Im 1. Teil der LASIP-Frequenzweichen-Basics ging es um die generelle Bedienung des Programms und die Anwendung anhand eines einzelnen Mitteltöners. Es wurde gezeigt:

  • dass sich 6 dB-Weichen an realen Chassis OHNE Impedanzlinearisierung VÖLLIG anders verhalten als gedacht und
  • dass 12 dB-Weichen in diesem Punkt weniger kritisch sind.

Außerdem wurde versucht, die Frequenzgangfehler eines Chassis so zu kompensieren, dass sich eine gewünschte, AKUSTISCHE Zielfunktion ergibt.

Nun hatte ich eigentlich Protest erwartet, dass die erarbeitete Weiche für den Mitteltöner der ELTAX 400 gar nicht der endgültig verwendeten Weiche der Mitteltönersektion der Gesamtbox entspricht. Der Unterschied lässt sich recht einfach erklären:

  1. kann die Weiche für ein Chassis nicht losgelöst von den anderen verwendeten Chassis erfolgen,
  2. kann die Überlagerung zwischen 2 Chassis mit einer Simulation nur unzureichend erfasst werden, da einige Eingabeparameter entweder fehlen oder nur unzureichend genau bekannt sind (dazu später mehr) und
  3. sollte das Ohr immer die letzte Instanz für eine Frequenzweichenentwicklung sein!

Wenn man sich den Schalldruck- und Impedanz-Frequenzgang der 3 Einzelchassis anguckt:

dann stellt man fest, dass der Übergang Mitteltöner / Hochtöner akustisch bei etwa 2.5 kHz erfolgen muss, da sich ansonsten das "Loch" des Mitteltöners um 2 kHz nicht mehr "stopfen" lässt. Andererseits macht sich in diesem Frequenzbereich die Resonanzfrequenz des Hochtöners noch unangenehm bemerkbar (Impedanz- und Pegelanstieg). Ein Hochpass mit (elektrischen) 12 dB/Oktave funktioniert zwar auf Achse zufriedenstellend,

aber es gibt noch andere Kriterien für ein gutes Zusammenspiel von 2 Chassis:

  • Beim "Verpolen" (gegenüber der geplanten Polarität) eines der beiden Chassis sollte sich im Übernahmebereich ein möglichst tiefes, möglichst symmetrisches (bzgl. der Übernahmefrequenz) Loch ergeben. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass sich die Schallanteile bei geplanter Polung konstruktiv addieren, so dass nicht damit zu rechnen ist, dass sich seitlich oder ober- bzw. unterhalb der Mikrofonposition eine Überhöhung ergibt (was im Folgenden noch weiter überprüft wird).
  • Der Schalldruck unter 30° seitlich (Menüpunkt "SPL / SPL 2 simulieren") sollte ebenfalls gleichmäßig aussehen und durchweg unterhalb der 0° Kurve verlaufen
  • Dasselbe gilt für den Schalldruck 15° ober- und unterhalb der Mikrofonposition (Menüpunkt "SPL / SPL +/- 15° simulieren").
  • Eine andere Darstellung dafür ist in LASIP der vertikale Abstrahlwinkel (Menüpunkt "Darstellen / Vertikale Hörzone")
Durch diese Kriterien wird im Prinzip die Gleichmäßigkeit des Rundstrahlverhaltens in einem Fenster von +/- 30° seitlich und +/- 15° in der Höhe sichergestellt.

 

Weitere Einflussparameter

Die oben angesprochenen Kurven (0°, 30°, +/-15° etc.) werden aber auch noch durch die Angabe der Mikrofonhöhe (unterschiedliche Laufzeit) und des Tiefenversatzes beeinflusst. Außerdem spielt die akustische Phase (das ist im Prinzip der frequenzabhängige Tiefenversatz + der Effekt von Membranresonanzen etc.) noch eine Rolle, die JustOct zur Zeit noch nicht messen kann. LASIP bietet allerdings die Möglichkeit, im Datensatz-Editor (im Frequenzweichen-Editor der Menüpunkt "Treiber / Datensatz-Editor") die akustische Phase aus den TSP zu berechnen (Spalte markieren und Menüpunkt "Rechnen" wählen). Das ist allerdings nur eine grobe Näherung (denn das LASIP-Ersatzschaltbild verwendet für hohe Frequenzen nur den Gleichstromwiderstand Rdc und die Schwingspuleninduktivität Lvc, s. Bild mit Impedanzvergleich, aber das ist immer noch besser als nichts.

