Rückseite eher breitbandig wirken und einzelne Resonanzpeaks wahrscheinlich nicht einfach eliminiert werden können. Ich könnte mir vorstellen, dass man ein klareres Bild von den wirklichen Möglichkeiten der Box im Vergleich bekommt, wenn man mal Dirac drüber jagt.
Soweit meine Eindrücke nach einem Tag sortieren.

Diskus_GL:
also, ich habe das Teil gestern kurz hören können... und sehen. Optisch eher eine "konservative" große Box. Mir wäre sie ein bisschen zu "normal - eher so "Taunus-Design" - eben nichts spektakuläres oder gar besonders wertiges (wenn man mal den Preis mit betrachtet).
Akustisch war sie für meinen Eindruck auch recht "unspektakulär" und eher "normal".
Tonal war sie eigentlich tadellos; vielleicht etwas wenig Höhen (fiel besonders bei Rosa-Rauschen auf), aber da gibt es einstellbare Höhenfilter an den Endstufen. Räumlich (zumindest bei der üblichen Aufstellung im HSB-Hörraum, die auch der Betriebsanleitung der Box entsprach) etwas wenig Tiefe und auch eher Geschehen zwischen den Boxen - lediglich bei einigen bewusst auf Stereo-Effekte abgemischte Stücke waren auch außerhalb der Boxen Instrumente zu orten.
Bei leichten Kopfbewegungen (da reichten bereits 5cm vom Sweet-Spot) gab's schon mal ein "Wandern" der Instrumente... Mitte - Box - Mitte.... Das kann natürlich an Reflexionen aufgrund der Aufstellung liegen, könnte aber auch seine Ursache in der besonderen Anordnung der drei Hochtöner vor dem Mitteltöner liegen"

Bei den Hörbeschreibungen ist zu berücksichtigen, dass die ME 804K in unserem recht trockenen Hörraum gemäß Herstellerangabe eigentlich nicht optimal aufgehoben ist (s.u.)

Messung im RAR

Unser RAR ist ja eigentlich für Chassistest gedacht, bei kompletten Lautsprechern haben wir vor allem mit einer Bodenreflexion zu kämpfen, die wir temporär durch eine 20 cm Schaumstoffmatratze und eine 40x40x120 cm große "Bassfalle" aus Basotect entschärfen. Im Deckenbereich ist die Absorption aber ebenfalls nicht ausreichend, so dass unter 200 Hz keine verlässlichen Messergebnisse ermittelt werden können. Der Messabstand wurde mit 100 cm so groß wie in unserem kleinen RAR möglich gewählt.

Zunächst wurde das horizontale Rundstrahlverhalten ermittelt:


-> auf Achse gibt es bei 7.3 kHz eine Überhöhung um 2.5 dB, die erst bei 15° verschwindet (s.u.)
-> um 1.6 kHz ist die Bündelung des Mitteltöners recht stark, der Hochtöner strahlt dagegen bei 2.5 kHz sehr gut rundum
-> oberhalb von 3 kHz nimmt die Bündelung recht gleichmäßig und recht gering zu, selbst oberhalb von 12 kHz


-> unter 15° ist der Frequenzgang am ausgewogensten

Nach horizontal kommt - vertikal. Und da gab es eine handfeste Überraschung:


-> auf Höhe des mittleren Hochtöners fällt der Frequenzgang > 18 kHz steil ab; das gilt umso mehr 5 cm höher/tiefer (rote Kurven, +/- 2.9°)
-> ab +/- 15 cm (+/- 8.5°) gibt es einen > 5 dB Einbruch bei 8 kHz und > 12 dB Anstieg (?!?) bei 20 kHz (gegenüber 0 cm)
-> dieses Verhalten ist nach oben und unten weitestgehend identisch

Das Abstrahlverhalten darf man getrost als "ungewöhnlich" bezeichnen. Immerhin wissen wir jetzt, dass man die ME804K bei hohem Direktschallanteil am besten nicht auf Achse sondern unter 15° seitlich hören sollte. Die Ohren sollten dabei recht genau auf Höhe des Mitteltöners sein.

Der reinen Lehre entspricht das Abstrahlverhalten aber sicher nicht - wenn man nur den Direktschall betrachtet. Allerdings muss man sich vor Augen führen, dass die ME804K laut Hersteller vor allem für Hörentfernungen von 2.8 bis 6.0 m in wenig bedämpften Räumen entwickelt wurde - mithin also für Räume mit recht hohem Diffusschallanteil, also vielen Reflexionen und relativ wenig Direktschall. Die Geithainer haben daher versucht den Diffusschallanteil des Lautsprechers selbst durch konstruktive Maßnahmen zu reduzieren - etwa durch die nierenförmige Abstrahlung im Bassbereich, den relativ großen Mitteltöner und das Hochtönertrio. Bei den obigen Hörbeschreibungen ist zu berücksichtigen, dass die ME 804K in unserem recht trockenen Hörraum gemäß Herstellerangabe eigentlich nicht optimal aufgehoben ist (Hörentfernung am unteren Ende des empfohlenen Bereichs und eher stark bedämpfter Hörraum).

