Schalldruckmessung am Hörplatz

Ähnlich wie ein Kalottenhochtöner, der auf Achse am lautesten ist und zur Seite hin kontinuierlich abfällt, hat auch ein Mikrofon eine Richtwirkung (selbst bei Richtcharakteristik = Kugel). Und ähnlich wie bei einem Kalottenhochtöner gilt: je kleiner der Membrandurchmesser, desto geringer die Richtwirkung. Exemplarisch habe ich mal 2 Chassis aus unseren Datenblättern gezeigt. Zunächst eine 20 mm Kalotte mit leichter Schallführung:

Und nun eine 34 mm Kalotte ohne Schallführung:

Vergleicht man bei 10 kHz den Unterschied zwischen der 0°- und 60°-Messung, so gibt es bei der 20 mm Kalotte einen Abfall von ca. 7.5 dB, bei der 34 mm Kalotte immerhin von ca. 14 dB.

Und so ähnlich sieht es auch bei Mikrofonen aus. Dort sind zwar kleinere Membrandurchmesser üblich (meist 6 mm Durchmesser), aber neben dem eigentlichen Membrandurchmesser zählt auch die unmittelbare Umgebung des Mikros mit (also der Rand direkt um die Mikrofonkapsel herum). Und da kommt man bei den meisten Mikros auf Werte von 12.7 mm (= 1/2"; für diesen Standard-Durchmesser gibt es Pegel-Kalibratoren, z.B. diesen hier) z.B.:

Mit 9 mm Durchmesser sind z.B. folgende Mikrofone am Kopf schlanker:

Hinweis: neben Thomann gibt es auch noch andere gute Versender, z.B. Music-Store, Kirstein, Musik-Produktiv, Music-Townetc. Die Preise sind meist überall gleich, zur Vermeidung von CO2 könntet ihr z.B. den nächstgelegenen Versender wählen ;-).

Wie sieht denn nun das Rundstrahlverhalten eines Mikrofons aus? Aufmerksame Leser unseres Magazins könnten diese Kurve aus dem Artikel Dem Hallraum auf den Zahn gefühltkennen. Sie zeigt den Frequenzgang unseres Hallraummikrofons unter 0° (= vorn vorne) und unter 90° (= genau von der Seite) ohne Korrektur:

Hier beträgt der Unterschied zwischen 0° und 90° (statt 60° bei den Hochtönern) bei 10 kHz ca. 4 dB (wie viel weniger hängt von der Größe des Mikrofonkopfs ab, s.o.). Schall, der genau von vorne kommt (0°, schwarze Kurve) wird bei diesem Mikrofon "zu laut" gemessen, Schall der genau von der Seite kommt (90°, rote Kurve) wird weitgehend richtig gemessen und man darf vermuten, dass Schall, der von hinten kommt, "zu leise" gemessen wird. Im Hallraum kommt der Schall aber von allen Seiten gleich wahrscheinlich, also dürfte der mittlere Schalleinfallswinkel eher am Äquator liegen (90°) als am Nord- (0°) oder Südpol (180°) - ein linearer Frequenzgang um 90° herum wäre also wünschenswert (weshalb wir diesen Mikrofontyp für Hallraummessungen verwenden).

 


Üblicherweise werden Messmikrofone so kalibriert, dass sie das "Richtige" anzeigen wenn der Schall genau von vorne kommt (0° oder Freifeld-Kalibrierung). Und da sind wir beim Kasus Knaxus: wenn ich:

  • am Hörplatz messe,
  • Lautsprecher und Hörplatz ein gleichschenkeliges Dreieck bilden
  • und das Mikrofon genau nach vorne zeigt,

dann ergeben sich 2 systematische Fehler:

 

  1. wird der Direktschall der Lautsprecher unter 30° gemessen
  2. werden die meisten Reflexionen (z.B. Boden/Decke, Vorder-/Rückwand sowie Seitenwände) unter einem Winkel > 30° gemessen

Ein Mikrofon, das nur dann (technisch betrachtet) richtig misst, wenn der Schall genau von vorne kommt zeigt in diesem Fall also bei hohen Frequenzen systematisch zu wenig an! Wie viel zu wenig hängt neben der Größe des Mikrofonkopfs auch von der Richtwirkung des Lautsprechers im Hochtonbereich sowie der "Halligkeit" des Hörraumes ab: je rundumstrahlender der Lautsprecher und je halliger der Hörraum, desto größer ist der systematische Fehler.

