Von Zitronenfaltern und Zitronenpressen

Hat jemand schon mal einen echten Zitronenfalter gesehen? Wir ahnen ja das man Raum und Zeit falten falten kann, aber wie sieht eine gefaltete Zitrone aus? Zunächst mal etwas einfacheres. Eine Zitrone man kann nicht nur falten, man kann sie auch auspressen. Wir alle kennen dieses Spitze, heute meist aus Kunststoff bestehende geriffelte Ding mit Schale dran um den Zitronensaft aufzufangen.
Da muss es seinerzeit doch jemand gegeben haben der sich gesagt hat, daraus mach ich ein Lautsprecherchassis. Na ja, ganz so wird es nicht gelaufen sein, aber das der Phase-Plug des legendären 250 mm Breitbandchassis Coral Beta 10 in etwa so aussieht, lässt sich aufgrund der Fotos kaum bestreiten. Also trägt der Breitbänder den Spitznamen "Zitronenpresse" vollkommen zu Recht.

Uns bleibt es jetzt nur noch, im Rahmen unseren historischen Serie, zu klären ob dieses Chassis seinen Ruf als bester Breitbänder genau so zu Recht trägt wie seinen Spitznamen.


 

Chassis-Datenblatt © www.hifi-selbstbau.de
So werden Lautsprecherchassis von HiFi-Selbstbau gemessen
Hersteller: CORAL Audioquest Corperation Typ: Beta 10 B, 8 Ohm Datenblatt des Herstellers

Foto des Chassis
 


Membranfläche: Außendurchmesser:
Innendurchmesser:
Plugdurchmesser:
-> Membranfläche Sd:
225 mm
199 mm
32 mm
344.9 cm²
TSP bei Annahme Mms = 16 gr
(Mittelwert und Streuung
von 2 Chassis, Anregung -12 dB):
Resonanzfrequenz Fs
DC-Widerstand Rdc
Mechanische Güte Qms
Elektrische Güte Qes
Gesamtgüte Qts
Effektive bewegte Masse Mms
Äquiv. Luftvolumen Vas
Kraftfaktor BL
Wirkungsgrad Eta (1m, 2.83V, Halbraum)
37.01 Hz (+/-0.1%)
7.08 Ohm (+/-1.7%)
4.724 (+/-0.8%)
0.554 (+/-1.0%)
0.496 (+/-1.0%)
16 gr (Herstellerangabe)
194.93 dm³ (+/-0.2%)
6.89 N/A (+/-0.4%)
94.96 dB (+/-0.11)

Pseudorauschen > 200 Hz (0°, 15°, 30°, 45°, 60°; MP3 42 kB)

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Sprungantwort (Chassis 1, 20 cm, 0°)

Zerfallspektrum (Chassis 1, 20 cm, 0°)

 

 


Klirrfaktor bei 85 bis 100dB/1m (Halbraum)

 


 

Kompletter Datensatz beider Chassis (Impedanz, Schalldruck, Bündelungsgrad und Schallleistung im OCT-Format, Klirrfaktor und komplexer Frequenzgang als TXT-Datei, Boxsim-Projekt, ZIP, 76 kB)
Hinweis: Beide Chassis sind ca. 25-30 Jahre alt


Unsere Meinung:
  • Der äußere Eindruck:
    Der CORAL Beta 10B sah mit seiner gelblich-weißen Membran und der weißen inversen gummierten Textilsicke schon damals ungewöhnlich aus. Dazu kommt noch der 13 mm hohe äußere Ring, der für den Einbau von hinten vorgesehene Korb (16mm dicke Schallwand) und der an eine "Zitronenpresse" erinnernde Phaseplug. Das alles machte den CORAL Beta 10 B alleine optisch zu einem Exoten. Der Schwirrkonus hat einen Durchmesser von 95 mm, ist am äußeren Rand umgebördelt und hat eine leicht trompetenförmige Form. Die Hauptmembran besitzt 4 kleine Sicken, besitzt eine weitgehend konische Form und ist mit 50 mm recht tief.


    Bei einem Blick auf die Rückseite fallen weitere Besonderheiten auf: zunächst mal hat man den Chassis der Beta-Serie einen Druckgusskorb spendiert. Der Magnet ist mit 4 auffällig "luftigen" (weil 3-teiligen, besonders tiefen) Streben mit dem Magnetsystem verbunden. Beim Antrieb fällt die mit 13 mm ungewöhnlich dicke vordere Polplatte auf. Zusammen mit dem extrem geringen angegebenen Gesamtgewicht des Schwingsystems von nur 16 gr vermuten wir daher ein Unterhang-System - die 32 mm durchmessende Schwingspule ist also kürzer als der Luftspalt und kann daher besonders leicht ausgeführt werden. Der Magnet selbst hat einen Durchmesser von 120 mm und ist 20 mm hoch, die hintere Polplatte ist sogar 21 mm dick!
     