Nierenförmige Abstrahlung im Bassbereich

   

Darüber haben sich schon Heerscharen von DIYern die Köpfchen zerbrochen wie die Geithainer das wohl gemacht haben. Auf der Produktseite der ME 804K wird folgende Kurve veröffentlicht:


-> der Unterschied zwischen der 0° und 180°-Kurve beträgt im Mittel ca. 8 dB
-> der Unterschied zwischen der 0° und 45°-Kurve entspricht nicht dem Unterschied unserer 0° und 45°-Kurve (horizontal), muss also auch das vertikale Rundstrahlverhalten berücksichtigen

Unter den Annahmen, dass:

  1. der nach hinten abgestrahlte Schall perfekt gegenphasig zum nach vorne abgestrahlten Schall ist
  2. der "Umweg" von der vorderen Schallquelle zum Messpunkt etwa 50 cm ist (Gehäusetiefe = 34.2 cm + 1/2 Gehäusebreite = 30.6 cm / 2 )
  3. der Messabstand zur vorderen Schallquelle mindestens 1 m beträgt

dürfte die nach hinten abgestrahlte Energie etwa 10 dB leiser sein als die nach vorne abgestrahlte Energie (bei 200/150 cm Abstand nach vorne/hinten dürfte die Abstrahlung etwa 7 dB leiser sein). Wenn der Phasenwinkel nicht genau 180° beträgt (was über einen so weiten Frequenzbereich passiv kaum einzuhalten ist) muss die nach hinten abgestrahlte Energie entsprechend größer sein.

Die abgestrahlte Energie lässt sich aus dem Schalldruck im Nahfeld multipliziert mit der abstrahlenden Fläche berechnen. Vorne gibt es 2 Tieftöner mit je ca. 200 cm² Membranfläche. Hinten gibt es eine 13.3 x 46.5 cm große Öffnung, von der aber nur die unteren 2/3 im Bassbereich aktiv sind:

Der Schalldruck im Nahfeld des unteren Tieftöners ist:

Bei 40 Hz wird am meisten Schall 2 cm von der rückwärtigen Öffnung abgestrahlt: ca. 10 dB weniger als 2 cm vom unteren Tieftöner. Bei den Tieftönern strahlt insgesamt eine Fläche von 400 cm² ab, bei der rückwärtigen Öffnung sind es etwa 13.3 x 46.5 x 2/3 = 412 cm², also etwa gleich viel. Bei 40 Hz könnte demnach eine Auslöschung nach hinten um 8 dB möglich sein - wenn die Phase stimmt. Bei höheren Frequenzen ist die rückwärtige Abstrahlung allerdings fast 20 dB geringer als die vordere - wie soll da eine Auslöschung nach hinten um 8 dB erreicht werden?

Mit ARTA wurden auch die Impulsantworten gemessen. Zunächst die Werte wie in 2 cm Abstand gemessen (schwarze Kurve Tieftöner unten, grünblaue Kurve Öffnung Rückseite unten):


-> das Signal der rückwärtigen Öffnung beginnt 1.315 ms später (= 45 cm Umweg)
-> der mittlere, direkte Schallweg im Gehäuseinneren beträgt ca. 40 cm -> es kann keine großartige Umleitung geben!

Und so sieht der Frequenzgang der beiden Schallanteile aus (beide in 2cm Abstand):

Bei ARTA kann man auch 2 Schallanteile addieren (Menüpunkt "File / Load and sum"). Bevor man dies tut muss man aber ggf. noch die Laufzeit- und Amplitudenunterschiede ausgleichen. Diese hängen aber vom geplanten Messpunkt ab. Die "Auslöschwirkung" der rückwärtigen Öffnung am rückwärtigen Messpunkt ist umso größer, je näher der Messpunkt an dieser Öffnung ist.

Üblich ist ein Messabstand von der Front von 100 cm. Da das Gehäuse 34.2 cm tief ist läge der rückwärtige Messpunkt dann 65.8 cm von der rückwärtigen Öffnung entfernt (wir gehen jetzt mal der Einfachheit davon aus, dass Tieftöner und Öffnung auf derselben Höhe liegen). Der Schall von vorne müsste aber zunächst die halbe Boxenbreite zurücklegen (= 15.3 cm), dann am Gehäuse entlang laufen (34.2 cm) und dann noch Wurzel(65.8²+15.3²)=67.6 cm bis zum Messpunkt - das sind insgesamt 117.2 cm. Da der rückwärtige Schall nur einen Weg von 65.8 cm zurückzulegen hat ist der Schalldruckpegel im Verhältnis 117.2/65.8=1.78x größer als er es bei gleichem Abstand wäre. Die Schalldrücke wurden aber jeweils im gleichen Abstand gemessen -> der Schalldruck der rückwärtigen Öffnung muss mit 1.78 multipliziert werden. Wenn die Öffnung und die Abstrahlfläche der Tieftöner unterschiedlich wären müsste man auch dies noch korrigieren, hier sind jedoch beide Flächen weitestgehend gleich (s.o.).