Was kann man dagegen tun? Den 1. Fehler kann man dadurch vermeiden, dass man beide Lautsprecher einzeln misst und das Mikrofon jeweils auf den zu messenden Lautsprecher richtet. Das ist allerdings recht umständlich und die gewünschte Überlagerung von beiden Lautsprechern am Hörplatz kann dann nicht direkt gemessen werden. Außerdem hilft das Ausrichten auf nur einen Lautsprecher nicht beim 2. Fehler.

Wenn man aber das Mikrofon in Ohrhöhe aufrecht stellt (oder runterhängen lässt), dann wird der Direktschall beider Lautsprecher unter demselben Winkel gemessen - nämlich genau seitlich, also ziemlich genau unter 90° (wenn der Hochtöner auf Ohrhöhe ist). Wenn man das Mikro nun unter 90° kalibrieren würde hätte man den 1. Fehler ausgemerzt - voilà!

Aber was würde das für die Reflexionen bedeuten? Die 6 energiereichsten Reflexionen (energiereich, weil nur eine Reflexion erfolgt und der "Umweg" minimal ist) sind:

  • Boden/Decke,
  • die beiden Seitenwände,
  • die Wand hinter den Lautsprechern (hier bündelt der Hochtöner aber in der Regel so stark, dass diese Reflexion im Hochtonbereich vernachlässigbar ist)
  • und die Wand hinter dem Hörplatz

Die meisten dieser energiereichsten Reflexionen finden also in der horizontalen Ebene statt - und da misst das unter 90° kalibrierte und senkrecht ausgerichtete Mikrofon ja per Definition richtig, also werden diese Reflexionen energetisch richtig gewichtet! Wenn das Mikro nach oben zeigt wird lediglich die Deckenreflexion "überbewertet", da das Mikro ja nach wie vor von vorne (= zeigt jetzt nach oben) empfindlicher ist als von der Seite. Dementsprechend wird die Bodenreflexion "unterbewertet". Sofern man die Bodenreflexion (ggf. nur für die Messung) mit einem Teppich oder ähnlichem reduzieren könnte wäre es demnach noch etwas besser, wenn man das Mikrofon nach unten zeigen lassen würde.

Soweit die graue Theorie. Aber wie stark macht sich das in der Praxis bemerkbar? Dazu haben wir mal unsere Kontra in unserem Hörraumam Hörplatz gemessen. Und zwar:

 

  • mit nach vorne gerichtetem Mikrofon und 0°- bzw. Freifeld-Kalibrierung
  • mit 90° nach links gerichtetem Mikrofon und 0°- bzw. Freifeld-Kalibrierung
  • mit nach hinten gerichtetem Mikrofon und 0°- bzw. Freifeld-Kalibrierung
  • mit 90° nach rechts gerichtetem Mikrofon und 0°- bzw. Freifeld-Kalibrierung
  • mit nach oben gerichtetem Mikrofon und 0°- bzw. Freifeld-Kalibrierung
  • mit nach oben gerichtetem Mikrofon und 90°- bzw. Diffusfeld-Kalibrierung

Hinweis: unsere Abonnenten können an dieser Stelle anhand von Messergebnissen und deren Diskussion unser Fazit detailliert nachvollziehen!

 


 

Fazit:

Eine Hörplatzmessung mit einem nach vorne gerichteten, freifeldkompensierten Mikrofon (0°-Kalibrierung) beinhaltet einen systematischen Fehler. Dieser Fehler kann durch Messung mit einem senkrecht ausgerichteten, diffusfeldkompensierten Mikrofon (90°-Kalibrierung) weitgehend korrigiert werden.

Besondere Bedeutung hat dies bei DSP-basierten System oder Systemen zur Raumkorrektur. Wenn hier die Messung systematische Fehler hat (also z.B. zu wenige Höhen anzeigt) und die Zielkurve unpassend gewählt ist (z.B. linearer Frequenzgang am Hörplatz), hat man zwar ein schönes Messergebnis - aber es hört sich scheußlich an! Dann gibt es 2 Möglichkeiten:

 

  1. subjektiv: man ändert so lange "irgendwie" die Zielkurve bis es passt (dummerweise hängt das Ergebnis dann davon ab, mit welcher fehlerbehaftet aufgenommenen Musik man das beurteilt)
  2. objektiv: man misst "richtig" und gibt die "richtige" Zielkurve vor (und macht ggf. noch geringe subjektive Anpassungen je nach Musikgenre)

Nach unserer Erfahrung sollte der Frequenzgang am Hörplatz zu hohen Frequenzen hin leicht abfallen. Wie stark dieser Abfall ist hängt unserer Erfahrung nach von der Nachhallzeit ab. Grundvoraussetzung ist dabei die "richtige" Messung mit senkrecht ausgerichtetem Mikrofon (90°-Kalibrierung)