Simsalabim, wer verbiegt am schönsten
Zum Thema Frequenzweichen gibt es jede Menge Literatur (z.B. Vance Dickason). Dort findet man in der Regel für verschiedene Filtersteilheiten Formeln, mit denen die Bauteilewerte in Abhängigkeit von der gewünschten Trennfrequenz und der Lautsprecherimpedanz berechnet werden können. Im Internet findet man auch zahlreiche ONLINE-Rechner für diese Aufgabe (z.B. den HiFi-Selbstbau-Weichenrechner). In der Regel geht man davon aus, dass der zu beschaltende Lautsprecher eine konstante, "ohmsche" Impedanz besitzt (sich also elektrisch wie ein Widerstand verhält) und einen linearen Frequenzgang hat - auch im Bereich der weggefiltert werden soll. Außerdem wird angenommen, dass die verwendeten Bauteile (Widerstände, Kondensatoren und Spulen) ideale elektrische Eigenschaften haben. All das stimmt in der Regel aber leider überhaupt nicht und daher kann man die üblicherweise danach geführte Diskussion über die Vor- und Nachteile von solchen idealen Filtern auch nicht so ohne Weiteres im richtigen Leben anwenden - um es mal vorsichtig zu sagen.
Reale Lautsprecher haben einen frequenzabhängigen, komplexen Impedanzverlauf, einen mehr oder weniger krummen Frequenzgang (der unterhalb ihrer Resonanzfrequenz auch ohne elektrische Beschaltung mit 12 dB/Oktave oder mehr abfällt) und der "gedachte" SchallEntstehungsOrt (kurz: SEO) liegt mehr oder weniger hinter der Befestigungsebene. Auch Frequenzweichenbauteile haben nicht immer ideale Eigenschaften, was besonders beim Gleichstromwiderstand von Spulen deutlich wird.
Zum Glück gibt es mittlerweile sehr leistungsfähige Freeware-Programme wie Boxsim, mit denen man nicht nur den Einfluss der realen Frequenzweiche sondern auch der Schallführung und der Schallwandgeometrie auf das reale Lautsprecherchassis (inkl. "krummen" Impedanzverlauf und Frequenzgang) berücksichtigen kann. Damit ist der Bau einer virtuellen Lautsprecherkombination möglich - wenn denn die Eingangsdaten vorliegen (zur Zeit nur für fast alle VISATON-Chassis).
Hinweis: Im o.g. Artikel wird das zugrunde liegende Komzept sowie die generelle Bedienung von Boxsim bereits ausführlich erklärt. Wer Boxsim noch gar nicht kennt sollte sich daher erst mal dort einlesen.
In diesem Artikel möchten wir uns vor allem auf die elektrische Beschaltung konzentrieren. Boxsim bietet im Menüpunkt "Extras / Auslegung Standardweichen" auch ein Tool zur Berechnung der benötigten Frequenzweichenbauteile an, wobei auch hier von einer konstanten Impedanz ausgegangen wird:
Wo wir schon bei idealen Weichen sind bauen wir uns zum Warmmachen schnell einen idealen Lautsprecher. Dafür gibt man im Menüpunkt "Chassis & Einbau / Chassis 1" auf dem Reiter "Chassisdaten" Folgendes ein:
Name des Boxsim-Projekts: 8_Ohm_Direkt.bpj
Hinweis: Wenn man die Häkchen bei "F-gang Amplitude benutzen" und "F-gang Impdanz ben." entfernt wird der Frequenzgang aus den eingegebenen TSPs berechnet.
Wer's nicht hinbekommt (oder zu faul ist) kann sich die Boxsim-Dateien zu allen Schaltungen dieses Artikels auch hier downloaden (ZIP-Datei, 10 kB).
