Herzlichen Glückwunsch zum 200.

Als wir vor ca. 2.5 Jahren begannen die Kalibrierung von Mikrofonen als Service anzubieten hätten wir uns nicht träumen lassen, dass die Nachfrage so groß sein würde. Mittlerweile haben wir das 200. Mikrofon kalibriert - und dadurch eine "gewisse Übersicht" über die systematischen Abweichungen und die Streuung diverser Mikrofontypen.

Zur "Halbzeit" hatten wir zwar schon mal eine statistische Auswertung gemacht, aber aus Anlass des 200. kalibrierten Mikros haben wir mal alle Egebnisse schön zusammengestellt um die Problematik noch deutlicher zu machen.


200 Mikrofonkalibrierungen - eine Übersicht

In den beiden o.g. Artikeln wird beschrieben, wie wir bei der Mikrofonkalibrierung prinzipiell vorgehen. Der Begriff "Mikrofon" bezieht sich hier übrigens nicht allein auf das eigentliche Mikrofon sondern ggf. auch auf die Kombination aus Mikrofon und Vorverstärker. Wir empfehlen übrigens immer die komplette Kombination zu kalibrieren, damit der Frequenzgang des Vorverstärkers (insbesondere der Bassabfall durch das eingebaute Hochpassfilter) mit berücksichtigt wird.

Das Ergebnis einer Mikrofonkalibrierung ist der Frequenzgang des Mikros in dB relativ zum Pegel bei 1 kHz (dort is er also definitionsgemäß immer 0 dB) sowie die absolute Empfindlichkeit des Mikros bei 1 kHz in mV/Pa. Damit sind - ein spannungskalibriertes Messsystem vorausgesetzt - auch pegelrichtige Messungen möglich.

Wir kalibrieren die Mikros von 10 bis 21135 Hz mit einer Frequenzauflösung von 1/12 Oktave, so dass sich 134 verschiedene Pegelwerte ergeben.

Die 200 Mikrofone lassen sich in 6 Hauptguppen aufteilen:

  1. 81x IMG STAGELINE ECM40 (88 €)
  2. 55x BEHRINGER ECM8000 (60 €)
  3. 31x Billigmikro ATELCO (5 €)
  4. 16x DIY-Mikros mit der PANASONIC-Kapsel MCE2000 (inkl. DLSA, CANTON Digital, ATB-PCpro etc.)
  5. 6x sonstige Messmikros (z.B. T.bone MM1, LinearX M31, BEYER DYNAMIC MB550 etc.)
  6. 11x sonstige Mikros
Das folgende Diagramm zeigt alle 200 Mikros mit ihrer relativen Empfindlichkeit:


-> von 30 bis 3000 Hz nur wenige Ausreißer (Toleranzschlauch +/- 2.5 dB)
-> oberhalb von 3 kHz geht es drunter und (meist) drüber

Während tieffrequent oberhalb von 30 Hz nur wenige Ausreißer vorkommen (die meisten Mikros liegen in einem +/- 2.5 dB breiten Schlauch) sieht es oberhalb von 3 kHz aus wie Kraut und Rüben! Die ganz schlimmen hochfrequenten Ausreißer von bis zu + 20 dB gehen auf das Konto der ATELCO-Billigmikros:


-> von 20 bis 3000 Hz nur wenige Ausreißer (Toleranzschlauch +/- 2.5 dB)

Abweichungen > +/- 10 dB kann man zwar noch numerisch korrigeren, diese "Fehler" ziehen aber andere Schmutzeffekte nach sich (die leiseren Frequenzbereich versinken z.B. eher im Rauschen). Zur Suche der optimalen Lautsprecher- und Hörposition im tieffrequenten Bereich sind diese Mikros aber sogar unkalibriert hervorragend zu gebrauchen.

Die folgenden Bilder zeigen die Ergebnisse der einzelnen Mikrofongruppen. Dabei ist zu beachten, dass die Mikros teilweise mit unterschiedlichen Vorverstärkern betrieben wurden (ca. 95% waren aber IMG STAGELINE MPA-102). Die Messung wurden zum Großteil mit dem mitgelieferten Windschutz aus Schaumstoff gemacht, damit das Mikro im Falle eines Falles (im wahrsten Sinne des Wortes) eine höher Überlebenschance haben:


-> leichte "Bassanhebung" mit relativ steilem Abfall
-> kontinuierlicher Höhenanstieg von im Mittel ca. 5 dB bei 20 kHz


-> linearer Verlauf im Bass mit sanftem Roll-off
-> deutlich höhere Streuung um 10kHz als ECM40

Wenn man die Gruppen 1., 2., 4. und 5. in einen Topf schmeisst kommt Folgendes heraus:


-> die sonstigen Messmikros verhalten sich weniger homogen

Man sieht also: wer besser als +/- 2 dB genau messen will kommt um eine individuelle Kalibrierung nicht herum! Aber: wie genau ist die eigentlich?