Was muss ich denn da jetzt eingeben? Gute Frage! Beim Übergang Bass / Mitteltöner kommt es aufgrund der großen Wellenlängen auf 1 oder 2 cm nicht an, aber beim Übergang Mitteltöner / Hochtöner kommt es teilweise auf ein paar Millimeter an! In erster Näherung sollte jeweils der Abstand der (Staubschutz-) Kalotte zur Frontplatte angegeben werden, da am oberen Ende des Übertragungsbereiches eines Konuslautsprechers der Schall im Wesentlichen vom Membranzentrum abgestrahlt wird.

Im Folgenden habe ich mir mal die Mühe gemacht, für 2 verschiedene Filtersteilheiten des Hochtöners (12 und 18 dB/Oktave) und 2 verschiedene Werte für den Tiefenversatz des Mitteltöners (0 bzw. 2 cm) die oben genannten charakteristischen Kurven zu berechnen, und zwar ohne und mit Berücksichtigung der von LASIP berechneten akustischen Phase. Um die Sache nicht noch komplizierter zu machen habe ich als Mikrofonhöhe 85 cm angenommen (= Höhe Hochtöner). Die 12 dB-Weiche des Hochtöners bestand aus einem Kondensator 6.8uF und einer Spule 0.47mH/0.45 Ohm, der Hochtöner musste relativ zum Mitteltöner verpolt werden. Die 18 dB-Weiche des Hochtöners sowie die 12 dB-Weiche des Mitteltöners entspricht der modifizierten Weiche der ELTAX 400, wie sie im 2. Teil des Artikels veröffentlich wurde:

Bitte klickt die verkleinerten Bilder an um die Unterschiede der einzelnen Kurven genau zu sehen:

WeicheSPL 0°SPL 0° (verpolt)SPL 0°/30°SPL +/- 15°Winkel
12 / 12 dB
0 / 0 cm
12 / 12 dB
2 / 0 cm
12 / 12 dB
0 / 0 cm
ak. Phase
12 / 12 dB
2 / 0 cm
ak. Phase
12 / 18 dB
0 / 0 cm
12 / 18 dB
2 / 0 cm
12 / 18 dB
0 / 0 cm
ak. Phase
12 / 18 dB
2 / 0 cm
ak. Phase

Ziemlich "unübersichtlich", oder? Also meiner Meinung nach gibt es keinen eindeutigen Gewinner. Generell hat jedoch eine steilere Filterung den Vorteil, dass der Überlappungsbereich schmaler ist!

Wenn man sieht, wie kritisch die Simulation auf die akustische Phase und den Tiefenversatz reagiert, dann stellt sich die Frage, ob man die Feinabstimmung der Weiche nicht eher am "lebenden" Objekt statt mit dem Computer machen sollte.

Andererseits stellt sich die Forderung nach einer Messung der akustischen Phase, die in Zukunft auch mit JustOct möglich sein wird. Dazu benötigt man aber auf jeden Fall ein Mikrofon mit Vorverstärker, da es sich um eine 2-kanalige Messung handelt die nur am Line-Eingang möglich ist.

 

Feinabstimmung der Frequenzweiche

Nachdem man ein erfolgversprechendes Weichenlayout simuliert hat muss die Überprüfung der Simlation stattfinden. Das ist ganz einfach:
  1. Musik hören!
  2. Musik hören!
  3. Musik hören!
Und zwar nicht irgendwelche Musik, sondern sorgfältig ausgewählte Musikstücke, auf die man sich "eingeschossen" hat. Tipps dazu (und worauf man achten sollte) gibt es z.B. hier! Wie bereits oben gesagt: Das Ohr sollte immer die letzte Instanz für eine Frequenzweichenentwicklung sein!

Als Testgeräusch zur Beurteilung des Rundstrahlverhaltens ist Musik weniger geeignet. Hierzu empfehle ich rosa Rauschen. Bei einer Hörentfernung von ca. 50 cm kann man bei kontinuierlicher Veränderung der Ohrposition um +/- 45° seitlich und +/- 15° in der Höhe sehr schön die Klangfarbenveränderung des Rauschens beurteilen. Man macht dabei im Prinzip nichts Anderes als das Simulationsprogramm auch, nur dass man nicht nur die festen Positionen 0° und 30° bzw. +/- 15° sondern den gesamten Bereich beurteilt hat. Und das viel schneller als es eine Simulation jemals könnte! Und man muss keine Annahmen über die akustische Phase machen, da man ja die "echte" Hardware verwendet. Das funktioniert natürlich nur, wenn man die Frequenzweiche auch in Hardware zur Verfügung hat. Daher habe ich mir vor vielen Jahren eine steckbare Frequenzweiche zusammengestellt, die alle möglichen Werte enthält (0.056 bis 27 mH, 0.22 bis 680 uF, 0.15 bis 47 Ohm) und jedes denkbare Weichenlayout zulässt. Damit probiert man gerne auch mal eine andere Steilheit, eine andere Trennfrequenz oder eine Impedanzlinearisierung aus oder verpolt eines der Chassis. Das ist alles in Sekunden erledigt und beschleunigt die Suche nach dem Optimum ganz wesentlich.