 

 

  • Die TSP:
    Da die Chassis echte Raritäten sind und nur geliehen waren haben wir uns nicht getraut schnöden "Kitt" auf die historische Membran zu pappen und diese womöglich irreparabel zu schädigen. Wir haben daher nur eine Freiluft-Impedanzmessung gemacht und den fehlenden Parameter Vas über die angenommene Masse Mms von 16 gr. (sensationell niedrige Herstellerangabe) berechnet. Die so ermittelten TSPs decken sich recht gut mit den Herstellerangaben Fs = 37.01 (32) Hz bzw. Qts = 0.496 (0.5). Der Referenz-Wirkungsgrad beträgt 94.96 dB/2.83V/m, der gemessen Mittelwert zwischen 125 und 12500 Hz beträgt auf Achse 98.61 dB/2.83V/m, der Hersteller gibt 97 dB/W/m an.
    Trotz des wohl proportionierten Magnets, der geringen bewegten Masse und der geringen Resonanzfrequenz fällt die Gesamtgüte mit knapp 0.5 recht hoch aus - ein untrügliches Indiz für ein unterhängiges Antriebssystem. Zusammen mit einem recht großen Vas von ca. 195 Litern ist zwar Tiefbass möglich, allerdings nur in RIESIGEN Gehäusen:

     

    Für Bassreflex sollte man etwa 250 Liter aufwärts einplanen, dann geht es aber bis mindestens 34 Hz runter. Auch geschlossen sollten es schon 100 Liter sein, dann geht es immerhin noch bis 53 Hz hinunter. Eine "optimale" TQWT wäre 165 Liter groß und ginge bis etwa 25 Hz runter. In gut 100 Liter soll es aber laut unserem TQWT-Rechner bereits bis 32 Hz runter gehen - das hört sich interessant an:

    Die Streuung der TSPs ist extrem gering, und das nach so vielen Jahren - RESPEKT!
    Im Impedanzverlauf sind mehrere kleinere Zacken zu erkennen. Durch die Unterhangschwingspule ist auch die Rückkopplung der "Mechanik" auf die "Elektrik" etwas geringer als üblich.
     

     

  • Der Frequenzgang:
    Zunächst einmal fällt auf, dass der Frequenzgang auf Achse bis ca. 14 kHz kontinuierlich leicht ansteigt. Ausgehend von einer mittleren Steigung von 1.25 dB/Oktave beträgt die Standardabweichung zwischen 45 bis 16000 Hz nur +/- 1.57 dB! Bis knapp 1.8 kHz verläuft der Frequenzgang sehr gleichmäßig, die sonst "übliche" Sickenresonanz um 700 Hz glänzt durch völlige Abwesenheit! Bei 2.1 kHz bäumt sich der Frequenzgang das erste Mal über Gebühr auf, von da ab zeigt sich bis ca. 16 kHz eine Welligkeit von +/- 3 dB.
    Ab ca. 1.4 kHz fängt der Beta 10B an zu bündeln. Die 15°-Kurve weist einen deutlichen "Buckel" um 2.8 kHz auf, die 30°-Kurve verläuft hingegen außergewöhnlich linear bis 17 kHz - das ist unglaublich! Hier noch einmal die obige Darstellung mit 1/3-Oktav-Glättung:

    Das bestätigt sich auch, wenn man sich den Schalldruck unter verschiedenen Winkeln anhört (0°, 15°, 30°, 45°, 60°).{audio}/images/stories/chassis/Coral_Beta10/Beta10B_1V_SPLdeg.mp3{/audio} Auch der winkelgewichtete Schalldruck hat einen sehr ausgeglichenen, bilderbuchmäßigen Verlauf mit einem kontinuierlichen leichten Abfall. Unsere Empfehlung ist daher den CORAL Beta 10B unter etwa 30° zu hören.
    Nach so vielen "guten" Nachrichten gibt es jedoch auch einen Wermutstropfen: die schmale Resonanz bei 2.1 kHz ist nicht nur 5 dB zu laut sondern schwingt auch extrem lange nach: erst nach 30 Schwingungsperioden ist sie um 25 dB abgefallen. Das dürfte - je nach Musikstück - denn doch nicht ganz ohne Klangverfärbungen abgehen. Leider haben wir das Zerfallspektrum nicht unter 30° gemessen, aus Erfahrung mit anderen Chassis wissen wir aber, dass solch grundlegende Probleme in der Regel auch unter anderen Winkeln auftreten. Hier sollte man ggf. mit einem schmalbandigen Sperrkreis zumindest die Überhöhung kompensieren:


    Hinweis: das Boxsim-Projekt befindet sich im Datenpaket (s.o.)

    Auch bei den Resonanzen oberhalb von 2.1 kHz ist das Ausschwingen verzögert, allerdings weniger stark.
    Beide Chassis verhalten sich auf Achse selbst im Bereich der Membranresonanzen fast identisch - Hut ab! Wenn mal alle gemessenen Winkel gewichtet ist die Abweichung immer noch gering. Das zeugt von einer guten Fertigungskonstanz.
     

