Seit dem ersten Bericht über unseren Hallraum ist nun schon gut ein Jahr vergangen und wir sind einfach nicht dazu gekommen ihn mal vernünftig zu kalibrieren.

Wie kalibriert man denn einen Hallraum? Na ja, man guckt, ob die vielen schönen, theoretischen Förmelchen (am Ende des 1. Beitrags) denn auch so hinkommen. Ein Knackpunkt ist neben der verwendeten Schallquelle auch das Mikrofon:

  • Die Schallquelle sollte in alle Richtungen gleichmäßig abstrahlen
  • Das Mikrofon sollte den Schall von allen Seiten gleich bewerten
Beides sind natürlich Idealvorstellungen, die in der Realität nur zum Teil eingehalten werden.

 


Die Schallquelle

Fangen wir mal mit der Schallquelle an. Da hatten wir ja 6 kleine 3"-Breitbänder (FOSTEX FE87) in einen Würfel mit 17 cm Kantenlänge geschraubt.

"Dummerweise" erhalten alle Chassis dasselbe Signal, so dass es ja nach Abstand des Mikrofons von den einzelnen Treibern Überhöhungen bzw. Auslöschungen geben kann. In unserem reflexionsarmen Messraum (kurz RAR) haben wir daher mal den "Würfel" unter verschiedenen Mikrofonposition vermessen. Die Schallquelle wurde in 15°-Schritten von 0° bis 90° gedreht, außerdem wurde die Mikrofonposition so eingestellt, dass sich vertikale Winkel von 0, 15, 30 und 45° ergaben. Insgesamt wurden also unter 4 vertikalen Winkeln jeweils 7 horizontale Winkel gemessen, insgesamt also 28 Positionen. Das Ergebnis sieht dann so aus:

 

  • Unterhalb von 700 Hz steigt die mittlere Streuung durch die unterschiedliche Mikrofonhöhe auf +/- 2.14 dB an
  • Oberhalb von 1.5 kHz steigt die mittlere Streuung durch die Bündelung der Chassis und kritischer werdende Überlagerung auf +/- 3.91 dB an

Tja, da kann man sich denken, warum professionelle Schallquellen für Hallräume 12 Lautsprecher auf 12 Flächen haben. Die Dinger heißen dann 12-Flächner (oder vornehm: Dodekaeder) - und sind ziemlich teuer. Aber auch dort wird jedes Chassis mit demselben Signal angeregt und es kommt prinzipiell zu ähnlichen Problemen. Schöner wäre eigentlich, wenn jedes Chassis mit einem eigenen, unabhängigen Rauschsignal angeregt werden würde, dann könnte es keine phasenstarre Überlagerung oder Auslöschung geben. Aber das wäre viel zu aufwändig . . .

Auch wenn das Rundstrahlverhalten nicht perfekt ist kann man einen energetischen Mittelwert (blaue Kurve) sowie die Standardabweichung berechnen (rote/grüne Kurve = Mittelwert +/- Standardabweichung). Damit ist die insgesamt abgestrahlte Schallenergie einigermaßen gut beschrieben. Besser wäre natürlich ein engeres und umfassenderes Netz von Messpunkten (z.B. alle 5° horizontal und vertikal -> 72 x 72 Punkte). Dabei würden die Messpunkte an den "Polen" dann viel näher zusammen liegen als am "Äquator", was eine Überbewertung der "Pole" bedeuten würde. Bis 45° vertikalem Winkel kann das aber vernachlässigt werden, obwohl die Unterschiede bei den 4 vertikalen Winkeln schon beträchtlich sind:

 


Das Mikrofon

Eine Mikrofonkalibrierung bei freier Schallausbreitung im RAR bieten wir im Shop als Service an und haben wir mittlerweile schon fast 100 Mal gemacht (sog. Freifeld-Kalibrierung). Dabei wird das Mikrofon direkt von "vorne" beschallt, so dass es - im Vergleich zur Situation ohne anwesendes Mikrofon - zu einem Druckstau direkt vor der Membran kommt. Daher haben viele Mikrofone eine Überhöhung von mehreren dB irgendwo zwischen 5 und 20 kHz.