Die erste Weiche
Fachausdrücke bei Frequenzweichen: | |
---|---|
Hochpass | Eselsbrücke: lässt die hohen Töne passieren) |
Tiefpass | Eselsbrücke: lässt die tiefen Töne passieren) |
Bandpass | Kombination von Hoch- und Tiefpass -> es darf nur ein Frequenzband passieren |
Spule | die Impedanz Z einer Spule steigt linear mit der Frequenz an: Z [Ohm] = 2 · Pi · Frequenz [Hz] · Induktivität [mH] / 1000 |
Kondensator | die Impedanz Z eines Kondensator fällt zum Kehrwert der Frequenz: Z [Ohm] = 1000000 / ( 2 · Pi · Frequenz [Hz] · Kapazität [µF] ) |
Trennfrequenz | bei der Trennfrequenz beträgt die Filterwirkung üblicherweise 3 dB |
X. Ordnung | Pro Bauteil (Spule bzw. Kondensator) nimmt die Ordnung um 1 zu. Eine Weichen X. Ordnung hat einen Flankensteilheit von X · 6 dB / Oktave |
Flankensteilheit | im abfallenden Bereich der Weiche nähert sich der Frequenzgang einer Geraden mit einer Steigung von X · 6 dB/Oktave an |
Im Grundlagenartikel Frequenzweichen wird der Impedanz- und Phasenverlauf der Bauteile detaillierter erklärt. Dort wird auch der prinzipielle Verlauf eines Filters 1. Ordnung gezeigt. Zum Warmwerden hier noch einmal ein Hochpassfilter mit einer Trennfrequenz von 1000 Hz. Damit es nicht so langweilig wird haben wir noch den Vorwiderstand von 0 bis 4 Ohm erhöht:
Name des Boxsim-Projekts: 8_Ohm_HP1.bpj
-> die abfallende Gerade bleibt gleich
-> die Trennfrequenz (= 3 dB Abfall) verschiebt sich je nach Vorwiderstand
"Krumme" Bauteilewerte
Bevor wir weiter in die Materie einsteigen ein paar Worte zu den Bauteilewerten. Je nach Trennfrequenz und Impedanz ergeben sich zum Teil ja recht "krumme" Werte. In der Praxis gibt es aber nur Bauteile in einem bestimmten Werteraster zu kaufen. Natürlich kann man durch Reihen- bzw. Parallelschaltung auch "krumme" Werte realisieren:
- Bei Widerständen (R) und Spulen (L) addieren sich die Werte von R und L bei Reihenschaltung
- Bei Kondensatoren (C) addieren sich die Werte bei Parallelschaltung
Für eine Parallelschaltung von Widerständen bzw. Spulen gilt:
Xp = (X1 · X2) / (X1 + X2)
Dasselbe gilt für eine Reihenschaltung von Kondensatoren. Hier ein kleiner ONLINE-Rechner für diese "schwierige" Formel:
Wenn man sich aber vor Augen führt, dass die einzelnen Werte ja auch noch Toleranzen von z.B. +/- 5% haben und sich die Auswirkungen eines um 5% größeren bzw. kleineren Wertes mal anguckt, dann wird man etwas ruhiger - und begnügt sich mit dem angebotenen Werteraster. Die folgende Tabelle zeigt die Normwerte der Reihe E6 (= 6 Werte/Dekade) und E12 (= 12 Werte/Dekade) im Bereich 1 bis 10. Höhere bzw. tiefere Werte ergeben sich durch Multiplikation mit bzw. Division durch 10:
Wert | 1.0 | 1.2 | 1.5 | 1.8 | 2.2 | 2.7 | 3.3 | 3.9 | 4.7 | 5.6 | 6.8 | 8.2 | 10 |
E12-Reihe | X | X | X | X | X | X | X | X | X | X | X | X | X |
E6-Reihe | X | - | X | - | X | - | X | - | X | - | X | - | X |
In der Regel runden wir die "exakten" Werte immer auf den nächst gelegenen Wert der E12-Reihe.
Einfache Verbiegeschaltungen:
Der obige Effekt kommt dadurch zustande, dass der Kondensator bei tiefen Frequenzen sehr hochohmig wird und daher dem Lautsprecher einen großen Anteil der gemeinsamen Spannung klaut. Bei hohen Frequenzen wird der Kondensator niederohmig und die meiste Spannung landet am Lautsprecher. Wenn man einen Widerstand parallel zum Kondensator schaltet, dann kann diese gemeinsame Schaltung nicht beliebig hochohmig werden und klaut daher dem Lautsprecher bei tiefen Frequenzen nur einen konstanten Anteil der Spannung:
Name des Boxsim-Projekts: 8_Ohm_HP1S.bpj
-> der Einsatzpunkt (= halbe Wirkung) der Absenkung ist nicht konstant
Dasselbe Spielchen kann man mit einer Spule machen:
Name des Boxsim-Projekts: 8_Ohm_LP1S.bpj
-> der Einsatzpunkt (= halbe Wirkung) der Absenkung ist nicht konstant
Und was ist, wenn man beide Schaltungen kombiniert? Bekommt man dann eine Mittenabsenkung? Bei tiefen Frequenzen wird eine solche Schaltung von der Spule "überbrückt", bei hohen vom Kondensator. In der Mitte regiert der Widerstand und versperrt den Weg zum Lautsprecher:
Name des Boxsim-Projekts: 8_Ohm_BP1S.bpj
-> mit steigendem Widerstand wird die maximale Sperrwirkung größer und schmaler
Die Resonanzfrequenz des unbedämpften Sperrkreises ergibt sich aus:
Fr [Hz] = 1000000 / ( 2 · Pi · Wurzel ( L [uH] · C [uF] ) )
Tipp: Genau so findet man auch die Sperrfrequenz beim Ausprobieren: zunächst lässt man den Parallelwiderstand einfach weg -> die Wirkung wird maximal und ist dann gut zu erkennen!
Hmh, kann man die Breite der Sperrwirkung nicht unabhängig von der maximalen Sperrwirkung einstellen? Na klar!