Spezielle Aspekte bei der Frequenzweichensimulation: der reale Kondensator

Während bei Spulen der Gleichstromwiderstand eingegeben werden kann (und damit aus einer idealen Spule eine reale Spule wird) ist die Unterscheidung zwischen Tonfrequenz- und Folienkondensator so ohne weiteres nicht möglich. Den Datenblättern der Kondensatoren (oder dem im Bereich "Weichenteile (PDF, 1.6 MB!)" vorbildlich gemachten INTERTECHNIK Katalog) kann man das Verhältnis zwischen dem reinen Widerstandsanteil (resistive Komponente) und dem reinen Kondensatoranteil (kapazitive Komponente) entnehmen, den sog. tanPhi-Wert. Bei einem tanPhi von 0.1 beträgt der (eigentlich unerwünschte) resistive Anteil 10% vom (eigentlich erwünschten) kapazitiven Anteil. Da der tanPhi-Wert auch noch abhängig von der Frequenz ist, ist es mit einer einfachen Reihenschaltung aus R und C für alle Frequenzen gleichzeitig leider nicht getan. Man kann sich behelfen, in dem man zumindest im Bereich der Trennfrequenz das Verhalten annähert.

Ein rauer Elektrolytkondensator von 4.7 uF der Baureihe ERA hat laut INTERTECHNIK-Katalog einen tanPhi-Wert von 0.064 / 0.073 / 0.121 bzw. 0.198 bei 100 / 1k / 5k bzw. 10 kHz. Wie ermittele ich denn jetzt daraus den virtuellen Reihenwiderstand? Zunächst berechnet man die Impedanz des idealen Kondensators

Zc = 1000000 / ( 2 · Pi · F [Hz] * C [uF]

und aus dem Verhältniswert tanPhi dann den für diese Frequenz gültigen resistiven Anteil

Zr = tanPhi · Zc.

Damit ergibt sich für den oben genannten rauen 4.7 uF-Elko:

Frequenz [Hz]Zc [Ohm]Zr [Ohm]
100338.6321.67
100033.8632.472
50006.77260.819
100003.38630.670

-> im Frequenzbereich oberhalb von 3 kHz könnte man die resistiven "Verluste" des rauen Elkos näherungsweise mit einem Reihenwiderstand von 1 Ohm erfassen!

Bei einem "glatten" Elektrolytkondensator sind die resistiven Verluste um den Faktor 5 geringer, bei einem MKT-Folienkondensator um den Faktor 2 (bei hohen Frequenzen) und bei einem MKP-Folienkondensator um den Faktor 200 (und damit mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit vernachlässigbar)!

Besonders dann, wenn ein Kondensator ohne Vorwiderstand parallel zu einem Chassis mit seiner Schwingspuleninduktivität liegt, kann der Einfluss der resistiven Verluste eines Kondensators deutlich messbar und hörbar sein.

Ein Beispiel dafür ist der Kondensator parallel zum Mitteltöner der modifizierten ELTAX 400. Am realen Objekt wurde mit einem rauen Tonfrequenzelko von 10 uF der folgende Spannungsverlauf gemessen:

Wenn der Kondensator als idealer Kondensator simuliert wird ergibt sich folgender Spannungsverlauf am Mitteltöner (grüne Kurve). Bei Einführung eines "Verlust"-Widerstandes von 1 Ohm in Reihe mit dem idealen Kondensator (rote Kurve) wird in etwa der gemessene Spannungsverlauf simuliert:

Hier würde der Austausch des vermeintlich "schlechten" Kondensators (rauer Tonfrequenzelko) durch einen vermeintlich "besseren" Kondensator (z.B. MKP-Folienkondensator) zu einem deutlich ungleichmäßigerem Übernahmebereich führen!