Da die Laufzeit des rückwärtigen Schallanteils 51.4 cm kürzer ist kommt er auch 0.514/343 = 0.0015 s früher an. Man muss dem Signal am Anfang also 1.5 ms "klauen" - dies erreicht man, indem man die Antwort aus der rückwärtigen Öffnung am Anfang um 1.5 ms kürzt (rechter Cursor ans Ende, linker Cursor auf 1.5 ms und dann im Menü "Edit / Truncate to"). Da "File / Load and sum" nur bei gleich langen Messungen funktioniert muss man nun auch noch der Messung des Tieftöners am Ende nach dem gleichen Schema 1.5 ms "klauen".

Und so sehen dann die korrigierten Frequenzgänge und Sprungantworten aus:


-> jetzt treffen die ersten positiven (ca. 245 mV) bzw. negativen Peaks (ca. -65 mV) gleichzeitig am Messpunkt ein


-> die rückwärtigen Schallanteile (rot) sind jetzt relativ gesehen etwas lauter

Und so sieht die Addition dann aus, also die Überlagerung von vorderem (jetzt blau) und rückwärtigem (blaugrün) Schallanteil unter 180°:


-> die erste Schalldruckspitze ist jetzt nur noch 180 mV hoch


-> aber < 100 Hz wird kaum Schalldruck abgebaut . . .


. . . weil die Schallanteile < 100 Hz ca. 100° phasenverschoben sind

Bei einer Bassreflexbox wäre der Schalldruck aus der Bassreflexöffnung bei der Abstimmfrequenz um 90° phasenverschoben zum Schalldruck des Tieftöners - demnach würde sich die Öffnung wie eine (bedämpfte) Bassreflexöffnung mit einer Abstimmfrequenz von knapp 40 Hz verhalten. OK, die Messung in 2 cm Abstand birgt einige Fehlerquellen bei der genauen Bestimmung der Amplitude, und die darauf basierende theoretische Betrachtung kann eine ordentliche Messung nicht ersetzen. Aber leider können wir eine solche Messung in unserem RAR nicht durchführen.

Im Internet findet man auf einer polnischen Audio-Seite einen Test der ME 800 K, die ebenfalls eine nierenförmige Abstrahlung im Bassbereich haben soll. Den Bildern zufolge ist die Öffnung dort jedenfalls nur ein Strömungs- bzw. Fließwiderstand wie ihn früher DYNAUDIO als Variovent im DIY-Bereich verkauft hat:

Auch dies weist mehr in Richtung einer bedämpften Bassreflexbox.

Mit unseren Bordmitteln und den gemachten Annahmen (Chassis + "Loch" auf der Rückseite sind Punktquellen, die durch Schalldruckmessungen im Nahfeld ausreichend beschrieben werden können) kommen wir zu dem Schluss, dass die nierenförmige Abstrahlung so nicht funktionieren kann. Aber GEITHAIN wirbt doch damit - das MUSS doch stimmen !?!

 

Besuch bei VISATON

Wir haben unser "Messproblem" mal den Leuten bei VISATON geschildert und den Wunsch geäußert, ob man die ME804K nicht mal in ihrem tollen RAR (= Reflexionsarmer Raum) messen könnte. Zum Glück bestand von Seiten VISATON auch ein Interesse daran die ME 804K mal in Ruhe zu hören, und so waren wir uns schnell einig, dass das eine Win-Win-Situation ist:

  • VISATON bekommt eine ME804K frei Haus "geliefert"
  • und kann sie mal messen und in gewohnter und bekannter Umgebung hören
  • und wir bekommen eine "amtliche" Messung des Rundstrahlverhaltens
  • auf Kosten von Rückenschmerzen

Die ME804K wurde auf den motorbetriebenen Drehteller gestellt und mit einem automatischen Skript wurden mit ARTA alle 5° Schalldruckmessungen in 1 m Abstand gemacht. Drehachse war der Mittelpunkt der ME804K. ARTA bietet verschiedenen Möglichkeiten die Messungen darzustellen:

Zunächst die "klassische" Darstellung als Polardiagramm (bei einer Terzmittenfrequenz wird der Schalldruckpegel bei allen Winkeln gezeigt):


-> <= 200 Hz schön gleichmäßig abgeflachter Kreis mit mindestens 8 dB Abschwächung nach hinten
-> >= 400 Hz "Einschnürungen" bei +/- 150° (durch den rückseitig "teiloffenen" Mitteltöner?)