Im Hallraum kommt der Schall jedoch nicht nur direkt von "vorne" sondern gleichmäßig von allen Seiten. Bei seitlicher Beschallung oder Beschallung von "hinten" ergibt sich vor der Membran aber kein Druckstau, so dass sich die Empfindlichkeit des Mikrofons mit der Beschallungsrichtung ändert. Das folgende Bild zeigt unser Hallraum-Mikrofon bei Beschallung direkt von vorne und unter 90° seitlich:

bzw. dessen Frequenzgang bei Beschallung aus allen Richtungen gleichzeitig (sog. Diffusfeld-Frequenzgang). Mit der Freifeldkalibrierung haben wir ja nun schon reichlich Erfahrung, Und dann muss man eine Diffusfeldkalibrierung des Mikros machen.

 


Vergleich der Welten

Und wie kriegt man die Schalldruckmessungen jetzt zusammen? Dazu muss man von Schalldruck zur Schallleistung kommen.

Bei der Messung im RAR (mittlerer Schalldruck in 1 m Abstand vom gedachten Mittelpunkt) lag ja Freifeldausbreitung vor. Je weiter man also von der gedachten Punktquelle entfernt ist, desto geringer ist der Schalldruckpegel, obwohl die abgestrahlte Schallleistung ja gleich bleibt. So weit, so gut. Die Entfernung muss also bei der Berechnung der Schallleistung irgendwie berücksichtigt werden.

Wie geht das genau? (Nur für Neugierige)
Alle Messpunkte um den "Würfel" liegen auf einer gedachten Kugeloberfläche mit dem Radius 1 m. Dessen Oberfläche beträgt 4 · Pi · Radius². Bei Verdoppelung des Messabstandes (= Radius) würde der Schalldruck um 6 dB abnehmen (Freifeldausbreitung). Die Kugeloberfläche würde dabei 4x so groß, sie geht also mit dem Faktor 10 · Log10 ( Oberfläche [m²] ) in die Schallleistung ein.
Merke: Per Definition ist der Schallleistungspegel Lw auf einer Kugeloberfläche von 1 m² genau so groß wie der Schalldruckpegel Lp.

Und wie geht das im Hallraum? In einem idealen Hallraum ist der Schalldruckpegel Lp an jedem Punkt gleich groß, da der Schall so oft an den idealerweise leicht schrägen, schallharten Wänden reflektiert wurde, dass er gar nicht mehr weiß, von wo er gekommen ist und wo er hin muss - das ideale Durcheinander! Zwei Faktoren beeinflussen den gemessenen Schalldruck allerdings:

  • je größer das Volumen des Raumes, desto geringer ist der sich ergebende Schalldruck, da ja mehr Volumen mit Leistung durchsetzt werden muss
  • je kürzer die Nachhallzeit des Hallraumes, desto mehr absorbieren die Wände und desto geringer ist der sich ergebende Schalldruck
Die genaue Formel für die Berechnung der Schallleistungspegel Lw aus dem gemessenen Schalldruckpegel Lp, der Nachhallzeit T60 und dem Raumvolumen V lautet schließlich:

Lw [dB] = Lp [dB] - 10·Log10 (T60[s]) + 10·Log10 (V[m³]) - 14

Woher kommt die 14? (Nur für Neugierige)
Der sich ergebende Schalldruckpegel wird ursächlich durch die internen Verluste des Hallraums bestimmt, also die äquivalente Absorptionsfläche A: je mehr "innere" Verluste auftreten, desto geringer ist der sich ergebende Schalldruckpegel. Je größer das Raumvolumen und je geringer die Nachhallzeit, desto größer ist A. Genau genommen hängen die Größen A, T60 und V über die Nachhallteit-Formel T60 [s] = 0.163 · V [m³] / A [m²] zusammen. Umgestellt ergibt sich: A [m²] = 0.163 · V [m³] / T60 [s]. V und T60 wurden ja schon berücksichtigt, bleibt nur noch der Faktor 0.163. Bei energetischen Größen ist man ja schnell mit 10 · Log10 (Energiegröße) bei der Hand, in diesem Fall also 10 · Log10 (0.163) = - 8 dB. Weitere 6 dB werden abgezogen, da man davon ausgeht, dass eine Schallquelle im Hallraum wegen der Vielfachreflexionen im Mittel nur 1/4 Raum durchschallen muss (10 · Log10 (0.25) = -6 dB).