Merke: Der Austausch von verlustbehafteten Frequenzweichenbauteilen gegen verlustärmere verändert das Verhalten der Frequenzweiche. Ob das wirklich eine Verbesserung bedeutet hängt vom Einzelfall ab! Wenn die Qualität eines Frequenzweichenbauteils mit Bedacht ausgewählt wurde sollte es nicht fahrlässig durch ein "besseres" oder "schlechteres" Bauteil ersetzt werden!

 

Spezielle Aspekte bei der Frequenzweichensimulation: Bandpassvariationen

Ein Bandpassfilter lässt - wie der Name schon vermuten lässt - nur ein bestimmtes Frequenzband passieren. Er besteht im Prinzip aus einer Kombination von Hochpass- und Tiefpassfilter. Solange beide Trennfrequenzen genügend weit voneinander entfernt sind (ein Faktor von 10 sollte genügen) ist eine gegenseitige Beeinflussung zu vernachlässigen. Im Prinzip gibt es 2 Schaltungsvarianten für Bandpassfilter:

Die klassische "Hintereinander"-Schaltung (SPSP):

Die alternative "Durcheinander"-Schaltung (SSPP):

Bei der Weiche der ELTAX 400 haben wir mal die beiden Schaltungsvarianten verglichen (wobei die Bauteilewerte für die SSPP-Schaltung optimiert waren):

-> den unterschiedlichen Spannungsverlauf findet man 1:1 im Frequenzgang wieder. Der Impedanzverlauf ist ebenfalls stark unterschiedlich, wobei die SPSP-Schaltung wegen der Spannungsüberhöhung bei 500 Hz dort ein Impedanzminimum ausweist (oder umgekehrt).

Merke: Je nach Schaltungsstrategie müssen unterschiedliche Bauteilewerte verwendet werden um eine gewünschte Filterwirkung zu erzielen!.

Bei manchen CDs empfanden wir die Höhen der modifizierten ELTAX 400 als etwas zu spritzig. Dies ist bereits am Spannungsverlauf "hinter" der Frequenzweiche zu erkennen:

Beim "Herumspielen" mit LASIP ist uns jetzt noch eine Verbesserung für dieses Phänomen (gelbe Kurve) eingefallen: eine Impedanzentzerrung des Hochtöners (grüne Kurve) mittels einer Reihenschaltung von 1.0 uF und 5.6 Ohm, beides parallel zum Hochtöner:

Damit wird auch der Impedanzverlauf oberhalb von 5 kHz positiv beeinflusst: statt eines Abfalls auf 4.5 Ohm bleibt die Impedanz nun bei ca. 7 Ohm.

 


Zusammenfassung

Die Qualität einer Simulation steht und fällt mit der Qualität der Eingangsdaten. Trotz bekanntem Impedanzverlauf ist eine genaue Simulation der Überlagerung im Übernahmebereich bei unbekannter akustischer Phase kaum möglich. Aber auch wenn Schalldruckmessungen mit akustischer Phase zur Verfügung stünden sollte das Ohr immer die letzte Instanz für eine Frequenzweichenentwicklung sein!

Es sollten möglichst immer die realen, verlustbehafteten Bauteile simuliert werden. Bei Kondensatoren ist dies nicht immer einfach (s.o.), hier lohnt bei Schwingkreisen ein Vergleich des simulierten und gemessenen Spannungsverlaufes am Weichenausgang.

Das bedeutet aber nicht, dass man Simulationsprogramme wie z.B. LASIP nicht sinnvoll zur Entwicklung einer Frequenzweiche verwenden kann. Im Gegenteil! Schließlich kann man im Kopf oder aus dem Bauch heraus kaum abschätzen:

  • wie eine bestimmte Frequenzweiche den Frequenzgang eines real existierenden Lautsprecherchassis verändert,
  • wie sich die Summe aller Frequenzweichenbauteile auf den Gesamtimpedanzverlauf auswirkt und
  • welchen Spannungsfrequenzgang man denn nun tatsächlich mit der gut klingenden Schaltung erzielt hat.

Natürlich könnte man die Spannungen und Impedanzen auch schnell nachmessen, aber dazu müsste man die Bauteile erst mal verfügbar und entsprechend verdrahtet haben. Hier spielt die Simulation definitiv ihre Stärken aus. Während ich früher viel auf meiner steckbaren Frequenzweiche ausprobiert und gemessen habe um ein Gefühl für die Zusammenhänge zu bekommen verwende ich heute lieber LASIP dafür. Erst beim Feintuning kommt die steckbare Frequenzweiche zum Einsatz. Aber dann weiß ich schon was ich wie beeinflussen kann und kann mich gleich an die subjektive Beurteilung des Effektes machen.

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