     

  • Der Klirrfaktor:
    Auch die Klirrfaktoren zeigen oberhalb von 125 Hz einen leichten Anstieg zu hohen Frequenzen bei ansonsten recht gleichmäßigem Verlauf. Unterhalb von 125 Hz steigen die Klirrfaktoren stark.
    Der "harmonische" Klirrfaktor K2 zeigt wie üblich eine recht starke Abhängigkeit vom Anregungspegel, die anderen Klirrfaktoren steigen nur gering mit dem Anregungspegel an. Im kritischen Bereich um 1 kHz liegen die Klirrfaktoren K3+ auf sehr niedrigem Niveau. Nach unseren Erkenntnissen (s. Klirrfaktor - wie viel ist zu viel? sind K3 und K5 ab 85 dB im Bereich der jeweiligen maximalen Klirrempfindlichkeit bei der extrem kritischen Sinusanregung gerade hörbar. Bei komplexer Musik liegt die Hörschwelle allerdings deutlich höher.
    Bei einem mittleren Schalldruckpegel von 85 / 90 / 95 / 100 dB liegt K2 oberhalb von 50 Hz im Mittel bei 0.40 / 0.71 / 1.29 / 2.46%. Für K3 gilt in diesem Bereich ein Mittelwert von 0.23 / 0.28 / 0.33 / 0.52%.
    Beim Chassis 1 fällt beim Spektrogramm unterhalb von 300 Hz ein Störgeräusch auf, ggf. ein leichtes Schleifen der Schwingspule.
     

     

  • Die Pegellinearität:
    Hier verhalten sich beide Chassis deutlich unterschiedlich. Chassis 2 zeigt noch einen sehr gutmütigen Verlauf. Zwischen 200 und 500 Hz ist bis 10 V (das sind dort ca. 106 dB in 1m Abstand) nur ein Hauch von Dynamikkompression erkennbar. Darüber beginnt der Einsatz der Dynamikkompression von 1 dB bei immer niedrigeren Anregungen (+20 dB bei 1 kHz bis +13 dB bei 15 kHz), dafür steigt aber auch die Empfindlichkeit von 95 dB/2.83V/m auf 104 dB/2.83V/m.
    Chassis 2 hat einen deutlich breiteren Bereich ohne erkennbare Dynamikkompression (450 - 1900 Hz), dafür ist die Dynamikkompression zwischen 100 und 250 Hz deutlich höher.

     


HiFi-Selbstbau-Fazit:


Der CORAL Beta 10B ist ein Ausnahme-Breitbänder - auch noch nach heutigen Maßstäben. Der Wirkungsgrad ist sehr hoch, der Frequenzgang unter 30° sensationell linear und der Klirrfaktor ist auch erstaunlich niedrig für eine so große Membran. Seine einzige wirkliche Schwäche ist die Membranresonanz bei 2.1 kHz, die extrem lange ausschwingt. Hier sollte man mit einem speziell angepassten Sperrkreis experimentieren.

Vergleicht man den CORAL Beta 10B mit dem zur Zeit besten uns bekannten 25er Breitbänder, dem AUDIO NIRVANA AN10 Super, dann hat der Beta 10B auf jeden Fall den deutlich ausgewogeneren Frequenzgang. Beim Klirrfaktor K3+ hat der AN10 Super die Nase vorn, besonders bei kleineren Schalldruckpegeln. Und auch im Bassbereich begnügt sich der AN10 Super mit einem deutlich kleineren Gehäuse - wenn es denn Bassreflex sein soll.

Nur: der Beta 10 B ist schon fast 30 Jahre alt! Damit wird klar, warum der Beta 10 B - zu Recht - einen legendären Ruf hat. Für Besitzer kleiner Röhrenverstärker mit einstelliger Ausgangsleistung ist der CORAL Beta 10 B wie geschaffen. Wer ein Pärchen Beta 10 B hat gibt sie nicht weg. Und wenn dann wird es teuer - für den Käufer. Preise von 500 € bzw. 750 $/Paar sind keine Seltenheit. Vielleicht sollte man doch mal wieder den Dachboden aufräumen . . .

Kommentare

Pico
11 jahre vor
Hi,

even as a non-subscriber you can have a look at the drawing in the TQWT demo version under http://www.hifi-selbstbau.de/index.php?option=com_content&view=article&id=123:tqwt-tapered-quarter-wave-tube-demo&catid=46:gehe&Itemid=162.

As a subscriber you can use the full version of the tool and change the input parameters as well.

BR
Pico
Johan Van Nieulande
11 jahre vor
Dear Sir ,
I have two Coral Beta 10B's
I would like to build the 100 ltr.TQWT ,
Where can I get the DRAWING that relates to the measurements for the tqwt that you are giving here?

Thank you ,

Johan Van Nieulande (in Ireland)

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