Wie sieht denn nun der Schalldruck und die Nachhallzeit im Hallraum aus? Ist das wirklich egal wo man anregt und wo man misst? Die DIN/ISO schreibt vor, dass man den Schalldruck an mehreren Stellen messen und dann mitteln soll. Außerdem soll die Schallquelle an mehreren Stellen positioniert werden. Da vertraut man der Idealvorstellung eines Hallraums wohl auch nicht so ganz . . .

Im Folgenden werden die Messergebnisse an 15 verschiedenen Lautsprecher- und Mikrofonpositionen verglichen. Wer sich das im Detail nicht antun will überspringt diesen Teil einfach und liest sich gleich die daraus gewonnenen Erkenntnisse durch . . .

Detailergebnisse Hallraum (nur für Neugierige):

  1. Unser 6-Flächner wurde daher zunächst bei konstant gehaltener Mikrofonposition an konstanter Lautsprecherposition um jeweils 120° gedreht:
  2. Dann wurde die Höhe variiert:
  3. Dann die X/Y-Position des Lautsprechers:
  4. Und schließlich die Mikrofonposition und -ausrichtung:
  5. Und hier sind alle 15 Messungen zusammen dargestellt (1/12 Oktav-Auflösung):
  6. Neben dem Schalldruckpegel wurde auch jeweils die Nachhallzeit gemessen (1/3 Oktav-Auflösung):
  7. Da die Nachhallzeit ja als Faktor 10 · Log10 (T60 [s]) eingeht wurde dieser Wert dargestellt:

Für die berechnete Schallleistung ergibt sich dann folgende Streuung (1/3 Oktav-Auflösung):

Was haben wir daraus für unseren speziellen Hallraum gelernt?

  • Oberhalb von 1 kHz ist die Position der Schallquelle und des Mikrofons weitgehend egal
  • Die Standardabweichung des Schalldruckpegels (1/12 Oktavauflösung) beträgt > 1 kHz im Mittel weniger als +/- 0.85 dB (max. 1.62 dB)
  • Die Standardabweichung der Nachhallzeit (1/3 Oktavauflösung) beträgt > 500 Hz im Mittel weniger als +/- 0.15 dB (max. 0.24 dB)
  • Die Standardabweichung der Schallleistung (1/3 Oktavauflösung) beträgt > 500 Hz im Mittel weniger als +/- 0.51 dB (max. 0.84 dB)

Unter Anwendung der o.g. Formeln kann man aus den winkelgewichteten Schalldruckmessungen auf einer Hüllfläche im RAR und der Schalldruck- und Nachhallzeitmessung im Hallraum die jeweils berechnete Schallleistung vergleichen. Dabei muss man zunächst einen bestimmten Diffusfeld-Frequenzgang des Mikrofons annehmen (hier: Freifeldfrequenzgang unter 90°). Aus dem Vergleich beider Schallleistungen kann man ggf. auf den korrigierten Diffusfeld-Frequenzgang des Mikrofons schließen:

 

  • Beide berechneten Schallleistungen stimmen zwischen 650 und 12k Hz recht gut überein (im Mittel +/- 0.5 dB)!
  • Unter der Annahme, dass die Schallleistung im RAR mit den relativ wenigen Stützstellen (28 Messpunkte auf einer Oberfläche von 12.5 m²) korrekt erfasst wurde, wäre die blaue Kurve der idealisierte Diffusfeld-Frequenzgang des verwendeten Mikrofons!

 


Anwendungen

Und was macht man so mit einem Hallraum? Man lässt ihn z.B. die Schallabstrahlung unter allen Raumwinkeln mitteln! Das wird insbesondere dann "spannend", wenn ein Chassis in vertikaler und horizontaler Richtung eine unterschiedliche Schallabstrahlung hat wie z.B. Bändchen/Magnetostaten oder Hörner. Statt nun den Schalldruckpegel unter verschiedensten vertikalen und horizontalen Winkeln in 5°-Schritten im RAR zu messen platziert man das Chassis einfach in einem Testgehäuse (30x30cm, 50cm hoch) in den Hallraum und macht 1 (in Worten: EINE) Messung. Durch den Vergleich mit der Schallabstrahlung unter 0° kann man das Bündelungsmaß bestimmen. Ganz nebenbei kann man aus der mittleren Schallabstrahlung ersehen, ob das Chassis unter irgendeinem Winkel evtl. Überhöhungen hat. Praktisch, oder?