Bei tiefen Frequenzen sind auch die absorbierenden Wände des VISATON-RAR nicht perfekt und so ist es günstiger, relativ nah am Lautsprecher zu messen (z.B. 1 m im obigen Diagramm).

Bei mittleren und hohen Frequenzen findet auch Beugung an den Gehäusekanten statt, und um diese richtig zu erfassen ist ein größerer Messabstand hilfreich. Die Daten des unten stehenden Diagramms (sogenanntes Konturdiagramm) wurden im 3 m gemessen:
- alle Frequenzen (= X-Achse) und Winkel (= Y-Achse) werden gleichzeitig dargestellt
- der Schalldruckpegel bei der Frequenz X und dem Winkel Y wird über die Farbe "kodiert (rot = laut, blau = leise)


-> >= 500 Hz relativ gleichmäßig zunehmende Bündelung (Winkel bei dem der Schalldruck um 6 dB abgefallen ist gegenüber 0°)
-> bis auf den Bereich um 2300 Hz mit deutlich breiterer Abstrahlung (bei 2500 Hz 6 dB-Abfall bei +/- 80.4°)
-> auch bei 16 und 20 kHz wird die Abstrahlung wieder breiter

Nach dem Messen kam das Hören. Da die ME804K ja eher für große Hörentfernungen in eher halligen Räumen entwickelt wurde haben wir die Boxen in den großen VISATON-Hörraum gehievt (7.00 m breit, 12.65 m tief, 3.4 bis 4.8 m hoch, Volumen ca. 385 m³, Basisbreite ca. 4 m, Hörabstand ca. 5 m). Dort steht normalerweise nur die große VISATON Monitor 890, denn breit strahlende Konstruktionen klingen dort eher nicht so gut und vielen Boxen geht in dem sehr großen Raum schnell mal die Luft aus. Aber die ME804K fühlte sich in diesem Hörraum sauwohl und klang deutlich besser als in unserem eher stark bedämpften Hörraum. Nach den bisherigen Erkenntnissen haben wir die Boxen wieder 15° zu wenig eingedreht. Unter diesen Hörbedingungen leistete sie sich tonal keinen Fehler und gab einfach das wieder was auf dem Tonträger drauf ist - was kann man von einem HiFi-Lautsprecher mehr erwarten? Klang sie in unserem Hörraum noch leicht distanziert war das in diesem Raum kein Thema mehr. Ein Stück nach dem anderen wurde angespielt, aber beim Stück Stimela von Hugh Massekela wollten wir mal wissen was da an Lautstärke geht. Natürlich haut sie das Stück nicht so laut raus wie wir das dort schon von der VISATON Monitor 890 gehört haben, aber sie schlug sich auch in der grobmotorischen Disziplin ("wer kann am lautesten") ganz wacker. 


Fazit:

Die ME 804K ist laut Hersteller "für große Hörentfernungen" ("zwischen 2.8 und 6.0 m") "und akustisch wenig bedämpfte Räume optimiert". Durch die ungewöhnliche Anordnung und Anzahl der Hochtöner und den "akustischen Strömungswiderstand" auf der Rückseite wird eine "spezielle" Richtcharakteristik erreicht, die dieses Vorhaben unterstützen soll.

Die Richtcharakteristik ist allerdings nicht gleichmäßig zu den Seiten hin abfallend, wie es allgemein als günstig erachtet wird. Seitlich sollte man die Lautsprecher unter etwa 15° hören, sie also nicht genau auf den Hörer ausrichten. In unserem recht stark bedämpften Hörraum könnte sie eine Höhenanhebung per Poti P5 vertragen. Mit den Potis P1 bis P4 kann man die ME804K auch im Bass- und Grundtonbereich in Maßen an die Raumakustik anpassen. Schmalbandigen (Q > 5) und starken Raummoden (> 10 dB) kann man damit aber nicht beikommen.

Wir haben die ME804K in unserem recht stark bedämpften relativ kleinen Hörraum und im wenig bedämpften großen VISATON-Hörraum gehört - und können nur bestätigen, dass sie in letzterem deutlich besser geklungen hat. Solche Räume sind mit "normalen", relativ breit strahlenden Boxen eigentlich problematisch - die ME804K fühlte sich dort aber pudelwohl. Demzufolge können wir die Herstellerempfehlung nur unterschreiben!

Und noch eines: Simulationen basierend auf Annahmen mit "Bordmitteln" sind "interessant" - aber es geht nichts über einen richtigen RAR.

Vielen Dank noch mal an das VISATON-Team für die tolle Unterstützung !!!

 

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