Messgenauigkeit:

Im Rahmen der 1. ARTA-Reihenuntersuchung (ausführlicher Messbericht (PDF, 804 kB)) wurden die Messsysteme verschiedener Teilnehmer indirekt miteinander verglichen. Dazu wurde ein einzelnes Chassis (VISATON FRS8) herumgeschickt mit einer detailierten Anleitung wie eine 40x40cm große Messschallwand aus Sperrholz zu erstellen und wie die Messung durchzuführen sei. Die Messungen wurden also:
  • mit immer demselben Chassis (welches sich aber im Laufe der Reihenuntersuchung ggf. verändert hat)
  • nach derselben, detaillierten Messprozedur
  • in jeweils individuell angefertigten Schallwänden
  • an völlig unterschiedlichen Orten
  • zu völlig unterschiedlichen Zeiten
  • mit völlig unterschiedlichen Messsystemen
  • von unterschiedlichen Personen
durchgeführt.

Als Referenz wurde die unkorrigierte Messung im reflexionsarmen Messraum von VISATON genommen. Auf Seite 12 (oben rechts) des Messberichtes werden die frequenzgangkompensierten Messergebnisse der einzelnen Teilnehmer mit der Referenzmessung verglichen. Das Ergebnis von HiFi-Selbstbau zeigt das folgende Bild:


-> in Anbetracht der Rahmenbedingungen (indirekter Vergleich) sehr gute Übereinstimmung < 14 kHz

Die Abweichung von 2 dB bei Frequenzen > 14 kHz kann durch mehrere Einflüsse hervorgerufen worden sein:

  • das Chassis hat sich im Laufe der Messreihe geändert (keine Vorher/Nachher-Messung verfügbar)
  • die Versenkung des Chassis in der Schallwand ist individuell ausgeführt
  • die Messrichtung könnte leicht abweichend gewesen sein
  • das Mikrofon von VISATON (BRÜEL & KJAER Mikro Typ 4133) könnte eine entsprechende Überhöhung (s. Datenblatt S.2 oben) gehabt haben, die ja nicht kompensiert wurde
  • etc.
Wenn man sich diese Einflussmöglichkeiten vor Augen hält sind die Ergebnisse sogar sensationell gut!

Drift:

Nun könnte sich ja theoretisch das HiFi-Selbstbau-Referenzmikro mit der Zeit geändert haben. Da wir vor jeder Kalibrierung die zur Kalibrierung verwendeten Chassis noch einmal messen (Funktionscheck der Messkette) kann man diese Messungen heranziehen um diese Frage zu klären. In der folgenden Grafik ist die Abweichung jedes einzelnen Kalibrierspektrums zum Mittelwert aus allen Kalibrierspektren aufgetragen (insgesamt 60 Kalibriersessions innerhalb von 2.5 Jahren):


-> die Abweichungen sind normalverteilt -> keine Drift!
-> 80% der Messwerte liegen > 100 Hz im Bereich +/- 0.7 dB

Zwischen der roten und grünen Kurve liegen 80% aller Messwerte, nur 10% der Messwerte liegen jeweils jenseits des eingeschlossenen Bereiches. Die höheren Abweichungen im Tieftonbereich kommen daher, dass:

  • die Montageplatte der für die Kalibrierung der Mikrofone verwendeten Lautsprecher teilweise nicht verschraubt war
  • die stehenden Wellen im Messraum durch zusätzliche Boxen etc. beeinflusst worden sind
  • die stehenden Wellen im Messraum durch eine nur angelehnte Tür beeinflusst worden sind
  • etc.
In diesen Abweichungen sind:
  • Alterung der bzw. Temperatur- und Luftfeuchteeinfluss auf die Chassis (hebt sich raus),
  • Variation der LS-Montage (hebt sich raus),
  • Variation der Mikrofonposition (hebt sich nicht raus),
  • unterschiedliche Ausgangsspannung des Messsystems (hebt sich raus),
  • Temperatur- und Luftfeuchteeinflüsse auf das Mikrofon (hebt sich bei vergleichbarer Kapselkonstruktion raus)
  • etc.
enthalten. So gesehen ist die Reproduzierbarkeit der Messergebnisse für die zur Mikrofonkalibrierung verwendeten Lautsprecher sehr gut.

Fazit:

Wenn man genauer als +/- 2 dB messen will ist eine individuelle Kalibrierung des Messmikros (ggf. samt Vorverstärkers) unumgänglich!

Die "Beipackzettel" sind zwar schön anzuschauen, zeigen aber nicht das individuelle Verhalten des Mikros sondern eine generalisierte "Wunschvorstellung" ohne Angabe der Messbedingungen und von Streubändern.

Der ARTA-Ringversuch hat gezeigt, dass die Messungen von HiFi-Selbstbau sehr nahe an der Referenzmessung von VISATON liegen - und das unter den oben beschriebenen, ungünstigen Rahmenbedingungen. Damit sollte das Thema "Genauigkeit" zumindest für den semiprofessionellen Lautsprecherentwickler "ad acta" gelegt worden sein.

Kommentare

1
Dr. Martin Hemmi
12 jahre vor
Sehr geehrte Damen und Herren,
könnten Sie mir bitte mitteilen auf welches Kalibriernormal (PTB, DKD?) Sie ihren Kalibrierplatz zurückführen?
Grüße,
Martin Hemmi

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