- Um die Sperrwirkung schmaler zu machen verkleinert man die Spule und vergrößert man den Kondensator um denselben Faktor -> Sperrfrequenz bleibt gleich!
- Um die Sperrwirkung breiter zu machen vergrößert man die Spule und verkleinert man den Kondensator um denselben Faktor -> Sperrfrequenz bleibt gleich!
Im folgenden Diagramm wurde die Spule von schwarz->rot um jeweils 2 Stufen der E12-Reihe (von 1.2 mH nach 0.27 mH) verkleinert und der Kondensator entsprechend erhöht (von 22 auf 100 µF) um die Sperrfrequenz konstant zu halten. Der Widerstand betrugt jeweils 8 Ohm. Im unteren Tei des Diagramms ist die Impedanz des Sperrkreises zu erkennen:
Name des Boxsim-Projekts: 8_Ohm_BP1S.bpj
Statt einer Parallelschaltung von Bauteilen in Reihe zum Lautsprecher (= Sperrkreis) kann man auch eine Reihenschaltung von Bauteilen parallel zum Lautsprecher machen (= Saugkreis). Am Lautsprecher und an der Reihenschaltung liegt dieselbe Spannung an, durch beide Zweige fließt allerdings ein unterschiedlicher Strom. Wenn die Reihenschaltung sehr hochohmig ist klaut sie dem Lautsprecher keinen Strom. Wird sie dagegen niederohmig fließt der meiste Strom durch die Reihenschaltung - sie saugt den Strom vom Lautsprecher ab.
Name des Boxsim-Projeks: 8_Ohm_BP1P.bpj
Die genaue Wirkung des Saugkreises hängt auch von der Impedanz der davor liegenden Schaltung ab. Die Frequenz maximaler Saugwirkung berechnet sich jedoch genau wie beim Sperrkreis.
Im 2. Teil der Artikelreihe geht es um das Thema Impedanzentzerrung und Pegelreduzierung.
Q: mich würden mal die Anwendungsgebiete für 6 dB Weichen interessieren.
A: Eigentlich keine sinnvollen.
6 dB-Weichen setzt man ein, weil man die VORTEILE der 6 dB-Weichen nutzen will, nämlich:
- korrekter Amplituden- und Phasengang -> perfekte Impulswiedergabe (zeitrichtig)
- korrekter Energiefrequenzgang (bei koaxialen Punktstrahlern)
- preiswert und einfach aufzubauen
Die NACHTEILE von 6 dB-Weichen sind aber immens:
- schlechtes vertikales Rundstrahlverhalten (Abhängig von Trennfrequenz und Treiberabstand) in weiten Frequenzbereichen durch breite Überlappung
- schlechter Schutz vor tieffrequenten Belastungen -> deutlich reduzierter Maximalpegel im Vergleich zu steilerer Filterung bei gleicher Trennfrequenz
Wenn man nun aber bei all den unvermeidlichen Nachteilen die akustischen Vorteile genießen will kommt es nicht allein auf die ELEKTRISCHE Trennung an (ein Kondensator und eine Spule machen noch keine 6 dB-Weiche) sondern auf das AKUSTISCHE Verhalten, also die Überlagerung von elektrischer Filterfunktion und Frequenzgang des Chassis. Und da ist es (außer mit DSP-Systemen) absolut illusorisch einen Abfall von nur 6 dB/Oktave zu tiefen Frequenzen zu realisieren, da das Chassis ja alleine schon mit 12 dB/Oktave abfällt -> die Vorteile KÖNNEN gar nicht voll genutzt werden. Aber wozu dann all die Nachteile in Kauf nehmen?
Manche Leute entzerren sehr aufwändig den Abfall zu hohen Frequenzen hin, "vergessen" aber dabei, dass der natürlich sehr stark richtungsabhängig ist. Da man aber nicht im schalltoten Raum auf Achse hört ist auch das "Ohrenwischerei".
Bei Deinem konkreten Fall ist die Trennung des Subwoofers zu hohen Frequenzen hin kritisch (falls er eine Membranresonanz und/oder eine zu hohe Induktivität hat wirkt die Spule nicht genug). Zu tiefen Frequenzen hin beträgt die AKUSTISCHE Steilheit 18 dB/Oktave und nicht die gewünschten 6 dB/Oktave. Bei der Resonanzfrequenz des Breitbänders passiert dann noch etwas völlig Ungeplantes, da wirkt der Kondensator nämlich auf einmal nicht mehr und die Resonanzfrequenz schlägt voll durch (s. z.B. http://www.hifi-selbstbau.de/images/stories/Lautsprecher/MS908/Artikel2/MS908_Boxsim_Volt_Orig.png). Um das zu vermeiden brauchst Du 3 weitere Bauteile (R+L+C in Reihe, alles zusammen parallel zum Breitbänder, s. http://www.hifi-selbstbau.de/index.php?option=com_content&view=article&id=163&Itemid=68 - das zum Thema geringer Aufwand bei 6 dB-Weichen.
Gruß Pico