Und so sehen die Ergebnisse z.B. beim VISATON B200 (20cm Breitbänder) bzw. VISATON KE25SC (25mm Keramikkalotte) aus:

Zunächst einmal die bereits bekannten Schalldruckpegel unter verschiedenen Winkeln:

Und jetzt die berechnete Schallleistung aus dem gemessenen Schalldruck und der Nachhallzeit im Hallraum gemäß obiger Formel:

  • Obwohl der Schalldruckpegel des B200 oberhalb von 2 kHz auf Achse fast 10 dB höher ist als der des KE25SC ist der Schallleistungspegel beider Chassis zwischen 2 und 12 kHz ähnlich
  • Der Schallleistungspegel des KE25SC fällt nur sehr leicht und schön gleichmäßig ab. Beim B200 sind dagegen auch in der Schallleistung mehrere Peaks erkennbar

Uups, warum ist denn der Schallleistungspegel Lw viel höher als der Schalldruckpegel Lp? Beide Pegel sind per Definition auf einer gedachten Hüllfläche von 1 m² um eine gedachte Punktquelle identisch. Die Oberfläche einer Kugel berechnet sich zu 4 · Pi · Radius². Damit sich eine Oberfläche von 1 m² ergibt muss der Radius 0.282 m sein. In 0.282 m Abstand misst man natürlich auch einen höheren Schalldruckpegel als in 1 m.

Um beide Pegel vergleichbar zu machen rechnet man den Schalleistungspegel Lw unter Annahme einer Punktquelle und Abstrahlung in den Vollraum zu einem äquivalenten Schalldruckpegel Lp* in 1 m Abstand um (für Praktiker: man zieht einfach 11 dB ab).

Vergleicht man nun diesen Wert mit dem Schalldruckpegel bei 0° so ergibt sich ein Maß für die Bündelung des Lautsprechers. Die Ergebnisse für den B200 und den KE25SC sehen so aus:

  • Unterhalb von 700 Hz weicht der berechnete Bündelungsgrad vom Erwartungswert ab. Hier ist der Hallraum nicht mehr gut genug (s.o.)
  • Bei der KE25SC wurde nicht dasselbe Chassis im Hallraum vermessen, dadurch ergibt sich ggf. die Abweichung um 1 kHz. Es kann aber auch an der 30 x 30 cm großen Frontplatte des Testgehäuses liegen

Eine ideale Punktquelle hätte unter den standardmäßigen Messbedingungen einen Bündelungsgrad von 3 dB, da die Schalldruckmessung im RAR ja im Halbraum erfolgen, die Schallleistung aus dem Hallraum aber von einer gedachten Punktquelle bei Abstrahlung in den Vollraum ermittelt wird. Warum einfach, wenns auch Kompliziert geht. Aber so sind sie halt, die Akustiker . . .

 


Ausblick:

Die Bestimmung der Schalleistung im Hallraum ist eine einfache Methode um die winkelabhängige Abstrahlung eines Lautsprechers mit einer Kurve zu erfassen. Der Vergleich mit dem Schalldruckpegel unter 0° ergibt ein Maß für das Bündelungsverhalten eines Lautsprechers. Dieses sollte je nach Raumakustik mehr oder weniger stark abfallen, auf jeden Fall jedoch möglichst gleichmäßig sein. Damit ergibt sich ein weiteres Qualitätsmerkmal für einen Lautsprecher, welches aus den Einzelkurven nur schwer zu erkennen ist.

Um ein Gefühl für dieses Qualitätskriterium zu bekommen wurden in einem ersten Rutsch mehrere Vergleiche gefahren:

  • 2 gerade anwesende Testkandiaten aus dem Feld der 20er Breitbänder (OMNES AUDIO L8 und CIARE HX201) wurden mit dem B200 verglichen
  • Der MONACOR DT300 (mit und ohne Waveguide) wurde mit der sehr gut rundum strahlenden VISATON KE25SC verglichen
  • Am Beispiel eines klassischen Hochtonhorns (IMG StageLine MHD-152) wurde das horizontale und vertikale Rundstrahlverhalten mit der Schalleistung verglichen
  • Der Einfluss des Holoprofils am MANGER MSW wurde mit detaillierten Winkelmessungen verglichen
Die ersten Ergebnisse sehen sehr viel versprechend aus und korrelieren gut mit unserem subjektiven Empfinden. Vielleicht ist dies ein weiterer Schritt um die Wiedergabequalität messbar zu machen!

Hier wird es in Kürze zu den Vergleichen gehen (nur für Abonnenten)

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